Die Retinitis pigmentosa gehört zu den seltenen Augenerkrankungen, bei denen ein Gendefekt die Ursache für einen schleichenden Verlust der Sehkraft ist. Hier werden alle Informationen zu der genetisch bedingten Netzhautdegeneration zusammengefasst – von Formen und Ursachen über Symptome und Krankheitsverlauf bis hin zu Diagnose- und Therapiemöglichkeiten.
Retinitis pigmentosa (RP), auch bekannt als Retinopathia pigmentosa, ist die Bezeichnung für eine Gruppe genetisch bedingter Netzhauterkrankungen, die zu einer Einschränkung der Sehkraft bis hin zum vollständigen Verlust des Sehvermögens führen können.1 Obwohl die RP zu den seltenen Augenerkrankungen gehört, zählt sie mit einem Fall pro rund 4.000 Menschen zu den häufigsten erblichen Netzhauterkrankungen und zu den häufigsten Ursachen des Sehverlustes im mittleren Erwachsenenalter.123 Weltweit sind etwa drei Millionen Menschen betroffen.3
RP ist eine Form der Netzhautdegeneration. Die Netzhaut (Retina) befindet sich im Inneren des Auges und ist eine wichtige, lichtempfindliche Struktur aus Millionen von spezialisierten Zellen – den Stäbchen- und Zapfenzellen, die zu den Photorezeptoren gezählt werden. Der Mensch besitzt etwa 120 Millionen Stäbchen und sechs Millionen Zapfen.4 Bei der Retinitis pigmentosa sterben diese Sehzellen nach und nach ab.3
Die Stäbchenzellen befinden sich überwiegend in der Peripherie der Netzhaut und sind für das Nachtsehen und das periphere Sehen zuständig, also die Bereiche des Gesichtsfeldes, auf die der Blick nicht fokussiert ist. Die Zapfenzellen befinden sich überwiegend im Zentrum der Netzhaut und sind für die Sehschärfe,das Farbsehen, das Sehen bei Tageslicht sowie das zentrale Sehen verantwortlich.
Photorezeptoren wandeln Lichtreize in bioelektrische Erregungen um.4 Die Stäbchen- und Zapfenzellen arbeiten innerhalb der Netzhaut des Auges zusammen, um visuelle Informationen zu sammeln und diese über den Sehnerv an das Gehirn weiterzuleiten. Funktionieren sie nicht richtig, kann dies das Sehvermögen einschränken.5 Die Folgen der Retinitis pigmentosa reichen demnach von Sehstörungen wie Verlust der Sehschärfe oder Gesichtsfeldeinschränkungen bis hin zur Erblindung – meist sind beide Augen betroffen.
50 bis 60 % aller Betroffenen leiden an einer autosomalrezessiven RP (ASRP)
30 bis 40 % aller Betroffenen leiden an einer autosomaldominanten RP (ADRP)
5 bis 15 % aller Betroffenen leiden an einer X-chromosomalen RP (XLRP), die X-chromosomal rezessiv vererbt wird
Darüber hinaus gibt es noch andere Formen der RP, bei denen die typischen Sehprobleme nicht allein auftreten, sondern weitere Symptome wie Hörstörungen oder Stoffwechselstörungen hinzukommen. Zu diesen zählt die Leber’sche kongenitale Amaurose, RP bei Syndromen (zum Beispiel Usher-Syndrom oder Bardet-Biedl-Syndrom) und RP-ähnliche Erkrankungen.1
Die meisten RP-Formen sind unabhängig vom Geschlecht. Nur von der XLRP sind mehr Männer als Frauen betroffen. Grund ist, dass Männer nur ein X-Chromosom besitzen und somit einen Gendefekt auf diesem nicht kompensieren können. XLRP hat von allen Unterformen in der Regel den schwersten Verlauf.2
Die RP zählt zu den genetisch bedingten Augenerkrankungen. Daher liegt die Ursache für die RP ausschließlich in den Genen, obwohl der Name (Retinitis pigmentosa) durch die Endsilbe „-itis“ irreführenderweise eine Entzündung als Krankheitsursache vermuten lässt. Es sind knapp 60 Gene bekannt, deren Mutationen zu einer der Unterformen der primären RP führen können.2 An diesen Genen sind mehr als 3.000 Mutationen bekannt. Bemerkenswert ist, dass unterschiedliche Mutationen an demselben Gen unterschiedliche Unterformen hervorrufen können und dieselbe Mutation an einem Gen zu unterschiedlichen klinischen Symptomen führen kann.17
Die Mutationen können spontan (neu) entstehen oder aber familiär vererbt werden. Sie betreffen essenzielle Mechanismen des Sehens (Umwandlung des Lichtreizes, Stoffwechsel der Netzhaut, Entwicklung und Erhalt von Gewebe und Zellstruktur). Oft werden zu Beginn der Erkrankung nur einzelne dieser Prozesse gestört, jedoch kommt es im fortgeschrittenen Stadium durch das Absterben von Sehzellen mehr und mehr zu einer grundlegenden Einschränkung.7
Dank laufender Forschung können einzelne Mutationen zum einen bestimmten Zelldefekten zugeordnet werden. Bei der schwer verlaufenden XLRP sind zum Beispiel insbesondere die Gene RP2 und RPGR (RP3) betroffen, wobei etwa 70 % aller XLRP-Fälle auf Mutationen im RPGR (RP3)-Gen zurückzuführen sind.8
Erste Symptome zeigen sich meist bereits in den ersten 30 Lebensjahren, oftmals in der Kindheit, wobei auch später eintretende Fälle vorkommen, vereinzelt sogar nach dem 50. Lebensjahr.1 Vom Auftreten erster Symptome bis zur vollständigen Entfaltung der Erkrankung kann es mehrere Jahre oder Jahrzehnte dauern. Die Symptome können sich jedoch individuell und abhängig von der genauen Mutation unterschiedlich äußern.1 Mögliche Anzeichen sowie die zugrunde liegenden Mechanismen im Verlauf der RP sind:7
Zuerst kann eine Verdachtsdiagnose infolge einer Anamnese gestellt werden. Bei dieser werden Patient:innen zu aktuellem Sehvermögen und zu möglichen Sehproblemen befragt.
Die Befragung nach möglichem Vorkommen von Netzhauterkrankungen in der Familie ist wichtig und kann helfen, die Wahrscheinlichkeit einer RP einzuschätzen.
Diese kann durch verschiedene Untersuchungen erfolgen:9
Es können auch andere Ursachen für Sehprobleme vorliegen, die mit ähnlichen Symptomen einhergehen wie die einer RP. Diese müssen entsprechend identifiziert werden, um die Diagnose einer RP ausschließen zu können. Mögliche Ursachen können zum Beispiel Medikamente, Entzündungen, Autoimmun- oder andere Netzhauterkrankungen sein.9
Im Zentrum für Humangenetik entscheiden Humangenetikerinnen und Humangenetiker zusammen mit Augenärzt:innen, welcher Gentest am besten geeignet ist.
Anschließend wird der Gentest verordnet und eine Blutprobe entnommen, die dann an ein Genlabor verschickt wird.
Sobald das Testergebnis vorliegt, wird dieses mit einer Humangenetikerin oder einem Humangenetiker besprochen.
Genetik ist ein komplexes Thema und nicht einfach zu verstehen. Wie Gene, das Vererben und genbasierte Diagnostik bei erblichen Netzhauterkrankungen funktionieren, wird hier anhand von kurzen Videos erklärt.
Beim Umgang mit der Erkrankung helfen den Betroffenen im Alltag in der Regel Brillen zur Verbesserung der Sehkraft, UV-Schutz-Gläser sowie Orientierungs- und Mobilitätstraining für ein besseres Zurechtfinden. Letzteres schließt zum Beispiel das Erlernen der Brailleschrift, Organisation des eigenen Haushalts oder das Trainieren mit einem Blindenstock für eine langsame Umstellung mit ein.711
Eine Einnahme von Antioxidantien wie Vitamin A oder Omega-3-Fettsäuren kann in einigen Fällen zu einer Besserung oder Verzögerung der Symptome führen. Sie muss aber in jedem Fall mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt abgesprochen werden.9
Eine Therapiemöglichkeit für Menschen mit RP im Endstadium ist der Einsatz von Retina-Implantaten, die das Kontrastsehen teilweise wiederherstellen können. Dadurch wird eine Hell-Dunkel-Unterscheidung und ein Erkennen von Umrissen ermöglicht und somit die Sehfähigkeit zumindest zu einem Bruchteil wiederhergestellt.9
Bei einer Gentherapie wird das mutierte Gen entweder repariert oder durch ein nicht mutiertes Gen ersetzt, um ein gesundes Gen in die Netzhautzellen einzubringen und so die fehlende Proteinprodukte wiederherzustellen.12 Betroffene können sich zum aktuellen Stand der Forschung und zu laufenden klinischen Studien zum Beispiel über die Selbsthilfevereinigung PRO RETINA Deutschland e. V. informieren.13
Der langsame Verlust des Sehvermögens belastet oftmals auch die Psyche der Betroffenen, sodass Depressionen bei Patient:innen mit RP nicht selten sind. Um die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern, müssen psychische Belastungen erkannt und den Patient:innen Unterstützung angeboten werden.7 Einige Unterstützungsmöglichkeiten bieten zum Beispiel Selbsthilfevereinigungen oder Selbsthilfegruppen.
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