Gliederung der Podcastfolge:
Angy [00:00:32] Herzlich willkommen zu unserer neuen Folge von „Sprich’s aus! Bei MS“. Ich freue mich sehr, dass ihr wieder dabei seid. In diesem Podcast sprechen wir über Themen rund um Multiple Sklerose, tauschen Erfahrungen aus und geben Tipps für das Leben mit MS. Heute spreche ich mit Lea Beutnagel darüber, wie sie mit der MS in ihrem Studium zurechtkommt und wie man auch mit MS sein Ding machen und seine Träume und Ziele weiterverfolgen kann. Herzlich willkommen, liebe Lea. Hallo, schön, dass du da bist!
Lea [00:01:03] Hallo! Vielen Dank für die Einladung.
Angy [00:01:06] Sehr gerne. Ich freue mich, dass du dir heute Zeit genommen hast, um in unserem Podcast Gast zu sein und darauf, dass wir beide heute miteinander sprechen und du uns von deinen Erfahrungen und deinem Umgang mit der MS erzählst. Stell dich doch gerne einmal vor.
Lea [00:01:23] Hallo, ich heiße Lea, bin 23 Jahre alt und komme aus Süd-Niedersachsen aus einem kleinen Dorf. Ich studiere momentan noch und sitze gerade an meiner Bachelorarbeit – bin dann also auch bald fertig mit meinem Studium. Die Diagnose MS habe ich jetzt seit etwas mehr als zwei Jahren. Genauer gesagt seit dem 28. Mai 2019. Das Datum kann ich mir sehr gut merken. In meiner Freizeit, wenn ich mich nicht gerade mit meinem Studium oder meiner MS beschäftige, dann bin ich leidenschaftliche Konzert- und Festival-Geherin, was ja im Moment leider ein bisschen schwierig ist, aber ich hoffe, das wird dann auch bald wieder funktionieren.
Angy [00:02:04] Ich danke dir ganz herzlich für deine Vorstellung. Dann beginnen wir auch direkt. Ich würde gerne von dir wissen – wenn du dich an die Zeit vor der Diagnose zurückerinnerst – wann du das erste Mal gedacht hast, dass da irgendetwas nicht stimmt. Wie haben sich die ersten Symptome bei dir geäußert?
Lea [00:02:23] Bei mir hat es ganz typischerweise mit Doppel-Bildern angefangen. Also ich bin morgens aufgestanden und habe auf einmal alles doppelt gesehen. Ich konnte mir das zuerst nicht so richtig erklären und habe dann natürlich gedacht, dass ich wahrscheinlich eine neue Brille brauche. Ich war dann auch beim Augenarzt, der hat aber auch nichts herausgefunden. Dann dachte ich, dass der Uni-Stress der Grund dafür sein könnte – ist ja auch immer ziemlich stressig. Irgendwann konnte ich dann aber die komplette rechte Seite meines Körpers gar nicht mehr richtig spüren. Meine komplette rechte Körperhälfte war irgendwann taub und da wusste ich, dass irgendwas nicht so ganz in Ordnung ist.
Angy [00:03:07] Und wie lange hat es dann gedauert, bis bei dir die Diagnose MS letztendlich gestellt werden konnte?
Lea [00:03:13] Das ging tatsächlich total schnell bei mir. Ich war dann bei meinem Hausarzt, der mich sofort ans Krankenhaus verwiesen hat. Ich wurde da dann auch sofort stationär aufgenommen. Und dann hat es tatsächlich nur eine halbe Woche gedauert, bis ich die endgültige Diagnose hatte. Also bei mir ging es tatsächlich sehr schnell.
Angy [00:03:33] Das ging echt schnell. Wahnsinn! Was wusstest du denn zu diesem Zeitpunkt schon über MS?
Lea [00:03:39] Ich kannte die Krankheit tatsächlich schon, weil wir die MS auch in der Familie haben. Ich bin also mit der Krankheit mehr oder weniger aufgewachsen. Deswegen wusste ich zum Beispiel auch schon, dass die MS auch die Krankheit der 1000 Gesichter genannt wird und auch, dass es nicht heißt, dass ich ab morgen im Rollstuhl sitze. Sondern, dass es auch ganz anders verlaufen kann. Es war auf jeden Fall schon ein großer Vorteil diese Horrorvorstellung, die manche bei MS im Kopf haben, nicht zu haben, weil ich wusste, dass man mit der Diagnose MS auch ganz normal leben kann
Angy [00:04:23] Nun hattest du ja wirklich eine sehr kurze Wartezeit bis zur Diagnose-Erstellung. Welche Gefühle hattest du in dieser kurzen Zeit?
Lea [00:04:34] Es war natürlich diese Ungewissheit. Was ist da jetzt los? Man geht erst mal vom Schlimmsten aus und denkt: Oh Gott, was kommt da jetzt auf mich zu? Verändert sich jetzt mein komplettes Leben? Und Angst war natürlich ein Gefühl, was mich die ganze Zeit begleitet hat. Ich muss dazu sagen, dass ich einen Tag nachdem ich ins Krankenhaus gekommen war, schon die Verdachtsdiagnose MS bekommen habe. Am Donnerstag bin ich ins Krankenhaus gekommen und am Freitag kam dann der Arzt zu mir und sagte: „Wir denken, dass das MS sein könnte. Wir müssen aber noch ein paar Untersuchungen machen.“ Ich hatte praktisch das komplette Wochenende Zeit, um mir Gedanken zu machen. Das war auch ein bisschen doof, dass dazwischen direkt ein Wochenende lag und es dann erst einmal nicht voranging. Am nächsten Dienstag hatte ich dann die Diagnose. Da hatte ich mir dann schon Gedanken darüber gemacht: Was wäre, wenn ich jetzt MS habe? Wie geht es dann weiter?
Angy [00:05:33] Wie ging es dann weiter? Wie war es, als es ausgesprochen war?
Lea [00:05:38] Ich muss sagen, als ich die Verdachtsdiagnose bekommen habe, ging es mir schlechter als zu dem Zeitpunkt, an dem ich die richtige Diagnose bekam. Als es dann bestätigt wurde, war ich relativ gefasst. Da war es dann nur noch die endgültige Bestätigung, dass es das jetzt wirklich ist. Ich war froh darüber, dass es nichts noch Schlimmeres war und, dass mir gesagt wurde: „Nein, das ist es doch nicht. Wir müssen noch mal weiter gucken.“ Ich glaube, das wäre noch viel schlimmer für mich gewesen. Wie gesagt, ich hatte mich dann nach der Verdachtsdiagnose schon richtig ausgeheult und als die endgültige Diagnose dann da war, habe ich gedacht: Okay, und wie geht es jetzt weiter? Was kann ich jetzt machen?
Angy [00:06:18] Wie ging es denn dann weiter? Du hattest dann die Diagnose und du hast ja gerade auch schon erzählt, dass du bereits Erfahrung mit der MS gemacht hast, weil das in deiner Familie auch ein Thema ist. Was ist danach passiert?
Lea [00:06:29] Ich war dann ein bisschen naiv und habe gedacht: „Na gut, komm, ich bin jetzt noch eine Woche krankgeschrieben, kriege dann mein Medikament und dann kann ich wieder ganz normal weiterleben.“ So war es dann aber natürlich nicht. Ich habe die Diagnose im Zuge meines ersten Schubes bekommen. Diese Doppel-Bilder und diese Taubheit, das waren die Symptome meines ersten Schubes. Nach ungefähr zwei Wochen war ich dann wieder im Krankenhaus mit meinem zweiten Schub und so ging es dann leider auch weiter. Ich hatte von Mai bis Ende September/Anfang Oktober insgesamt fünf Schübe und war in der Reha, weil ich das Laufen verlernt hatte. Ich war also komplett unselbstständig und konnte nichts mehr allein machen. Ich hatte teilweise so wenig Kraft in meinen Händen, dass ich nicht mal ein Brötchen aufschneiden konnte oder mir einen Zopf machen konnte. Vielleicht kann man sich das so gut vorstellen: Ich habe versucht, mit meinen Händen einen Zopf-Gummi auseinander zu ziehen und das hat nicht geklappt. Selbst dafür hatte ich keine Kraft. Außerdem hatte ich die ganze Zeit über Probleme mit meinen Augen. Es ging einfach erst mal bergab und ich musste dann praktisch so ziemlich alles irgendwie noch einmal neu lernen. Vor allem das Laufen lernen war ein totaler Kraftakt. Die MS hat sich erstmal ganz schön ausgetobt an meinem Körper.
Angy [00:07:54] Wie hat sich denn dein Umgang mit der MS in den letzten Jahren verändert?
Lea [00:08:04] Es hat sich verändert, dass ich am Anfang, als es so schlimm war, mit den ganzen Schüben und den ganzen Einschränkungen, die MS gehasst habe. Ich habe die ganze Zeit versucht, gegen diese Krankheit anzukämpfen. Ich wollte das alles nicht. Ich wollte selbstständig sein und einfach nicht auf Hilfe angewiesen sein, weil ich das vorher auch nie war. Davor war ich ja auch selbstständig und von jetzt auf gleich funktionierte es einfach nicht mehr. Mittlerweile ist es so, dass ich versuche, mit der MS zu leben, die MS in meinen Alltag zu integrieren und nicht mehr so gegen sie anzukämpfen, weil ich ja auf die harte Tour gelernt habe, dass das nichts bringt. Man kann nicht gegen diese Krankheit ankämpfen. Wenn man sie hat, ist sie nun mal da und man muss dann lernen, mit ihr zu leben.
Angy [00:08:51] Was hat dich da unterstützt – auf diesem Weg, das anzuerkennen?
Lea [00:08:58] Ich hatte vorhin ja schon erwähnt, dass wir die MS in der Familie haben und ein Familienmitglied im Besonderen hat mir da wirklich sehr, sehr viel Kraft gegeben. Einfach dadurch, dass er mir den Umgang mit der MS so gut vorgelebt hat. Ich habe das noch nie erlebt, dass dieser Mensch über seine Krankheit gemeckert hat. Er war auch immer so drauf: „Okay, ich habe es jetzt und damit müssen wir irgendwie leben. Dann ist das jetzt halt so.“ Er hat mir das so gut vorgelebt und tut es auch heute noch. Ich höre ihn nie schimpfen. Er ist einfach nur zufrieden über die Dinge, die er noch erleben kann und über die Dinge, die er hat. Auch mit Kleinigkeiten ist er schon total zufrieden. Mit ihm hatte ich direkt ein super Vorbild, was auch in meinem direkten Umfeld war. Gerade dadurch, dass ich ihn nicht nur, beispielsweise aus dem Internet kannte, und er somit praktisch dabei sein konnte, hat er mir einfach sehr viel Kraft geschenkt. Ich weiß, dass er mir auf jeden Fall sehr viel geholfen hat.
Angy [00:10:02] Wie schön, das freut mich sehr für dich. Ich weiß ja, dass du seit einiger Zeit bei Instagram unterwegs bist und dort unter dem Namen „unheilbar glücklich“ aktiv bist und auch offen über deine MS sprichst. Was hat dich dazu bewogen, diesen Schritt zu gehen?
Lea [00:10:20] Bevor ich mit Instagram angefangen habe, habe ich erst mal mit meinem Blog angefangen. Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich in einer sehr kurzen Zeit so viel erlebt habe, mit dem ich klarkommen muss, das ich verarbeiten muss. Es war bei mir tatsächlich schon immer so, dass ich Dinge am besten durchs Schreiben verarbeiten konnte. Deshalb kam mir irgendwann der Gedanke: „Hey, fang doch mal mit einem Blog an, in dem du einfach deine ganzen Gedanken aufschreiben kannst.“ Dann habe ich gedacht, dass ich zu dem Blog vielleicht auch noch einen Instagram Account machen kann. Ich bin auch wirklich mit dem Gedanken rangegangen, dass wenn es niemand liest, mir das total egal ist. Hauptsache, mir hilft es jetzt und ich werde meine ganzen Sorgen los. Im Endeffekt hat es doch Leute interessiert und ich bin da dann mit anderen betroffenen Menschen in Kontakt gekommen, was mir auch viel geholfen hat und mir immer noch total viel gibt. Wenn man sich mit anderen Betroffenen über das Thema unterhalten kann, merkt man, man ist nicht allein damit.
Angy [00:11:30] Bei dir ist es ja auch so, dass du die MS bisher größtenteils während der Pandemie erlebt hast. Wie war das für dich?
Lea [00:11:38] Zwiegespalten, würde ich sagen. Es war am Anfang auf jeden Fall sehr, sehr schwierig für mich. Anfangs hat mich die MS an mein Zuhause, an meine Wohnung gefesselt, weil ich zum Beispiel nicht mehr allein die Treppen heruntergehen konnte. Da musste immer jemand aufpassen, weil meine Beine eben nicht mehr so richtig wollten. Irgendwann ging das dann wieder, im wahrsten Sinne des Wortes. Dann hat mich aber die Pandemie an mein Zuhause gefesselt und ich konnte nicht mehr herausgehen. Das war ziemlich schwer für mich am Anfang. Ich hatte mich so darauf gefreut: „Endlich geht es wieder los mit dem Studium und endlich kann ich meine Freunde wieder mehr sehen.“ Wir kennen es alle – als Corona kam, ging es natürlich nicht mehr. Man hat dann sehr viel Zeit, um zuhause nachzudenken, was gut sein kann. Es kann aber auch sehr schlecht sein, je nachdem in welche Richtung die Gedanken gerade gehen. Ich glaube, dass es einerseits ein großer Vorteil war, dass ich die Zeit hatte, mich mit meiner Krankheit anzufreunden. Andererseits bin ich dann auch ein bisschen in ein Loch gefallen und habe keinen richtigen Ausweg gesehen. Ich wusste nicht, wie es mit der Pandemie weitergeht, auch, weil es etwas viel Größeres war als meine Krankheit, denn von meiner Krankheit war nur ich betroffen und von dieser Pandemie war die komplette Welt betroffen. Das war erst einmal eine hoffnungslose Situation für mich.
Angy [00:13:16] Was denkst du wäre anders gewesen, wenn nicht beides gleichzeitig gekommen wäre? Hast du eine Idee?
Lea [00:13:23] Ich glaube, dass ich mich auf jeden Fall nicht so sehr mit der Krankheit auseinandergesetzt hätte. Ich weiß ja, wie ich vor der Diagnose war und da war es halt einfach so. Ich hatte mein Studium, habe da nebenbei noch gearbeitet – zwei Jobs sogar – und ich habe mir halt nie eine Pause gegönnt. Ich dachte immer, dass ich faul bin und meine Zeit verschwende, wenn ich eine Pause mache. Ich könnte mir vorstellen, dass ich ohne die Pandemie wieder in das alte Muster verfallen wäre, und das hätte mir auf jeden Fall überhaupt nicht gutgetan. Das wäre nicht gut gewesen. Deshalb bin ich schon ein bisschen froh, dass ich da gestoppt wurde, auch wenn ich das in diesem Moment natürlich nicht toll fand. Es war auch positiv, dass ich dann so viel Zeit hatte, um mich mit der Krankheit auseinanderzusetzen. Das Negative war, dass ich so allein war. Ich wohne mit meinem Freund zusammen, aber der musste auch die meiste Zeit des Tages arbeiten. Auch Familie und Freunde waren natürlich für mich da, aber man konnte sich nicht immer treffen, so wie man das wollte. Und auch die haben ja zu tun mit ihrer Arbeit, ihrem Studium, ihrer Ausbildung usw. Ich glaube, ein bisschen Gesellschaft hätte mir vielleicht manchmal doch gutgetan. Aber da ist es dann auch wieder gut, dass wir heutzutage so tolle Möglichkeiten haben, uns über sämtliche Apps zu unterhalten.
Angy <[00:15:01] Ich würde mit dir gerne auch über dein Studium sprechen und da würde ich gerne als Erstes wissen: Was studierst du, Lea?
Lea [00:15:06] Ich studiere Germanistik und allgemeine Sprachwissenschaft.
Angy [00:15:10] Ja, und jetzt genau, du hast es ja gerade angesprochen: Pandemie. Also schätze ich jetzt mal, dass du auch den größten Teil deines Studiums, zumindest in der letzten Zeit, online absolviert hast. Ist das richtig?
Lea [00:15:23] Ja, genau. Den größten Teil meines Studiums habe ich aber in Präsenz absolviert. Weil die MS leider kurz vor Schluss meines Studiums kam, hat sie mich da komplett rausgerissen und alle meine Pläne zerstört. Ja, aber die letzten eineinhalb Jahre bin ich nur im Homeoffice.
Angy [00:15:44] Okay, das heißt, du hast studiert und kurz bevor dein Studium zu Ende war, hast du dann die Diagnose bekommen. Was waren denn dann deine ersten Gedanken mit Blick auf dein Studium und auch deine damit verbundenen Zukunftspläne?
Lea [00:15:58] Ich weiß noch, dass die erste Frage, die ich dem Arzt, der mir die Diagnose überbracht hat, gestellt habe, war: „Kann ich mit MS noch studieren?“ Es ging mir zuerst gar nicht darum, wie sich die Krankheit auf meinen Körper auswirken wird oder was sich an meinem Körper verändern wird, sondern nur darum, ob ich weiterhin studieren kann. Kann ich mir trotzdem noch meine Träume erfüllen? Als der Arzt dann gesagt hat: „Ja klar, überhaupt gar kein Problem. Heutzutage hat man die besten Möglichkeiten, dass das alles funktioniert.“ Da ist mir auf jeden Fall schon mal ein Stein vom Herzen gefallen. Es war zwar leicht gesagt, aber es ist doch nicht so leicht gemacht. Also das musste ich dann auch feststellen.
Angy [00:16:38] Welche Hürden gab es da zu nehmen? Könntest du mir davon etwas erzählen?
Lea [00:16:42] Ich bin von Fatigue betroffen, also dieser extremen Müdigkeit, die man auch nicht mit einer normalen Müdigkeit von gesunden Menschen vergleichen kann. Genau die bringt auch Kognitionsstörungen mit sich. Manchmal ist es dann einfach superschwierig sich wirklich zu fokussieren, sich zu konzentrieren. Wenn man einen Text liest, dann denkt man sich irgendwann: „Hey, was habe ich denn hier gerade gelesen? Was stand da jetzt in dem letzten Absatz, den ich die letzte halbe Stunde lang gelesen habe“? Diese Konzentrationsschwächen und diese Fatigue, sind natürlich solche Hürden. Wenn ich mich morgens an den Schreibtisch setze, und meinen Laptop aufklappe, denke ich manchmal: „Okay, du könntest jetzt direkt schon wieder ins Bett gehen.“ Ich fühle mich dann so, als hätte ich schon einen kompletten Tag nur am Laptop gearbeitet und ja, das ist dann alles nicht so einfach.
Angy [00:17:39] Inwieweit hast du denn deine Professoren und auch Kommiliton:innen in dein Leben mit der MS involviert?
Lea [00:17:48] Tatsächlich gar nicht so sehr, muss ich sagen. Das ist ja ein Vorteil des Uni-Unterrichtes über das Internet. So können die Leute nicht sehen, dass ich krank bin. Und da kommen dann auch gar keine Nachfragen. Dadurch, dass ich generell ein Jahr lang aussetzen musste, wegen MS – ich habe mein Studium ein Jahr lang pausiert – waren die Leute, mit denen ich angefangen hatte zu studieren, alle schon fertig. Das waren dann generell ganz neue Leute, mit denen ich dann zusammengekommen bin. Die Dozent: innen, die wechseln ja auch immer. Ein paar wussten von meiner MS, da ich die Diagnose auch mitten im Semester bekommen habe. Ich habe sogar noch in der Notaufnahme gesessen und habe ein Buch für die Uni gelesen, weil ich dachte, dass ich in zwei Wochen wieder ganz normal in der Uni sei. Da mussten ein paar Sachen eben noch geklärt werden. Ich hatte dann eigentlich ein Referat, das ich hätte halten sollen und so weiter. Da musste ich den Dozenten dann Bescheid geben, wieso ich erst einmal nicht mehr zur Uni kommen kann. Das wurde dann auch einfach so aufgenommen, weder positiv noch negativ. Es war halt okay: „Ich wünsche Ihnen alles Gute, die Gesundheit geht vor. Ruhen Sie sich erst mal aus, das ist viel wichtiger und wir freuen uns, wenn Sie dann wiederkommen.“
Angy [00:19:21] Welche Sorgen oder Befürchtungen hat es bei dir dabei gegeben, das Thema überhaupt anzusprechen?
Lea <[00:19:26] Erst einmal, wie ich schon gesagt habe, dass es einem nicht geglaubt wird. Ich glaube, diese Krankheit wird oft einfach mit älteren Leuten in Verbindung gebracht. Ich musste mir auch oft anhören: „Ach MS? Du bist doch aber noch so jung.“ So etwas passiert dann leider. Aber sonst muss ich sagen, hatte ich keine großen Befürchtungen. Weil ich, als ich nach einem Jahr Pause wieder angefangen habe, schon genug Zeit hatte, um das Thema für mich selbst zu verarbeiten und mir meine Gedanken dazu zu machen. Da war ich dann schon so weit, dass ich wusste, dass es nicht meine Schuld ist, sollten negative Reaktionen kommen. Sondern, dass das Problem dann eher bei der Person liegt, die negativ reagiert, weil sie wahrscheinlich nie zu dem Thema aufgeklärt wurde. Aber ich muss sagen, dass ich tatsächlich nie negative Reaktionen bekommen habe, als ich das Kommilitonen oder Kommilitoninnen erzählt habe. Die Reaktionen waren dann immer: „Okay, krass. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, aber richtig cool, dass du jetzt wieder weiter studierst. Ich freue mich total für dich und ich hoffe, dir geht es gut.“ Von Dozenten kam dann, wie gesagt, immer eine Reaktion wie: „Ich hoffe, es geht Ihnen gut. Wenn irgendwas ist, dann sagen sie mir Bescheid.“ Manche haben mir sogar noch ihre Hilfe angeboten. Da hatte ich tatsächlich auch ein sehr schönes Erlebnis, über das ich mich wirklich sehr gefreut habe. Und zwar hatte ich einen Dozenten noch einmal, den ich schon in dem Semester hatte, in dem ich mein Studium wegen meiner MS pausieren musste. Ich habe auch bewusst ein Seminar bei ihm gewählt, weil ich wusste, dass er das mit meiner Erkrankung auch weiß und auch ganz cool darauf reagiert hat. Ich hatte dann eine Sprechstunde bei ihm, in der es darum ging, ein Präsentationsthema zu finden – das muss man dann immer erst besprechen. Und dann sagte er zu mir: „Frau Beutnagel, mich beschäftigt das ja schon mit Ihrer Krankheit. Ich habe mich jetzt auch mal ein bisschen belesen, denn ich kannte die Krankheit vorher gar nicht. Darf ich Ihnen noch mal ein paar Fragen stellen? Ist das für Sie in Ordnung?“ Und dann habe ich mir gedacht: „Wie cool ist das denn?“ Also wir haben ja keine persönliche Bindung zueinander und jetzt, wo eine Studentin von ihm diese Krankheit hat, hat er sich über die Multiple Sklerose belesen. Also so wünscht man sich das doch. Da war ich wirklich ein bisschen berührt, muss ich sagen.
Angy [00:21:56] Ein schönes Erlebnis! Hast du denn das Gefühl, dass du manchmal anders behandelt wirst? Vielleicht auch von ihm?
Lea <[00:22:04] Überhaupt nicht, muss ich sagen. So ein Gefühl hatte ich wirklich überhaupt noch nicht. Ich habe das Gefühl, dass ich genauso behandelt werde wie alle anderen und darüber bin ich auch sehr froh. Ich will keine Sonderbehandlung haben oder so. Man kann ja alles durch Nachteilsausgleiche sehr gut regeln. Also das Gefühl hatte ich wirklich überhaupt nicht.
Angy [00:22:30] Gibt es denn jetzt Dinge, die du aufgrund der MS in deinem Studium anders machst als vorher? Hat sich da irgendetwas verändert?
Lea [00:22:37] Oh ja, auf jeden Fall. Ich hatte ja vorher schon erwähnt, dass ich vor der Diagnose immer Ruhepausen mit Faulheit assoziiert habe und mir wirklich nie Pausen gegönnt habe. Ich dachte, das müsste ich noch machen und dies müsste ich noch machen. Das ist jetzt auf jeden Fall nicht mehr so! Ich habe gelernt, dass diese Ruhepausen vollkommen in Ordnung sind und, dass ich sie auch brauche, um meinen Akku wieder aufzuladen. Ich habe auch davor immer sehr viel gleichzeitig gemacht, weil ich wollte nicht nur Pause machen, sondern auch alles gleichzeitig machen. Das habe ich auch abgelegt, worüber ich sehr froh bin. Manchmal frage ich mich, warum erst eine chronische Krankheit kommen musste, damit ich das lerne. Aber gut, das ist wieder ein anderes Thema. Genauso einfach ist es, sich nicht selbst zu stressen, sondern sich die Ruhe zu gönnen, die man braucht. Und wenn dann mal an einem Tag einfach gar nichts geht, dann ist das vollkommen in Ordnung so. Dann braucht mein Körper diesen Tag. Ich habe halt einfach gelernt, dass ich auf meinen Körper hören sollte. Der sagt mir schon ganz gut, was er jetzt gerade braucht und was ich eher lassen sollte. Ich höre dann auch auf ihn und das klappt auf jeden Fall sehr viel besser.
Angy [00:23:54] Was hilft dir denn da gegebenenfalls mental oder auch physisch, wenn es dir nicht so gut geht?
Lea [00:24:00] Also physisch habe ich dann zum Beispiel Probleme, wie schwere Beine bei warmem Wetter. Oder, dass mir dann die Hände auch mal wehtun. Da hilft es mir wirklich nur mich einfach hinzulegen und erst einmal nichts mehr zu machen – einen Podcast hören, ein Buch lesen oder auch einfach mal gar nichts machen, sondern sich einfach nur ausruhen. Das hilft mir wirklich am besten, auch wenn es sich nach einem Klischee anhört, aber Ruhepausen helfen. Das habe ich wirklich für mich entdeckt. Mental ist das noch mal eine andere Sache. Da gibt es auch manchmal Tage, an denen es mir mental nicht so gut geht, an denen ich den ganzen Tag am liebsten nur heulen würde. Da hilft mir auf jeden Fall mein Umfeld. Ich habe einen wunderbaren Freund, der immer für mich da ist und mich so gut kennt, dass er genau weiß, wie er mich in der jeweiligen Situation aufmuntern kann und wie er mir helfen kann. Und das klappt dann auch meistens. Meine Familie ist super, meine Freunde sind super. Allein der Gedanke, dass ich weiß, dass ich immer einen Ansprechpartner oder eine Ansprechpartnerin habe, wenn ich jemanden brauche, hilft mir schon sehr.
Angy [00:25:19] Welche Wünsche und Pläne hast du denn dafür, wie es nach deinem Studium weitergehen soll?
Lea [00:25:22] Natürlich wünsche ich mir einen schönen Job, der mir Spaß macht und der sich gut mit meiner Krankheit vereinen lässt. Im selben Zuge wünsche ich mir natürlich auch liebe Kolleg: innen, die meine MS akzeptieren und mit denen ich über MS sprechen kann. Ich wünsche mir auch, dass ich die MS noch besser kennenlernen kann, noch mehr über mich und meinen Körper lernen kann und noch besser darin werde, die Krankheit im Zaum zu halten. Ich wünsche mir, dass sie nie mehr so stark in meinem Körper wüten kann, wie sie das in der Zeit nach meiner Diagnose getan hat. Und ich wünsche mir einfach ein zufriedenes, glückliches Leben zusammen mit meinem Freund und mit der Krankheit, die aber hoffentlich öfter im Hintergrund steht, sodass man sich nicht immer nur auf diese Krankheit konzentrieren muss.
Angy [00:26:19] Und welche konkreten Tipps, liebe Lea, möchtest du denn unseren Zuhörer: innen mit auf den Weg geben? Wie schafft man es mit der MS seine Ziele und Träume nicht aus den Augen zu verlieren und positiv in die Zukunft zu blicken?
Lea [00:26:33] Ich glaube, es ist ganz, ganz wichtig, dass man sich an diesen Tagen, an denen einem alles so negativ und so hoffnungslos vorkommt, einfach mal richtig ausmeckern und in seinem Selbstmitleid suhlen kann, weil es einfach doof ist, dass wir diese Krankheit haben und das sollte auch in Ordnung sein, mal darüber zu schimpfen. Ich finde, man sollte seine Gefühle da auch nicht einfach unterdrücken. Aber man sollte natürlich auch darauf achten, dass man nicht zu lange in diesem Loch drinsteckt, sondern dann auch Strategien für sich entwickelt, wie man sich da wieder herausholen kann. Mithilfe von den Menschen im eigenen Umfeld zum Beispiel. Man sollte auch auf keinen Fall denken, dass, egal welche Ziele man hat, man diese nur wegen der Krankheit nie erreichen kann. Es ist wichtig alles erst einmal zu versuchen. Und ja, es gibt immer Rückschläge im Leben, aber wenn mal etwas nicht funktioniert wie geplant, dann hat man es wenigstens versucht und fragt sich nicht die ganze Zeit, was gewesen wäre, wenn man es doch mal versucht hätte. Nur, weil man diese Krankheit hat, heißt das nicht, dass man automatisch an allem scheitern wird. Man kann auch mit der Krankheit einfach ein gutes, erfolgreiches und zufriedenes Leben führen, da bin ich mir sicher!
Angy [00:27:50] Gibt es auch etwas, das du Nichtbetroffenen mit auf den Weg geben möchtest. Wie sollten sie damit umgehen?
Lea [00:27:56] Hört uns zu und fragt nach! Wenn ihr Fragen habt, ist es vollkommen in Ordnung sie zu stellen, aber akzeptiert, wenn jemand mal eine Frage nicht beantworten möchte. Das sollte natürlich auch vollkommen in Ordnung sein. Das Wichtigste ist zuzuhören, Fragen zu stellen und gerade bei uns Betroffenen, die viele unsichtbare Symptome haben, was dann ein großes Thema ist, nicht nach unserem Äußeren zu urteilen. Man kriegt oft zu hören: „Hey, du siehst aber heute richtig gut aus.“ So, man sieht ja gar nicht anders aus, wenn man MS hat. Diese Sprüche bitte lassen, weil man nicht aus dem Aussehen schließen kann, wie gesund ein Mensch gerade ist oder wie es diesem Menschen gerade im Inneren geht. Es wäre schön, wenn das irgendwann alle verstehen könnten. Das ist zwar ein utopischer Wunsch, aber na ja...
Angy [00:28:50] Wenn du jetzt die Zeit noch mal zurückdrehen könntest, würdest du dann alles wieder genauso machen? Oder gäbe es da Dinge, die du anders machen würdest? Wenn ja, welche?
Lea [00:28:59] Ich würde mich wahrscheinlich nicht mehr so sehr stressen. Auch nach der Diagnose, denn es wird einem natürlich viel auf einmal gesagt: „So hier ist dein Medikament“ und „Du kannst das nicht mehr machen und das nicht mehr machen.“ Am besten sollte man sich immer gesund ernähren, immer Sport machen, aber auch nicht zu viel Sport machen, dass man die MS nicht triggert oder so. Dann habe ich mich manchmal vielleicht ein bisschen zu sehr gestresst, habe versucht alles perfekt zu machen, damit mir nicht noch mal so etwas passiert, nicht noch mal so ein schlimmer Schub kommt oder schlimmere Schübe sogar. Aus meinem jetzigen Standpunkt würde ich erst einmal alles auf mich zukommen lassen und nach und nach gucken, was ich nach und nach verändern könnte, damit es mir in meinem Leben besser geht. Wichtig ist auch zu schauen, wie man Schritt für Schritt diese Krankheit in sein Leben integrieren kann. Und alles ohne Stress. Stress ist Gift für die Krankheit, das ist das Schlimmste.
Angy [00:29:50] Ja, dann sind wir jetzt auch schon fast am Ende unserer heutigen Podcast-Folge, liebe Lea. Ich danke dir sehr, dass du heute mein Gast warst. Gibt es denn noch abschließend etwas, was du auf jeden Fall allen, die MS haben, mit auf den Weg geben möchtest?
Lea [00:30:09] Ihr seid nicht allein, auch wenn ihr das am Anfang denkt. Es gibt so viele von uns MS-Betroffenen und es gibt so viele, die das gleiche Problem bzw. die gleichen Probleme haben wie ihr. Lasst euch nicht hängen! Man kann mit dieser Krankheit leben, davon bin ich ganz fest überzeugt und ich schaffe es ja irgendwie auch gerade. Stresst euch nicht! Ich habe gelernt, dass Stress ganz böse ist für die MS und im Endeffekt nichts bringt.
Angy [00:30:36] Vielen lieben Dank! Das sind ein paar schöne Abschlussworte. Ich danke dir ganz herzlich, dass du heute mit dabei warst und, dass du dir die Zeit dafür genommen hast. Ich wünsche dir alles Gute – vor allen Dingen auch auf deinem beruflichen Weg.
Lea [00:30:50] Ja, ich bedanke mich auch. Vielen Dank!
Angy [00:30:53] Ich bedanke mich auch ganz herzlich bei unseren Zuhörer:innen. Wir hoffen, dass euch diese Folge gefallen hat und ihr einige Tipps mitnehmen konntet. Wir freuen uns sehr, wenn ihr bei der nächsten Folge wieder dabei seid.
Vielen Dank, dass du uns zugehört hast. Du hast Anregungen, Themenvorschläge oder möchtest selbst Teil des Podcasts werden und deine Geschichte mit uns teilen? Dann schreib uns per E-Mail oder direkt auf Instagram. Im Beschreibungstext findest du alle weiteren Informationen und Adressen. Wir freuen uns auf dich.