Erfahre jetzt auch mehr über Alexandra auf Instagram!
Ich hatte nach einem Wochenende, an dem ich viel gefeiert hatte, starke Schmerzen im Auge. Dann habe ich Doppelbilder und ein Schleiersehen bekommen – als hätte ich weiße Fäden vor den Augen. Das konnte nicht mehr nur mit dem Kater zusammenhängen. Daraufhin bin ich zum Augenarzt gegangen, der mich zum Neurologen geschickt hat, der mich wiederum ins Krankenhaus überwies. Dort wurde festgestellt, dass ich eine Sehnerventzündung habe – ein klassisches Erstsymptom bei MS. Dadurch, dass beim MRT viele weitere Vernarbungen gefunden wurde, von denen ich vorher gar nichts gemerkt habe, wurde sofort die Diagnose MS gestellt. Von Monat zu Monat sind immer mehr körperliche Ausfälle dazu gekommen: Plötzlich war meine Hand taub, dann hat etwas gekribbelt, dann war ein anderes Körperteil taub und dann hat es angefangen, dass ich nicht mehr richtig gehen konnte.
Als ich die Diagnose bekommen habe, kam erstmal die Phase der Verdrängung. Ich war eher gefühlskalt. Ich habe es weit von mir weggeschoben und mich gar nicht damit beschäftigt. Aber dadurch, dass immer mehr Symptome hinzugekommen sind und ich körperlich eingeschränkt war, konnte ich die Krankheit nicht lange verdrängen.
Das war ein ziemliches Gefühlschaos, sodass dann Wut auftrat und das „dagegen ankämpfen wollen“: „Ich will die Krankheit nicht haben“. Das hat aber nicht funktioniert und Trauer folgte. Wobei man Wut und Trauer nicht ganz voneinander abgrenzen kann, das war ein Auf und Ab. Mal war ich wütend, dann wieder traurig. Da waren sehr viele Gefühle, die immer wieder hochgekommen sind, sodass ich Zeit gebraucht habe, mich mit der Multiplen Sklerose richtig auseinanderzusetzen. Aber die Phasen waren: Verdrängung, Wut, Trauer und dann kam die Akzeptanz.
2017 hatte ich sehr viele Schübe, die auch nicht aufgehört haben, sodass ich körperlich richtig eingeschränkt war. Ich konnte nicht mehr das machen, was ich vorher gerne gemacht habe. Durch meine Schübe, also Entzündungen in der Brustwirbelsäule, waren meine Beine eingeschränkt. Gegen die Schübe gibt es eine Kortison-Stoßbehandlung, die die Beschwerden mildern kann. Das war bei mir aber nicht der Fall: Das Kortison und die Therapie haben nicht gewirkt. Es sind immer mehr Schübe entstanden, woraufhin von der Brust bis zu den Zehen alles taub geworden ist. Das war auch unglaublich schmerzhaft. Es hat sich angefühlt, als ob meine Beine mit Messern durchstochen werden. Und das ging ein dreiviertel Jahr so. Es hat nichts geholfen und ich konnte nicht richtig laufen. Aber das habe ich mit mir selbst ausgemacht, habe allen gesagt, dass alles gut und nicht so schlimm ist. Und dann kam der Moment, in dem ich mich so hilflos gefühlt habe, dass ich in eine Essstörung gerutscht bin, weil ich dachte ich könnte mir die Kontrolle, die ich über meinen Körper verloren habe, woanders herholen. Ich dachte, ich könnte mein Gefühl kompensieren. Das waren nochmal zwei Jahre, die sehr heftig waren. Erst dann kam der Moment, in dem ich so fertig mit der Welt war, dass ich mir gesagt habe: Ich muss jetzt etwas verändern.
Als es mir richtig schlecht ging, habe ich mich bewusst entschieden, genau hinzuschauen: Wer bin ich eigentlich und wie fühle ich mich? Das hat zwei Jahre gedauert. 2019 habe ich zum ersten Mal gemerkt: Es ist okay, dass ich MS habe. Das ändert nichts an meinem Dasein oder meiner Daseinsberechtigung. Außerdem bin ich über die Essstörung sehr dankbar, weil ich dadurch meinen Blick darauf gerichtet habe, wie ich mit mir selbst umgehe und was mein Körper braucht – auch hinsichtlich der MS, um nicht weiter krank zu werden. Ich habe mir zudem auch Hilfe geholt. Heute bin ich in der Phase der Akzeptanz und kann Themen – auch Tabu-Themen – ganz anders kommunizieren und wahrnehmen als in der Phase meiner Ignoranz.
Ja, ich war in einer Beziehung, aber auch da habe ich das Thema MS und Krankheit ignoriert und schöngeredet. Das hatte verschiedene Gründe. Zum einen war mein Partner sehr besorgt. Zum anderen war das auch eine Beziehung, die schon durch körperliche Probleme meines Partners vorbelastet war. Ich habe gedacht, die Beziehung könnte das nicht aushalten, wenn ich auch krank bin. Und da ich der Überzeugung war, dass es sowieso nicht so schlimm ist, habe ich das meinem damaligen Partner so kommuniziert, auch um ihn zu schützen. Er hat von Anfang an sehr wenig gefragt und ich habe schon früh gemerkt, dass mein Partner damit sehr schlecht umgehen kann. Also habe ihm gegenüber so getan als würde ich das alles super allein klären können, als müsste er sich absolut keine Sorgen machen. Wir haben uns anderthalb Jahre nach der Diagnose getrennt, aber meine MS war nicht der Grund.
Ich hatte verschiedene Dates, aber hatte keine Regelung, an welchem Punkt ich sage, dass ich MS habe. Wenn es nur kurze Dates waren, bei denen ich wusste, das wird nichts Festes, habe ich die MS nie angesprochen. Allein weil ich auch die Erfahrung gemacht habe, dass wenn ich das thematisiert habe, die Männer ruckzuck weg waren. Deswegen habe ich gedacht, wenn ich nichts sage, kann mir auch keiner davonlaufen. Das klingt im Nachhinein natürlich unglaublich traurig. Ansonsten habe ich das nach Gefühl gemacht. Wenn es eine Person war, bei der ich mich nicht sicher oder gar unwohl fühlte, dann habe ich nichts gesagt. Wenn ich erzähle, dass ich eine körperliche Krankheit mit jungen Jahren habe, biete ich Angriffsfläche und mache mich damit sehr verletzlich. Deswegen habe ich immer geschaut: Wer ist da gerade in meinem Leben und kann oder möchte ich das dieser Person sagen?
Das war über eine Dating-App. Ich war mit mir selbst zu dem Zeitpunkt schon viel weiter. Das war die Zeit, in der ich mich zum ersten Mal mit mir, mit meinem Körper, mit der Erkrankung und mit der Essstörung auseinandergesetzt habe. Ich habe auf der Dating-Plattform in meinem Profil meinen Blog verlinkt, bei dem offensichtlich ist, dass ich Multiple Sklerose habe. Mein Dating-Partner wusste so schon direkt, worauf er sich einlässt. Und das Date lief so ab, dass er mich viel gefragt hat. Das war erst etwas befremdlich, weil ich das so nicht kannte. Ich habe dann ehrlich geantwortet, was ich vorher auch noch nie gemacht hatte. So hatte diese Beziehung von Anfang an eine sehr gute Grundlage. Ich war bereit mich mit meinem ganzen Dasein zu präsentieren, so wie ich jetzt bin, ohne irgendwas zu ignorieren oder zu verstecken.
Vor und nach der Diagnose auf jeden Fall. Das hatte zwei Gründe. Zum einen: Vor der Diagnose hatte ich noch keine körperlichen Einschränkungen – wenn ich körperlich fit war bzw. auch jetzt zwischendurch bin, dann ist das Lustempfinden ein ganz anderes, als wenn ich körperlich eingeschränkt bin oder Schmerzen habe. Zum anderen: Bezüglich Hingabe und Vertrauen hat sich auch definitiv etwas verändert. Vor der Diagnose war Sexualität bei mir so ausgeprägt, dass ich es einfach gemacht habe. Ich habe gedacht, dass es als Frau einfach dazu gehört. Man müsse mit dem Mann schlafen. Das habe ich damals auch gemacht, ohne, dass ich bewusst dabei war. Dabei habe ich meinen Körper auf eine Art und Weise einfach freigegeben. Nach der Diagnose ist es so, dass ich mich mit einem ganz anderen Bewusstsein einem Mann zuwende, weil ich ein ganz anderes Körperempfinden habe.
Ich habe das gelernt, als ich mich 2018 damit auseinandergesetzt habe. Vor allem mit so Themen wie: Grenzen setzen, Bedürfnisse erkennen, für sich selbst einzustehen. Sich selbst zu vertrauen hat viel damit zu tun, wie viel Wert man sich selbst gibt.
Dann habe ich erstmal überlegt, was ich eigentlich wert bin. Zu diesem Zeitpunkt habe ich mich das erste Mal damit auseinandergesetzt. Das habe ich vorher nie getan. Ich habe viel gefeiert und ungesund gelebt. Ich habe rückblickend geschaut, wie ich die letzten Jahre gelebt habe und wie ich mit mir umgegangen bin. Dann habe ich festgestellt: unglaublich schlecht. Dann habe ich gedacht, so will ich das nicht. Ich bin doch so viel mehr, als wie ich mit mir umgegangen bin. Und das war ein krasser Prozess und ich bin immer noch drin. Vielleicht hört dieser Prozess auch nie auf – ich weiß es nicht. Aber es macht Spaß, weil es sehr viel mit Wachstum zu tun hat und ich immer mehr entdecke, wer ich bin und wer ich sein kann und wie wichtig es ist, Grenzen zu setzen und wie wichtig auch das Thema Selbstliebe ist.
In meiner letzten Beziehung war es schon so, dass ich sehr offen kommuniziert habe. Und ich habe das gelernt, in dem ich das einfach gemacht habe. Ich möchte eine Partnerschaft führen, in der ich mich nicht verstecken muss, in der ich ganz ich selbst sein kann. Und der einzige Weg dahin ist die offene Kommunikation und der offene Umgang. Und natürlich macht man sich damit angreifbar oder verletzlich, weil man einen Teil von sich preisgibt, der sehr ängstlich ist. Es ist ein Risiko aber gleichzeitig ein wunderschönes Geschenk, wenn dein Partner das annimmt und akzeptiert. Da sind wir wieder beim Thema „Grenzen und Bedürfnisse kommunizieren“. Das ist so unglaublich wichtig. Ich kann nicht davon ausgehen, dass mein Partner die ganze Zeit weiß, was in mir vorgeht. Das heißt in erster Linie muss der Betroffene aktiv werden. Ich finde es auch wichtig zu erwähnen, dass der Weg ein Tabu zu brechen der ist, darüber zu sprechen. Es ist vor allem bei vielen Betroffenen so – das erlebe ich immer wieder – dass sie sehr traurig darüber sind, wenn man nicht über etwas sprechen darf, weil es ein Tabuthema ist. Und ich bin mittlerweile an dem Punkt – durch die ganzen Erfahrungen, die auch ich gemacht habe – dass ich sage, irgendwer muss ja auch den Anfang machen. Und die Nicht-Betroffenen können nicht den Anfang machen, weil sie gar nicht wissen, dass es überhaupt ein Tabuthema ist. Also um ein Tabu zu brechen, muss die Person aktiv werden, die in dieses Thema involviert ist. Sonst funktioniert das nicht.
Nimm dir Zeit, dich selbst zu lieben.
Nimm dir die Zeit, in dich hineinzuhören. Wer bist du? Was wünscht du dir von deinem Leben und wie gehst du mit dir um? Es gibt viele Bücher zum Thema Selbstliebe, die dir ebenfalls helfen können, dich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Fühle in deinen Körper hinein und höre ihm zu.
Geh in Kommunikation mit deinem Körper. Fühle in ihn hinein und schau, wie es deinem Körper geht und was er braucht.
Hol dir professionelle Hilfe, um über die MS zu sprechen.
Über die Erkrankung nachzudenken ist das eine, aber darüber zu sprechen und auch ins Handeln zu kommen, ist der ausschlaggebende Punkt. Professionelle Hilfe an deiner Seite zu haben, kann dir dabei helfen, einen guten Umgang mit der Erkrankung zu finden.
Es ist deine Entscheidung, wann du die MS das erste Mal ansprichst.
Es gibt keine feste Regel, wann du deine Erkrankung bei Dates oder in einer neuen Beziehung ansprechen solltest. Gehe nach Gefühl und entscheide situativ, ob und wie du deine Erkrankung kundgibst, je nachdem wie du dein Gegenüber einschätzt.
Sei du selbst und kommuniziere offen über deine Bedürfnisse und Gefühle.
Der einzige Weg eine Partnerschaft zu führen, in der du ganz du sein kannst, ist die offene Kommunikation und der offene Umgang mit der Erkrankung. Auch wenn man seine verletzliche Seite preisgibt, ist es ein tolles Gefühl, wenn dein Partner oder deine Partnerin dich akzeptiert, wie du bist.
Nur du kannst aktiv werden und Tabuthemen ansprechen.
Nicht-Betroffene können bei sensiblen Themen nicht den Anfang machen, weil sie nicht wissen können, was in dir vorgeht. Daher ist es wichtig, dass du selbst aktiv wirst, um Tabuthemen anzusprechen.
Bestimmte Übungen und Rituale können dein Bewusstsein stärken.
Es gibt verschiedene Achtsamkeitsübungen oder Meditationen, die dir helfen können, dein Selbstbewusstsein zu stärken. Aber auch Yoga kann dich unterstützen, dich stärker mit deinem Körper und deinen Gefühlen auseinanderzusetzen. Baue die Übungen, die am besten zu dir passen, am besten in deine tägliche Routine ein.
Man sollte die Erkrankung auf keinen Fall ignorieren.
Jeder Mensch reagiert anders auf Hilfe. Daher ist es wichtig, sich vorsichtig heranzutasten und zu schauen, wie der Betroffene auf gewisse Themen reagiert. Ignorieren sollte man die Erkrankung jedoch niemals, auch wenn Betroffene behaupten, es ginge ihnen gut.
Es ist wichtig zu schauen, wo der Betroffene momentan steht.
Jeder Mensch geht unterschiedlich mit Krankheiten und Herausforderungen um. Du solltest versuchen herauszufinden, in welcher Krankheitsakzeptanzphase sich der oder die Betroffene momentan befindet. Denn das ist ausschlaggebend dafür, wie die Person auf bestimmte Themen reagieren wird.