Gliederung der Podcastfolge:
Angy [00:00:00] Herzlich willkommen zu „Sprich’s aus! Bei MS“. Mein Name ist Angy Caspar und gemeinsam mit meinen Gästen sprechen wir in diesem Podcast über die Krankheit der 1000 Gesichter. Hör rein, wenn du mehr über ihre inspirierenden Geschichten und Erfahrungen zu dem Umgang mit der Erkrankung im Alltag erfahren möchtest. Denn bei MS kann man eine Menge machen. Viel Freude beim Zuhören.
Angy [00:00:34] Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von „Sprich’s aus! Bei MS“. Ich freue mich, dass ihr wieder dabei seid. In diesem Podcast sprechen wir über Themen rund um Multiple Sklerose, tauschen Erfahrungen aus und geben Tipps für das Leben mit MS. Ja und heute spreche ich mit Nele Handwerker darüber, wie sie die MS und ihren Beruf in Einklang gebracht hat und wie sie es schafft, ihre Träume zu verwirklichen. Herzlich willkommen, Nele.
Nele [00:01:01] Hallo Angy!
Angy [00:01:01] Schön, dass du dir Zeit genommen hast, heute in unserem Podcast zu Gast zu sein. Es freut mich sehr, dass wir miteinander sprechen können und du uns von deinen Erfahrungen und deinem Umgang mit der MS erzählst. Bitte stell dich doch ganz kurz vor.
Nele [00:01:16] Ja, danke für das herzliche Willkommen. Ich bin Nele, Nele Handwerker, ich bin 40 Jahre alt, werde bald 41, bin seit einem Jahr verheiratet, trete im Prinzip mit meinem Geburtsnamen auf - falls irgendjemand mal was anderes findet, nicht wundern - Nele Handwerker ist mein Geburtsname. Den hatte ich fast 40 Jahre inne und deshalb bleibe ich darunter auch weiter öffentlich präsent. Ich habe eine zweieinhalbjährige Tochter, bin in Dresden geboren, war jetzt lange in Berlin und lebe seit kurzer Zeit an der Nordsee.
Angy [00:01:50] Nele, erzähl doch nochmal bitte ganz kurz, seit wann du MS hast.
Nele [00:01:55] Im Sommer 2003 hatte ich eine Sehnerv-Entzündung. Ich habe mir dann erst mal gar nicht so viel dabei gedacht, wurde behandelt und dann wurde mir ein Jahr später, als ich bei einer normalen Verlaufskontrolle war, die Diagnose Multiple Sklerose gestellt, was für mich damals erstmal ein ziemlich großer Schock war.
Angy [00:02:14] Ja, das kann ich mir vorstellen. Ich meine, das ist ja jetzt schon eine Zeit her. Dennoch freue ich mich, wenn du mal kurz berichtest, wie’s dir damals damit ging.
Nele [00:02:23] Ja, das war so… Wie gesagt, ich bin ein positiver Mensch bezüglich Dingen, die unschön sind, die erst mal nicht festgestellt worden sind, in dem Fall habe ich gedacht: „Okay, Diagnose MS ist für immer ausgeschlossen.“ Dann wurde ein MRT gemacht. Es ging mir gut, ich hatte keine neue Schubsymptomatik und plötzlich hieß es ich habe doch MS. Meine Vorstellung von MS war: „Oh Gott, ich sitze bald im Rollstuhl. Soll ich mein Studium überhaupt noch weitermachen? Macht das noch Sinn? Wird es jemanden geben, der mich liebt?“ Ich war damals auch in einer nicht gerade glücklichen Beziehung, habe da auch null Unterstützung bekommen von meinem Partner. Also für mich waren zwei, drei Wochen erst mal total düster. Da habe ich auch tatsächlich mal – was sonst nicht meine Art ist – jeden Abend ein Glas Wein getrunken, mich dann aber sehr schnell für einen gesunden Lebenswandel entschieden. Erstmal war das ein riesiger Schock, von dem ich mich – toi, toi, toi - schnell erholt habe, dank der Fürsprache verschiedener Leute. Im Jahr 2004 geisterten jedoch auch nicht gerade viele schöne Geschichten im Netz rum, wenn man sich nicht bei seriösen Quellen informiert hat. Dabei bin ich auf viele gruselige Szenarien gekommen.
Angy [00:03:35] Ich gehe nochmal einen kleinen Schritt zurück. Du hast ja gesagt, im Sommer 2003 hast du diese Sehnerv-Entzündung gehabt. Welche anderen Symptome gab es da gegebenenfalls noch bei dir?
Nele [00:03:46] Ich hatte sonst nichts weiter. Also es war dieser wirklich heiße Sommer und ich weiß rückblickend nicht, ob ich eventuell ein bisschen mit der Fatigue Probleme hatte – die hatte ich auf jeden Fall im späteren Verlauf. Aber ich habe eben mehr oder weniger von heute auf morgen, innerhalb weniger Stunden, auf einmal keine Farbe oder kaum noch Farbe gesehen. Kräftiges Rot war nur noch ein blasses Rosa. Die Bilder waren auch irgendwie verschwommen vor dem Auge und ich war gerade auf dem Weg nach Düsseldorf. Ich wollte dort einen guten Freund und noch meine Schwester in Münster besuchen und habe bei der Autofahrt gemerkt, dass ich irgendwie ganz komisch sehe. Ich dachte auch erst, mein eines Auge ist blasser. Das lag aber daran, dass sozusagen das eine Auge eben nicht mehr so richtig Farbe gesehen hat und dann, wenn ich mir das linke Auge zugehalten habe und mit dem rechten geschaut habe, wirkte das Auge eben blasser. Ich wurde dann in der Uniklinik aufgenommen in Düsseldorf, also zusammen mit dem Kumpel aus Düsseldorf, mit dem ich dahingefahren bin. Ich habe auch gesagt: „Okay, bitte, wenn dann direkt in die Uniklinik. Das ist irgendwas ganz Merkwürdiges." Die haben vor Ort verschiedene Tests gemacht, da dachte ich mir auch schon: „Okay, das ist jetzt nicht so witzig." Sie haben auch einen Test gemacht, bei dem man Lichtpunkte sehen sollte, jeweils immer auf einem Auge. Ich habe diese Lichtimpulse mit dem rechten Auge für lange Zeit gar nicht mehr wahrgenommen. Da war mir auch schon klar, dass es gruselig ist! Meine Tante, die ich angerufen habe — ich wollte am liebsten mit dem Zug wieder zurück nach Dresden fahren und mich dort in die Uniklinik legen, weil ich Ärzte in der Familie hatte — hat gesagt: „Um Gottes willen, mach das nicht. Es kann auch ein Gehirntumor sein." Da habe ich dann völlig angefangen zu heulen und war total fertig. Das war es aber nicht. Die haben mir gleich Kortison gegeben. Der Tumor konnte auch relativ schnell ausgeschlossen werden. Es wurden in den ersten Tagen auch Untersuchungen gemacht: MRT und andere Sachen. Das Kortison hat auch gut angeschlagen. Mit ein Stück weit Verdrängung habe ich mir dann gedacht: „Alles wird wieder gut, ich sehe wieder gut, alles bestens, hier ist kein Problem.“ „Klinisch isoliertes Syndrom“ hat mir damals überhaupt nichts gesagt. Ich bin zurückgekehrt, habe das verdrängt, habe weiter studiert, bin weiter auf Partys gegangen und habe versucht, es ganz weit wegzuschieben, bis zur Diagnose.
Angy [00:05:50] Das heißt, in diesem einen Jahr, zwischen 2003 und 2004, bis es dann letztendlich zur Diagnose kam, hast du sozusagen auch wenig Symptome gehabt, wenn ich es jetzt richtig verstanden habe.
Nele [00:06:01] Genau, ich hatte gar keine anderen Symptome. Ist auch, das weiß ich aus heutiger Sicht, etwas relativ Typisches, dass man gerade am Anfang der MS, wenn man sich im schubförmigen Verlauf befindet, häufig auf 10 Läsionen, die es im Hirn gibt (so ganz grob sagt man das als Quote) nur eine Schub-Symptomatik hat. Also als das dann festgestellt wurde, hatte ich schon mehr Läsionen wieder im Kopf, aber die haben sich halt nicht durch Schübe geäußert. Das ist auch so ein bisschen das Tückische, weshalb ich versuche, selbst ein bisschen aufzuklären. Man kann sich nämlich schnell einreden, dass die MS schläft. Das tut sie aber in der Regel leider nicht, wenn man nicht aktiv dagegen vorgeht. Das ist so eine ganz gefährliche Sache, das kann man sich sehr schönreden. Und dann schreitet die MS voran und das, was kaputtgegangen ist, kann man leider nicht wieder zurückholen und nicht wieder ganz machen.
Angy [00:06:48] Okay, du hast gerade schon erzählt, dass du dich im Internet damit beschäftigt und da verschiedene Dinge gefunden hast. Manche davon waren nicht ganz so positiv. Wie ging es denn weiter? Wie hast du dich weiter mit der Diagnose beschäftigt und wie ging es dir dann in dieser Zeit auch körperlich und mental?
Nele [00:07:06] Ja, also damals bestand die Möglichkeit an einer Studie teilzunehmen und die MS-Forschung und -Behandlung hat sich in den letzten Jahren ja auch immer weiterentwickelt. Da ist viel Neues passiert. Damals hat man nicht generell bei einem vermeintlich milden Verlauf, wie bei mir, zu einer verlauf-modifizierten Therapie geraten. Ich hätte an der Studie teilnehmen können. Da wäre aber auch die Wahrscheinlichkeit von einem Drittel gewesen, dass ich ein Placebo Medikament bekomme. Dafür hätte ich mich jeden Tag spritzen müssen. Ich hasse, hasse, hasse Spritzen und auch die Ärzte in meiner Familie haben mir gesagt: „Okay, ich würde an deiner Stelle..." – von denen ist keiner ein Neurologe, möchte ich kurz dazu sagen — aber die haben gesagt: „Ich würde an deiner Stelle nicht an einer Studie teilnehmen, wenn du nicht einmal weißt, ob du ein Medikament bekommst oder nicht. Du beschäftigst dich jeden Tag damit. Dann bringt das vielleicht nicht einmal was." Ich hatte überlegt in eine Selbsthilfegruppe zu gehen, aber da dachte ich mir: „Nee, das ist irgendwie auch nicht meins." Ich habe mich bewusst dafür entschieden, einen sehr gesunden Lebensstil zu führen. Sprich das bisschen, was ich an Alkohol getrunken habe - diese zwei, drei Wochen mal am Abend ein Glas Wein - war wirklich eine absolute Ausnahme. Ich habe nicht viel getrunken, aber ich habe meinen Alkoholkonsum mehr oder weniger komplett auf null runtergefahren. Ich habe damals schon viel Sport gemacht und habe versucht, das auch weiter wirklich konsequent beizubehalten, dann auch Obst und Gemüse zu essen. Ich habe nie geraucht, das war kein Problem. Ich habe aber sehr bewusst geschaut: „Okay, was will ich? Was tut mir gut? Was für Dinge will ich auf jeden Fall machen, bei denen ich vielleicht nicht weiß, ob aufgrund der Erkrankung und des Fortschreitens der Erkrankung sie mir später noch gelingen werden?“ Sprich, ich hatte ein Pflichtpraktikum in meinem Studium. Dafür bin ich extra nach München gegangen, war da bei Siemens und habe ganz viele Leute kennengelernt, die im Ausland für die Firma waren oder aus dem Ausland nach Deutschland kamen und hatte auch in meinem Freundeskreis eine Menge Leute, die für eine Weile ins Ausland gegangen sind. Ich fand das superspannend und habe, nachdem ich noch Werkstudentin – auch bei Siemens in der Medizintechnik – war, mich für die USA beworben. Ich dachte: „USA ist ganz spannend, da kann ich gut Englisch lernen. Das ist aber von der Kultur noch nicht total was anderes.“ Ich habe verschiedene Vorstellungsgespräche geführt. Das Dritte hat geklappt und ich bin dann nach Chicago gegangen. Es war total super und hat unglaublich viel Spaß gemacht. Ich bin dort auch Fallschirmspringen gegangen und habe dann, als ich zurückgekommen bin, auch einen Urlaub mit einem guten Freund geplant, war in Australien für dreieinhalb Wochen. Ich bin dort im Great Barrier Reef tauchen gegangen und habe davor schon einen Tauchkurs in Berlin gemacht, wo ich dann irgendwie die Zulassung an der Ostsee bekommen habe, um den Tauchschein zu machen, denn ich war da bis zu 15 Metern tauchen. Innerhalb meiner Familie hatten einfach viele die Angst, was MS bedeuten könnte. Die haben sich eben auch nicht in der Tiefe darüber informiert, was auch damals schwieriger war und haben mir viel davon abgeraten: „Wie kannst du denn tauchen? Wie kannst du denn Fallschirmspringen?“ Das fanden die alle ganz gruselig. Sie wollten mich beschützen und ich habe mir aber gedacht: „Nee, ich mache all die Dinge, die ich machen möchte, jetzt.“ Dann kann ich, falls es schlecht läuft, später darauf zurückgucken und mir sagen: „Ich habe mein Leben genutzt. Ich habe es genutzt, so wie ich das wollte.“ Da habe ich eher meinen Fokus draufgelegt. Erst 2008 hatte ich einen zweiten Schub. Und da wurde auch festgestellt, dass die MS weiter vorangeschritten ist. Es war nicht viel passiert, aber es gab neue Läsionsherde, daher bin ich dann ins MS-Zentrum nach Dresden gekommen. Das Zentrum wurde ganz frisch eröffnet von Dr. Ziemssen. Heute ist er Professor und jetzt auch der Leiter vom MS-Zentrum. Dort wurde mir empfohlen: Ganz klar, auch bei einem milden Verlauf, unbedingt einsteigen in eine verlaufsmodifizierende Therapie, um dagegenzuhalten und um weiterhin das schöne Leben führen zu können. Das habe ich dann auch gemacht und mir wurden ein paar Medikamente, die es damals gab, zur Auswahl gestellt. Ich habe mich dann für das entschieden, was am besten zu meinem Lebensstil passt, mit Dienstreisen und unterwegs sein, um trotzdem eine relativ hohe Flexibilität zu haben. Damit bin ich auch gut gefahren. Also mir geht es - toi, toi, toi - gut und die MS konnte unter dem Medikament sehr gut zum Stillstand gebracht werden, was sehr wichtig ist. Es gibt ganz viele tolle Medikamente da draußen. Für jeden passt irgendein anderes und wenn die MS weiter aktiv ist, sollte man sich auch nicht scheuen und es wechseln. Das ist wirklich ganz, ganz wichtig. Man kann heutzutage sehr gut mit MS leben. Es ist aber wichtig, den Richtlinien zu folgen, die es da draußen gibt, die auf Wissenschaft beruhen und auf Auswertung ganz vieler Daten.
Angy [00:11:37] Ich möchte mal ganz kurz zurückkommen zu diesen Dingen, die du alle gemacht hast. Du hast was vom Fallschirmspringen erzählt und vom Tauchen. War das so, dass du dir da vorher schon mal in deinem Leben Gedanken zu gemacht hast? Also über so eine Art Bucket List? Oder kam das dann, sage ich mal, eher spontan, auch mit der Diagnose?
Nele [00:11:57] Also die Bucket List habe ich mir irgendwann mal ein bisschen für Urlaubsziele erschlossen. Das kam tatsächlich so mit der Diagnose. Da habe ich gedacht: „Okay, ich möchte mir gern die Welt anschauen, ich möchte gern Dinge erleben.“ Der Fallschirmsprung war in dem Fall mehr ein Zufall, da ein Kollege regelmäßig Fallschirmspringen war. Der hatte einige bei uns aus dem Team eingeladen und ich habe gesagt: „Super, mache ich.“ Und drei andere Kollegen waren auch mit dabei. Nein, zwei andere Kollegen waren dabei. Und das Tauchen – als ich nach Australien gefahren bin — ich lese seit Ewigkeiten den National Geographic, ein ganz tolles Magazin und da sind einfach unglaublich viele tolle Bilder drin. Über das Great Barrier Reef hatte ich schon öfter etwas gelesen, tolle Fotos gesehen und das wollte ich einfach unbedingt mal mit eigenen Augen sehen. Und wenn ich da nur dran denke, da geht mein Herz auf, da strahle ich von einem Ohr zum anderen, da durchströmt mich richtig die Glückseligkeit. Bei mir waren es eher Orte, die ich sehen wollte. Ich war zum Beispiel auf Kuba, das wollte ich unbedingt sehen, bevor die Castros das Regime abgeben. Und ich wollte unbedingt Venedig sehen, bevor das vielleicht umwelttechnisch da zum Problem wird. Außerdem wollte ich gern nach Afrika. Da war ich auch mit meinem Freund, jetzt Mann. Wir haben einen schönen Urlaub gemacht und haben uns Namibia angeschaut. Unglaublich schön. Das trockene Paradies wird es genannt. Oder Island, was ja auch ein ganz spannendes Land ist. Meine Bucket List bestand eher aus Reisezielen - Sachen, die vielleicht irgendwie noch in meinem Zeithorizont vergänglich werden und vielleicht in ihrer Schönheit oder in ihrer — Kuba ist jetzt nicht unbedingt schön mit den Castros gewesen — aber in ihrer speziellen Einzigartigkeit dann irgendwann nicht mehr sind. Das war mir wichtig und da war mir gleichzeitig überhaupt nicht wichtig, dass das vielleicht viel Geld kostet. Denn Geld ist eine Sache, die brauche ich, um mir schöne Dinge leisten zu können. Ich lebe nicht über meine Verhältnisse, aber meine Zielsetzung beim Geldverdienen ist, dafür Geld zu haben, dass ich es für schöne Dinge ausgeben kann - für leckeres Essen, für schöne Reisen, für schöne Musik, was auch immer – für die schönen Dinge des Lebens.
Angy [00:14:03] Das hört sich toll an. Mensch, da sind ja einige Reiseziele dabei, da würde ich auf jeden Fall auch gerne nochmal hin. Nele, welchen Einfluss hatte die Tatsache, an MS erkrankt zu sein, denn auf deine persönlichen und beruflichen Entscheidungen?
Nele [00:14:18] Also beim Beruflichen einen erheblichen Einfluss. Als ich aus Chicago wiedergekommen bin, war die große Frage: „Wo gehe ich hin?“ Und Chicago ist so Großraum von 10 Millionen — da war meine Heimatstadt Dresden mir dann zu klein. Siemens selber sitzt mehr so im Bereich Bayern, Nürnberg, das sind auch bloß so 500.000 Einwohner. Das war mir alles zu klein. Also wurde es Berlin und ich habe mich da neu orientiert. Ich wollte gern mein Englisch einsetzen und bin in eine Firma gekommen, die international unterwegs ist, vor allen Dingen auch in Asien. Und ich wollte schon gern auch Karriere in einem bestimmten Rahmen machen. Also die Welt sehen, spannende Aufgaben haben, international arbeiten, weil mir das unglaublich viel Spaß macht, auch neue Leute kennenzulernen und in fremde Kulturen reinzuschnuppern. Und da bin ich zum Beispiel mit meiner Diagnose gar nicht offen umgegangen. Ich habe das nicht erzählt, weil es war – es wird gerade besser – zu dem Zeitpunkt ein sehr männerdominiertes Unternehmen, eine sehr männerdominierte Branche. Da war es schon ein gewisses Manko, eine Frau zu sein. Da wollte ich nicht noch das Manko einer chronischen Erkrankung hinzufügen, zumal damals das Bild der MS wirklich noch ein deutlich negativeres war, als es das heute ist. Es gibt ja heute viele, die darüber berichten, wie gut sie eigentlich mit der Erkrankung leben können. Ich habe auch schöne Dienstreisen nach Asien gemacht, mir da auch einiges anschauen können, das war spannend. Als das ein bisschen ausgereizt war, sage ich mal, mit dem, was möglich war in der Chemiefirma, wenn man Marketing Background hat, war die Karriereleiter so ein bisschen begrenzt. Ich wollte jetzt nicht der Profichemiker werden. Ich habe mich da gut eingearbeitet, aber nicht in aller Tiefe. Und daraufhin brauchte ich neue Reize, neue Impulse und es kam für mich das Schreiben hinzu. Das lag auch ein bisschen daran, dass ich gerne mit meinem Partner ein Kind haben wollte. Das hat sehr lange gedauert, bis uns der Wunsch erfüllt wurde. Und da kam ich halt drauf: nicht irgendein Schreibkurs, sondern einer für Kinderbücher. Ich habe den an der Volkshochschule gemacht. Das hat mir total Spaß gemacht. Ich habe immer gerne gelesen. Ich habe bis heute, glaube ich, eine im positiven Sinne blühende Fantasie und hatte auch schon eine Idee, als wir auf Island waren, für eine Figur, zu der ich gern Geschichten schreiben wollte. Ist immer noch nicht veröffentlicht, aber es liegen mehrere Bücher in der Schublade, beziehungsweise auf dem Rechner. Da dachte ich mir auch über die Zeit: „Okay, das wäre eine gute Möglichkeit, falls es nicht klappt mit Kindern, trotzdem Kontakt zu haben, indem man Kindern vorliest, wenn man Lesungen veranstaltet.“ Ich habe auch ehrenamtlich vorgelesen, dann kann man Kinder in seinem Leben haben, selbst wenn einem vielleicht der Wunsch verwehrt wird. Ich habe ja schon am Anfang gesagt, ich habe mittlerweile eine Tochter. Es ging also gut aus, aber es war schön, mit Kindern Zeit zu verbringen. Dieses ehrenamtliche Vorlesen oder auch Lesungen zu machen, war eine tolle Sache, Geschichten zu schreiben, mich in dieses Feld einzuarbeiten. Und das Schreiben ist auch an sich eine total gute Möglichkeit, um Probleme zu verarbeiten. Manchmal schreibe ich auch über etwas, was mich beschäftigt und ich merke dann immer, wenn ich die Probleme verschriftliche, dann drehen die nicht unendliche Spiralen im Kopf, sondern dann werden sie greifbar und dann werden auch Lösungen greifbar oder eben das begrenzte Ausmaß des Problems sichtbar. Das ist gar nicht so groß, wenn man es dann aufschreibt oder ausspricht und nicht nur im Dialog mit sich selbst spinnt. Ich habe dann auch Bücher veröffentlicht. Ich habe jetzt sogar schon sechs Kinderbücher veröffentlicht, habe auch eine eigene Website aufgesetzt: www.NeleHandwerker.de — da sind die Kinderbücher. Ich habe da auch noch ganz viele in der Planung. Und bin dann auch irgendwann dazu gekommen, als ich schwanger war mit meiner Tochter, dass ich mir gedacht habe: „Okay, jetzt stehe ich vor der großen Frage: Will ich jetzt weiter die Diagnose geheim halten?“ Dann zwinge ich meiner Tochter entweder auf, für mich zu lügen, ab einem Zeitpunkt, an dem sie alt genug ist, oder ich verheimliche es vor meiner Tochter. Und das wollte ich nicht. Da habe ich also in der Schwangerschaft gedacht: „Okay, dann mache ich jetzt eine 180-Grad-Wendung und gehe ganz offen mit der Diagnose um und habe einen Erfahrungsbericht zu meinen ersten 15 Jahren mit der MS geschrieben und veröffentlicht. Ich habe auch einen Podcast gestartet und eine Webseite unter www.MS-perspektive.de und damit die komplette Kehrtwende gemacht. Ich habe beim Schreiben immer mehr gemerkt: Das ist eigentlich das, wofür ich brenne. Also mein Job hat Spaß gemacht, das war interessant. Irgendwann gab es aber nicht mehr so viel Neues und beim Schreiben kann man ständig neue Genres erschließen. Ich habe noch ganz viele Ideen, was ich so machen will, wo ich mich hin entwickeln will. Insgesamt will ich 100 Bücher schreiben. Sieben habe ich jetzt rausgebracht, eins für Erwachsene, sechs für Kinder. Da bleiben also noch 93 übrig. Das ist auch überhaupt kein Problem mit den Ideen. Ich muss nur strukturieren, was ich zuerst mache und will da auch eigentlich gerne eine Kombination: MS und Kinderbuch, also ein Kinderbuch für Kinder deren Eltern MS haben. Da gibt es, finde ich, auch noch nicht so was richtig Schönes auf dem Markt. Es gab ein Buch, das wird nicht mehr aufgelegt. Es gibt noch ein paar andere Sachen, aber ich würde da gern meine eigene Perspektive reinbringen. Also ganz, ganz viele Ideen und es ist halt ein tolles Feld, weil ich da selbstbestimmt arbeiten kann. Und auch wenn ich mit der MS mal eine Periode habe, was weiß ich, im Sommer, wenn es mir zu warm ist und ich habe mit der Fatigue Probleme, dann kann ich da eben einen Gang zurückschalten. Und im Winter, wenn es kühler wird oder im Herbst/Frühjahr kann ich dann halt wieder mehr powern. Da blühe ich auf, da bin ich total Feuer und Flamme, ganz begeistert und habe da ganz, ganz viel vor. So wie Astrid Lindgren. Die hat bis in ihre 90er geschrieben, so möchte ich das auch.
Angy [00:19:56] Okay, jetzt hast du ja schon super viel erzählt, was ich ganz toll finde. Ich versuch das jetzt noch mal für uns und vor allen Dingen auch für die Zuhörer ein bisschen zu strukturieren. Damit wir einen kleinen, roten Faden reinkriegen. Du hast also nach 15 Jahren MS entschieden, dass du jetzt offen mit der Krankheit umgehen möchtest und hast es daraufhin auch auf den Webseiten und dazugehörigen Social Media Kanälen veröffentlicht. Kann man das so sagen?
Nele [00:20:27] Genau.
Angy [00:20:27] Und dann hast du auch erzählt, dass du schon sieben Bücher geschrieben hast. Eins für Erwachsene und sechs für Kinder, wenn ich das jetzt auch alles richtig verstanden habe?
Nele [00:20:34] Genau, das ist einmal eine Jahreszeiten-Reihe mit den Tieren aus dem Saga-Wald – das war auch so ein Familienprojekt. Da hat meine Oma, mittlerweile 95 Jahre alt, Gedichte geschrieben. Die hatte früher immer schon Gedichte für uns zu Weihnachten geschrieben, also wir sind eine Großfamilie in Dresden. Ich habe noch zwei Tanten, insgesamt sind wir sozusagen sechs Enkelkinder. Meine Oma hat immer Gedichte geschrieben zu Weihnachten für die jeweiligen Enkelkinder, passend für das Alter. Die haben wir dann einstudiert und haben sie an Weihnachten vorgetragen. Da waren unsere Eltern natürlich total begeistert. Dabei war schon ein großer Gedicht-Schatz entstanden und ich dachte mir dann: „Och, das könnte man doch schön machen.“ Ich habe also mit dem Weihnachtsbuch gestartet, habe ein paar Geschichten zu Tieren aus dem Saga-Wald geschrieben und dann ging es weiter mit dem Sommerbuch, einem Frühlingsbuch und einem Herbstbuch, wo immer die gleichen Tiere neue Geschichten erleben und die Gedichte sind aber einfach aus der Erfahrungswelt von Kindern geschrieben. Also so richtig gehört es in dem Sinne nicht zusammen. Es ist halt von der gleichen Familie, es geht um die gleiche Jahreszeit, aber die Gedichte als solche haben erst mal nichts mit den Geschichten zu tun, das ist eher eine abgeschlossene Reihe. Und ich habe schon als Kind Rennmäuse gehabt, hatte mal ein paar Jahre keine, habe jetzt aber wieder welche. Meine Tochter ist auch super, obwohl sie erst zweieinhalb ist, kann sie die ganz zart streicheln und kriegt einen schönen Zugang zu Tieren. Ich habe auch ein Hardcover, ein bunt illustriertes Buch zu den Rennmäusen geschrieben und veröffentlicht, mit dem ich auch schon Lesungen gemacht habe. Und dann gibt es noch ein ABC-Buch mit Gedichten, die sind von meiner Oma – da war ich sozusagen die Lektorin und hab die Einleitung geschrieben, das Projekt betreut, die Fotos gemacht. Das sind so ABC-Gedichte für Kinder mit Beginn des Schulalters, in der Grundschule. Und bei der Jahreszeiten-Reihe hat meine Mama die Geschichten und Gedichte illustriert, weil die relativ künstlerisch begabt ist. Das war halt so ein kleines Familienprojekt. Ist nicht wie vom großen Verlag super toll, sondern so ein Liebhaber-Projekt, was sehr schön ist und den Leuten, die es sich geholt haben, auch sehr gefällt. Ist aber ein Liebhaber-Familienprojekt.
Angy [00:22:44] Okay und dann hast du ja gerade noch davon gesprochen, dass du auch ein Buch für Erwachsene geschrieben hast. Worum geht es da?
Nele [00:22:51] Genau, das zeigt meinen Weg, mein Auf und Ab mit der Erkrankung. Bei mir ist immer so ein kleines bisschen Wissenschaft mit drin, einfach, weil ich viele Ärzte in der Familie habe. Mein Mann ist theoretischer Physiker, der ist den Wissenschaften besonders nah. Mir ist es auch wichtig, bei allem Erzählerischen und allem Schönen trotzdem irgendwie einen wissenschaftlichen Hintergrund zu haben. Also ich nehme den Leser, die Leserin mit auf meine Reise durch diese 15 Jahre, den Schock am Anfang, wie ich mich da herausgearbeitet habe, was für mich wichtige Säulen der Stabilität waren. Es gibt ein Kapitel zu meinen Freunden, zum Hund meiner Tante — ich bin jeden Tag mit dem Hund spazieren gegangen, mit Abby, sie war meine große Hundeliebe — und auch darüber, wie ich mich getraut habe, in die USA zu gehen. Aber auch ein Kapitel darüber, dass ich eine Psychotherapie gemacht habe, was mir total gut bekommen ist. Rückblickend wäre das eines der wenigen Dinge, die ich in meinem Leben ändern würde. Ich hätte die Psychotherapie eher gemacht, weil das wirklich ganz, ganz doll helfen kann, sowohl bei der Krankheitsbewältigung, um mit der MS einen guten Umgang zu finden, als auch beim Umgang mit anderen Sachen, die man nicht aufgearbeitet hat. Ich habe versucht, ganz, ganz wenig Fachbegriffe reinzubringen und die paar Fachbegriffe, die ich benutzt habe, wurden in einem kleinen Glossar erklärt, einfach, falls Angehörige es lesen. Bei meinem Diagnosebeginn hätte ich mich gefreut, wenn meine Eltern oder meine Großeltern damals so ein Buch hätten lesen können, um auch ein bisschen die Angst zu verlieren und eine Idee zu kriegen, was jemandem mit MS hilft. Da hilft es nämlich nicht, Ängste zu schüren, sondern da hilft es Mut zu machen, zur Seite zu stehen, aber nicht die Welt noch kleiner zu machen, die ohnehin durch Ängste, die man selbst hat – scheinbar durch Scheuklappen – erst mal immer enger wird. Es hilft sie zu öffnen und Möglichkeiten aufzuzeigen. Es hilft, wenn man ein bestimmtes Ziel hat. Vielleicht ist es nicht der geradlinige Weg und man muss ein paar Umwege gehen, aber die meisten Dinge, die man machen will, kann man verwirklichen. Vielleicht etwas anders als gedacht, aber nichtsdestotrotz mit genauso viel Dankbarkeit dafür, dass man es am Ende erreicht hat und vielleicht sogar mit noch mehr Stolz, weil man mehr Hürden überwinden musste. Und ja, das Buch richtet sich also vor allen Dingen an frisch Diagnostizierte. Es haben auch andere gelesen, also welche, die schon länger die MS haben. Die sagen dann: „Obwohl MS die Krankheit der 1000 Gesichter ist, deckt sich das durchaus mit Erfahrungen von mir“. An manchen Stellen mehr, an manchen Stellen weniger. Aber auch Angehörige haben es gelesen, haben gesagt: „Okay, ich bin beruhigt“. Und sie hoffen, dass es bei ihren Liebsten dann auch möglichst sanft abläuft. Dann wissen sie auch, dass eben die Krankheit im Verborgenen voranschreiten kann. Das ist wirklich etwas ganz Wichtiges, was ich immer wieder versuche auf meinem Podcast zu vermitteln. Bitte nicht täuschen lassen, dass man am Anfang so wenig nach Außen merkt. Die Krankheit schreitet voran, wenn man nichts dagegen unternimmt und es ist ganz wichtig, so schnell wie möglich in eine Behandlung einzusteigen, damit eben ich und du da draußen, damit wir alle auch mit 60,70,80 Jahren noch ein schönes Leben führen können. Denn das ist meiner Meinung nach heutzutage möglich und das bestätigen mir auch immer wieder die Neurologen. Ich habe schon mehrere von ihnen auf meinem Podcast interviewt und das sagen sie alle. Die sind total froh, dass die MS so gut behandelbar geworden ist. Das war sie vor 20, 30, 40 Jahren nicht.
Angy [00:26:05] Jetzt hast du ja auch gerade gesagt, dass das Thema „Mut machen“ besonders wichtig ist. Und aus meiner Sicht machst du das auch mit deinem Podcast und deinen Social-Media-Kanälen. Hast du da vielleicht noch eine Geschichte von dir? Von einer besonderen Resonanz, die dich berührt hat und dir auch immer wieder Mut macht?
Nele [00:26:25] Vor kurzem hat es eine ehemalige Kollegin von mir eiskalt erwischt, die hat mich angeschrieben. Ich hatte das nochmal ganz offiziell in meiner Firma in der großen Runde verbreitet, als ich jetzt an die Nordsee gegangen bin und die Firma verlassen habe. Und wenige Wochen später schrieb sie mich an, dass sie jetzt auch gerade die Diagnose bekommen hat. Natürlich war das erst mal ein riesen Schock und wer weiß, was das jetzt ganz genau bedeutet. Aber die war total froh, dass ich das vor wenigen Wochen so offiziell angesprochen hatte, und sie kennt mich ja, sie hat mich erlebt. Sie hat mich in all den Jahren erlebt, also die ganze Zeit, die wir Kolleginnen waren, hat sie mitbekommen, wie aktiv ich bin, was ich alles machen kann, wie ich teilnehme. Vielleicht hat sie sich gewundert, dass ich keinen Alkohol trinke. Das weiß ich nicht. Das hat sie jetzt nicht explizit gesagt. Aber ansonsten hat sie mitbekommen, dass ich ein schönes Leben führe, dass ich aktiv bin, dass ich neben dem Vollzeitjob Bücher schreibe, und wir haben uns da ausgetauscht. Also ich stehe auch den Leuten — in der Regel ist es halt per E-Mail — aber, ich stehe natürlich gerne zur Verfügung, um mich auszutauschen, um Leuten da Mut zu machen. Da haben wir auch ein bisschen drüber gesprochen. Ich habe ihr auch gesagt: „Such dir einen auf MS spezialisierten Neurologen. Schau, dass du deinen Lebenswandel anpasst. Du musst dich nicht sofort für ein Medikament entscheiden.“ Da hatte sie jetzt halt auch am Anfang schon ein bisschen Angst. Okay, sie hatte verstanden, Zeit ist ganz entscheidend, aber es geht eben nicht um ein paar Tage. Es geht jetzt auch nicht um zwei, drei, vier Wochen. Es geht halt bloß darum, nicht Jahre verstreichen zu lassen und möglichst schnell zu einer Therapie zu finden, die zum eigenen Lebensstil passt. Man hat die Diagnose zwischen 20 und 40 Jahren in der Regel. Da steht halt oft auch der Kinderwunsch im Raum. Da gehen manche Medikamente eben in der Zeit nicht, wo man Kinder kriegen will. Es war schön, mal einer Person helfen zu können, die ich wirklich kenne, von der ich weiß, die ist eine ganz taffe Frau, die ihren Weg geht, ganz sympathisch dabei ist, aber wirklich sehr, sehr zielstrebig ihre Karriere gemacht hat. Und auf einmal ist sie in so ein Angstgefühl reingekommen und ich konnte ihr da sowohl mit meinem bisherigen Erleben Mut machen, aber auch mit dem Wissen, was ich da schon aufgebaut habe. Und ich weiß, dass sie da auch gleich in den Podcast reingehört hat, ganz gezielt, und dass ihr das eine große Hilfe war. Sowas bekomme ich öfter zu hören. Das hatte mich auch mal bei einem Mann berührt. Ich meine, er kam aus Österreich oder der Schweiz. Er hat sich ganz große Sorgen um seine Frau gemacht und mir dann wirklich ganz warmherzig gedankt, dass ich so viel Aufklärungsarbeit leiste, gerade auch für die Angehörigen, weil er eben jetzt besser weiß, wie er seine Frau unterstützen kann, worauf es ankommt und wie er sie viel besser begleiten kann, auch auf dieser Reise, die eine MS-Erkrankung nun mal ist, bis man sich da rein gefunden hat. Natürlich kann es einen auch immer mal – falls man doch einen Schub hat –wieder zurückwerfen. Aber da gibt es ganz viele schöne Reaktionen. Da sind so zwei, die mir gerade jetzt im Moment sehr präsent sind.
Angy [00:29:17] Das war ja jetzt auch eine ganz spontane Frage, von daher vielen Dank für deine spontane Antwort. Ich finde, es ist eine sehr schöne Geschichte und das war auf jeden Fall jetzt mein Gänsehaut-Moment in dieser Folge. Den gibt es nämlich auch immer. Ich möchte gerne noch mal auf deine Ziele eingehen hinsichtlich der Bücher. Da hattest du ja vorhin schon gesagt, dass du insgesamt 100 Bücher schreiben möchtest und 93 noch offen sind. Dabei wollte ich noch mal nachhaken, was für Pläne und Ideen du für deine weiteren 93 Bücher hast.
Nele [00:29:53] Ja, genau. Also das nächste Buch, Nr. 8, soll auf jeden Fall ein Ratgeber aus Patientensicht sein. Es gibt viele gute Ratgeber draußen auf dem Markt, die von Experten gemacht sind. Häufig sind die aber sehr kompliziert oder mit relativ viel Text. Ich möchte den Ratgeber basierend auf den ganzen Podcast-Folgen, die ich schon habe, rausbringen, indem ich die Kernaussagen zusammenfasse, und auf die Podcast-Folgen verweise. Wenn man sich etwas genauer anhören will, kann man das dann tun. Ich hatte zu verschiedenen Themen Leute da, zum Beispiel zu der „Erstdiagnose“ oder zu den „Lifestyle-Faktoren“. Da habe ich sowohl aus meinem eigenen Erfahrungshorizont berichtet, als auch von Experten, die das noch mal ganz konkret gesagt haben. Ich habe mich da auch immer vorher informiert. Wenn ich was Eigenes schildere, dann sind das zwar meine eigenen Eindrücke, aber ich möchte behaupten, das ist auch kein Nonsens. Aber natürlich kann es ein Experte zum einen besser auf den Punkt bringen und logischerweise weiß man dann auch: Das ist wirklich gut recherchiert. Die haben alle eine Facharztausbildung, arbeiten seit 20, 30, 40 Jahren da. Ich möchte auch einen kleinen Blick in die Zukunft machen. Ich habe auch schon ein paar Studien vorgestellt, was da irgendwann mal kommen wird und kommen kann. Ich habe noch ein paar Folgen, die ich jetzt gerade aufnehme, aber das Buch soll auf jeden Fall als nächstes rauskommen. Dann gibt es eventuell, da sind wir gerade am überlegen, ein Buch, was mal diese Beziehung Arzt und Patient beleuchten soll, weil das wirklich ganz wichtig ist, vor allem, wenn man sich als Team versteht. Da müssen wir den roten Faden spinnen. Das denke ich, wird 2022 sein – dann auf jeden Fall. Da habe ich auch schon erste Sachen erarbeitet und ich habe auch schon das Kinderbuch-Label, mit dem ich für das MS-Kinderbuch zusammenarbeiten möchte. Ich habe auch schon die Figurenkonstellation erarbeitet für eine Krimi-Reihe. Ich möchte gerne eine Krimi-Reihe schreiben, in der die Kommissarin MS hat, damit das Thema hoffentlich auch über die Grenzen der MS-Community hinaus ein bisschen bekannter wird und zeigen, wie ein Leben mit MS ist. Ich selbst lese unglaublich gerne belletristische Sachen, Krimis, Romane, bei denen ich noch etwas über die eigentliche Geschichte, Liebesgeschichte, den Krimi, was auch immer darüber hinaus, lerne. Und in dem Fall soll es bei mir MS sein. Es soll auch ein Neurologe eine Rolle spielen und zeigen, wie die Kommissarin mit der MS umgeht und wie sie lebt. Was die Handlung vorantreibt, ist der Krimi. Im Hintergrund soll man aber einiges lernen und ich hoffe damit auch wirklich dazu beizutragen, dass MS noch viel mehr in der Gesellschaft ankommt. In der Regel ist es so, man muss ein paar Krimis schreiben, dann wird es immer bekannter und bekannter. Sprich, das wird ein mehrjähriges Projekt und eine Aufgabe. Aber ich habe da schon gute Ideen. Ich hatte gehofft, Ende 2022 den ersten Krimi rauszubringen — das wäre meine Planung. Und eine neue Kinderbuch-Reihe mit einem Frosch und einer guten, lieben Wasserfall-Troll-Figur aus Island, die solche Umweltabenteuer erleben — die habe ich in der Kiste. Da ist die Frage: Kriege ich die Bücher mit einem Verlag veröffentlicht oder gehe ich den Weg des Self-Publishers? Da habe ich auch mittlerweile gute Ideen, wie ich das machen kann, denn Kinderbücher muss man immer drucken lassen. Sprich, man gibt anfangs relativ viel Geld aus und dann muss man eben gucken, lohnt sich das oder geht man nicht doch lieber über einen Verlag? Aber die Krimireihe soll mindestens zehn Krimis lang werden. Zwei Sachbücher, ein MS-Kinderbuch und die Froschreihe sollen auch mindestens zwölf Geschichten werden. Also ja, die nächsten 25 Bücher ungefähr sind schon in der Planung. Aber natürlich kann ich nur eins nach dem anderen machen.
Angy [00:33:34] Und sag mal Nele, aus welchem Grund ist es dir denn so besonders wichtig, dieses MS-Kinderbuch noch zu schreiben?
Nele [00:33:41] Ja, da gab’s mal ein Buch: „Benjamin - Meine Mama ist besonderS", hieß es glaube ich, ich habe es jetzt gerade nicht genau im Kopf. Es gab auf jeden Fall schon mal eins, das war prinzipiell schön illustriert, trotzdem eher für ältere Kinder geeignet. Meine Tochter liest unglaublich gerne – also liest ist falsch – sie lässt sich gerne vorlesen und wir lesen unglaublich viel. Sie kann auch schon ganz toll sprechen mit ihren zweieinhalb Jahren und ich merke bei ihr sehr deutlich – und habe das auch beim Ehrenamt gemerkt – Kinder lernen unglaublich gut über Bücher. Und für Kinder kann MS, je nachdem, was das Kind so für ein Typ ist, eine gruselige Sache sein: Eine Krankheit, die man nicht sieht. Man hat jetzt nicht ein Gipsbein oder ein Pflaster. MS ist eine ganz diffuse Krankheit, die man nicht sieht. Mama oder Papa geht es aber eben vielleicht mal schlecht. Vielleicht müssen sie auch mal ins Krankenhaus oder zu einer Reha-Kur und die Kinder können das nicht begreifen. Häufig nehmen Kinder Sachen persönlich und denken sie sind auf irgendeine Art und Weise schuld daran. Und da möchte ich auch wieder aufklären, Mut machen, aufzeigen, was MS bedeuten kann – so einfach wie möglich. Auch so Sachen, wie ein MRT erklären oder die verschiedenen Möglichkeiten, eine Therapie zu machen, und was daran gut ist. Kinder mögen ja erstmal per se keine Impfungen oder Spritzen... Also meine Tochter spielt zwar gerne Arzt, aber es ist ja was anderes, wenn man eine echte Spritze bekommt. Hier möchte ich die Angst nehmen, aber auch erklären, warum das gut und wichtig ist und dabei auch bestimmte Sachen, wie das mit dem Schwindel oder mit der Fatigue, erklären. Sodass die Kinder eben nicht traurig sind und denken, dass Mama oder Papa nicht mit ihnen spielen wollen, weil sie wissen, dass es dafür Gründe gibt. Mein Buch ist für das Kindergartenalter geplant, damit die Kinder mit schönen Bildern ein gutes Verständnis für die Krankheit bekommen. Dann sind die auch in der Regel – also meine Tochter ist es immer – total stolz, wenn sie ihren Eltern dann was erklären können, was auch kompliziert ist. Meine Tochter weiß zum Beispiel, dass das uralte Dinosaurier Kacka ein Koprolith ist. Das erzählt sie dann immer ganz stolz Oma und Opa – oder irgendwelche anderen Sachen. Und die Kinder möchte ich da auch zu Partnern machen, damit sie Bescheid wissen über die Erkrankung und keine Angst mehr haben – mit schönen Illustrationen. Also, warum sollten unsere Kinder nicht auch schön illustrierte Bücher kriegen? Finde ich total wichtig, dass das nicht bloß irgendwas „Selbstgemaltes“ ist, sondern schön illustriert, wertig, gut. Und dass man es dann auch mit Oma & Opa oder jemand anderem liest. Ich glaube, so ein Kinderbuch hilft auch wieder Erwachsenen, die vielleicht noch gar nicht tief in der Materie drinstecken. Ich persönlich lerne auch manches aus Kinderbüchern und das kann auch für andere klappen. Dieses Buch ist für meine eigene Tochter und all die anderen reizenden Kinder von MS-Patienten da draußen geplant.
Angy [00:36:33] Wie schön! Sag mal, wie unterstützt dich denn dein Umfeld bei deinen ganzen Zukunftsplänen, die du hast? Es sind ja doch schon einige.
Nele [00:36:41] Es sind wirklich einige. Mein Mann macht das auf jeden Fall einerseits technisch und dann mental. Ich bin hier natürlich gerade ganz fröhlich und ganz positiv, aber es wäre jetzt Quatsch zu sagen, es wäre immer so. Ich habe auch manchmal Tiefen, wo ich mir denke: „Oh Gott, das wird nie was und wer weiß…“. Gerade weil es eben solche Schwierigkeiten gibt, wie beim Finanzierungsmodell von Kinderbüchern. Ich möchte am liebsten wirklich in die Selbstständigkeit gehen. Da unterstützt mich mein Mann insofern, als er sagt: „Hey, probiere das, es ist dein Herzensding. Du bist mit so viel Power dabei. Versuch das. Wenn nicht, dann suchst du dir wieder eine Anstellung, aber du schaffst das bestimmt.“ Ich würde halt gern vom Schreiben leben können, das ist möglich, aber nicht einfach. Meine Eltern unterstützen mich auch moralisch. Die haben zum Beispiel auch solche YouTube-Märchen gemacht. Da hat meine Mutter zum Beispiel oder meine Eltern zusammen haben Tiere geschnitzt, Holztiere. Wie gesagt, meine Eltern sind handwerklich begabt – Handwerker, der Name ist Programm – und haben solche Tiere geschnitzt. Dann habe ich ihnen gesagt, welche Tiere ich noch brauche für irgendwelche Märchen. Die werde ich dann wahrscheinlich auch wieder ein bisschen als Vorlage einsetzen für die kommenden Kinderbücher. Das sind relativ einfache Formen, ich finde das aber schön für Kinder. Dann bleiben noch ganz viele Möglichkeiten offen, mit der Fantasie das Bild auszugestalten. Ich persönlich bin kein Fan von komplett ausformulierten Illustrationen, weil dann gar nicht mehr viel Raum für die Fantasie des Kindes gegeben ist. Und psychologisch macht es auch gar nicht so viel Sinn. Das ist nicht nur meine Meinung, das ist wissenschaftlich fundiert. Mit meinen Freunden kann ich mich da auch gut austauschen. Gerade die Tage wieder war ein guter Freund von meinem Mann da, der dann auch wieder neue Ideen mit reinbrachte, während wir uns unterhielten. Es ging dann so weit, dass einer meiner besten Freunde gesagt hat: „Mensch Nele, dann musst du dich aber mehr mit Selbstständigen auseinandersetzen und weniger Zeit mit Leuten wie mir verbringen. Ich bin seit immer im Angestelltenverhältnis, ich habe nicht die richtige Denke.“ Wo ich gesagt habe: „Na ja, ich glaube, der Freundeskreis kann einfach erweitert werden, ich will jetzt nicht meinen Freundeskreis reduzieren.“ Es geht um Mut machen, bestärken, indem ich darüber sprechen kann. So bekomme ich neue Ideen, neue Impulse und manchmal sagt auch jemand: „Du, guck mal, ich kenne da Person XY, die macht was Ähnliches, willst du dich nicht mal mit der auseinandersetzen?“ Also jetzt gerade in dem Existenzgründer-Seminar war zum Beispiel jemand, der einen Schlaganfall hatte und sich aus dem Schlaganfall heraus wieder zurückgekämpft hat und ganz großartige Projekte aufgebaut hat. Das war dann auch wieder ein guter Input. Den werde ich mal kontaktieren und dann setzt sich alles so nach und nach zusammen. Aber das Wichtigste ist: Ich darf darüber sprechen, es kommen neue Impulse und diese moralische Unterstützung. Besonders, wenn ich gerade mal denke, dass es nie was wird – diese Momente habe ich auch. Ganz klar. Das ist, glaube ich, auch normal.
Angy [00:39:34] Würdest du rückblickend sagen, dass du ohne die MS an manchen Stellen anders entschieden hättest? Und wenn ja, an welchen?
Nele [00:39:42] Ja, ich glaube schon. Ich denke, rückblickend weiß ich nicht, ob ich mir das mit den Büchern so zugetraut hätte. Ich glaube, dann wäre ich immer brav im Angestelltenverhältnis geblieben. Ich hätte wahrscheinlich einen Job gemacht, der mir zwar Spaß macht, im Großen und Ganzen, aber wo ich dann froh gewesen wäre – wie das bei den meisten Menschen ist – in Rente gehen zu können. Und jetzt habe ich aber mit dem Schreiben, Podcasten, Bloggen eine Leidenschaft gefunden. Ich starte jetzt auch ganz frisch mit Nadine – die war ja auch in Folge 4 bei dir – mit „Kinderbuch-Welten“, einem neuen Podcast zu Kinderbüchern, wo sicherlich auch meine Bücher drin vorkommen werden. Aber vor allen Dingen geht es um tolle Kinderbücher, die wir mit unseren Kindern lesen. Und ich will etwas machen, was ich machen kann, bis ich irgendwann umfalle und dann ist vorbei und ich mache es aber mit voller Begeisterung und gehe nie in Rente. Ich will einfach was machen, wofür ich so brenne – auch dabei gibt es natürlich Bereiche, Buchhaltung und so, da brenn ich nicht für, das finde ich nicht so spannend – aber, ich will etwas machen, wovon ich so begeistert bin, dass ich eben nie in Rente gehe, sondern es einfach mache, bis ich nicht mehr kann und nicht mehr will. Astrid Lindgren hat zwar mit 90 Jahren nicht mehr 10 Bücher im Jahr geschrieben, aber sie hat noch Bücher geschrieben, weil es ihr einfach Spaß gemacht hat, weil sie es geliebt hat. Und sie hat eben nicht gesagt: „So, jetzt bin ich 65 oder 67“ – was auch immer die Rentenzahl sein wird – „jetzt gehe ich in Rente und jetzt ist es vorbei und ich mache nur noch das, was ich will.“ Nein, ich will das vorher schon machen, weil das habe ich mir mit MS verdient. Ohne MS hätte ich es mir wahrscheinlich nicht gegönnt. Ich glaube, ich hätte es mir nicht zugestanden. Und deshalb bin ich auch ein bisschen dankbar: Ich lebe mein Leben bewusster, gezielter und viel mehr danach, was mir wichtig ist und nicht danach, was anderen wichtig ist.
Angy [00:41:28] Wie hat sich denn deine Akzeptanz gegenüber der MS über die Jahre verändert?
Nele [00:41:34] Am Anfang hatte ich große Angst vor der MS. Dann habe ich, in dem ich mich auch mehr informiert habe, die Angst verloren. Das finde ich was ganz Wichtiges, denn je besser man informiert ist, desto mehr kann man eigentlich die Angst verlieren. Und je mehr ich mich informiert habe, desto weniger Angst hatte ich davor. Ich habe auch nach einem Vierteljahr Schwangerschaft mein Medikament abgesetzt, ungefähr für ein Jahr, bis zum Ende der Stillzeit – da hatte ich auch einen kleinen Schub. Also was Geringes: konnte man logischerweise auch im MRT sehen, dass ich eine kleine Taubheit an zwei Zehen hatte. Ich hatte vor der Schwangerschaft schon mal einen unangenehmeren Schub mit kompletter Sensibilitätsstörung von Kopf bis Fuß, mit dem Lhermitte-Syndrom. Man macht den Kopf nach vorne und es fühlt sich an, wie elektrische Impulse, die durch den Körper gehen, wie ein geschnürter Gürtel rund um den Bauch. Und das Taubheitsgefühl ist eben überall so bisschen. Zu dem Zeitpunkt war ich aber auch schon viel informierter über die MS und da habe ich meinen Arzt mal gefragt: „Muss ich hier jetzt Kortison nehmen oder nicht?“ Und er meinte: „Nee, an der Stelle nicht nötig.“ Es war auch kurz vor dem Urlaub auf Sylt, ich bin also in den Urlaub gefahren und ganz bewusst auch viel barfuß am Strand gelaufen. Ich bin nicht joggen gegangen, weil ich Angst hatte, mich doch zu verletzen. Aber ich habe gemerkt, dass ich viel mehr Ruhe hatte und dachte: „Okay, das wird alles wieder gut. Schön entspannen, entspannt atmen, aufs Meer rausschauen, schön die Ruhe gönnen. Das geht alles vorüber.“ Und genauso war es auch mit der Sache nach der Schwangerschaft. Ich bin dann einfach in mein Medikament wieder eingestiegen – ich weiß, dass ich sehr gut damit leben kann. Ich trainiere zum Beispiel auch meine kognitiven Fähigkeiten, das finde ich auch ganz wichtig. Aber ich glaube ehrlich gesagt, dass ich mit dieser Kombination aus verlaufsmodifizierender Therapie – sollte meine MS doch stärker werden, gibt es ganz viele andere Therapie-Optionen – und dem gesunden Lebenswandel vielleicht mit 60, 65, 70 Jahren sogar an einer besseren Stelle rauskomme, als jemand, der vermeintlich gesund ist, aber seine Gesundheit komplett kaputtmacht, durch massiven Alkoholmissbrauch, Stress auf der Arbeit, „anderen Leuten gefallen wollen“ und psychischen Druck, der unnötig ist. Ich glaube, dass der vielleicht am Ende das weniger erfüllte Leben führt, und vielleicht sogar weniger gesund ist, weil er weniger auf seine Gesundheit achtet. Was mir für die andere Person leidtut. Aber das hat mich halt entspannt, dass ich weiß: Hey, ich tue alles, ich bin mir ziemlich bewusst dessen, was ich mache. Und wenn ich mal ein Glas Wein trinke, was ganz selten passiert – meist trinke ich auch nur ein halbes, denn ich merke dann schon so ein bisschen meine alten MS-Symptome und das mag ich nicht – dann höre ich immer gleich wieder auf. Aber ich ruhe ziemlich in mir selbst, mit ein paar kleinen Ausnahmesituationen, und ich bin da eigentlich echt entspannt. Das war natürlich am Anfang nicht der Fall. Am Anfang dachte ich, wie gesagt – das waren zwar nur ein paar wenige Wochen – aber ich dachte: „Oh Gott, oh Gott, oh Gott, was wird das hier? Ich sitze demnächst allein im Rollstuhl, in einer Einraumwohnung, kriege Unterstützung vom Staat, kann mir nichts leisten, habe keine Freunde, keine Beziehung.“ Das war so mein erstes Horrorszenario. So düster. Dann kam eine Zeit mit so ein „bisschen gesund leben“, aber trotzdem fernhalten und dann kam irgendwann das gesunde Leben. Dazu kam aber auch sehr „gutes Informieren“ und auch noch das „anderen helfen“, damit die auf den Weg finden, um gut mit MS leben zu können. Also drei Phasen habe ich da mindestens durch. Wer weiß, vielleicht kommt irgendwann eine Vierte.
Angy [00:45:02] Aus meiner Sicht hast du jetzt wirklich in diesem Podcast schon sehr, sehr viele Tipps gegeben, wie man auch mit der MS seine Ziele und Träume nicht aus den Augen verliert und positiv in die Zukunft blickt. Aber vielleicht hast du abschließend noch irgendwas, was du auch jetzt noch an der Stelle platzieren möchtest?
Nele [00:45:19] Ja, also ich möchte zu dir da draußen sagen: „Mit MS kann man wirklich gut leben. Geh zu einem auf MS spezialisierten Neurologen. Schau, dass du deinem Umfeld klarmachst, was du brauchst. Also je nachdem, was es ist. Vielleicht brauchst du auch mal ein bisschen Unterstützung: dass du mal weinen darfst oder dass sie dich aufmuntern. Meine Empfehlung wäre wirklich: „Mach eine Therapie! Das kann dir helfen, ein tolles Leben zu führen. Und ganz ehrlich, das kleine Aufwiegen der Dinge, die irgendwie mit einer Therapie einhergehen, und dem schönen Leben, was du für Jahrzehnte haben kannst, mit deinen Liebsten, mit den Dingen, die du dir wünschst, die du dir erträumst, finde ich, ist das allemal wert.“ Ich habe meine Angst vor dem Spritzen überwunden. Es gibt aber ja auch ganz andere Therapieformen: „Guck, was zu dir passt, lass dich beraten, suche dir vielleicht auch Unterstützung in Form von einer Psychotherapie. Das hat mir total geholfen. Tausche dich mit Leuten aus. Guck, dass du dich mit positiven Leuten austauscht und fall aber bitte nicht darauf rein, wenn die sagen, dass MS heilbar ist. Das ist sie vielleicht irgendwann. Das wäre sehr schön, das wünsche ich mir. Es wird ja auch daran gearbeitet. Ich denke aber, das ist realistisch gesehen noch ein weiter Weg bis dahin. Man kann aber sehr, sehr gut damit leben, wenn man einfach seinen Lebenswandel anpasst. Schau, dass du auch auf der emotionalen Ebene glücklich bist und je nachdem, wie weit du davon entfernt bist, du dir sonst Hilfe suchst oder auch nicht. Aber auch, wenn du das allein gewuppt kriegst, gehört eben immer eine Therapie dazu und dann kannst du ein tolles Leben führen und ganz viel Spaß haben. Wie gesagt, vielleicht wirst du beim Klassentreffen irgendwann mal – Vergleichen macht unglücklich, trotzdem an der Stelle vielleicht als Anreiz – positiver abschneiden als manch andere/r, die/der unglücklich lebt und eher ihre/seine Gesundheit kaputt macht. Für mich ist das auf jeden Fall ein Anreiz, dass ich zum Beispiel auch in 10-20 Jahren noch Snowboard fahren will. Okay, Snowboarden werde ich irgendwann sein lassen, aber dass ich generell noch ganz aktiv sein werde.
Angy [00:47:17] Vielen Dank, liebe Nele. Ich finde, das ist ein sehr, sehr schönes Schlusswort. Ich danke dir herzlich für die Teilnahme an diesem Podcast und wünsche dir ganz, ganz viel Erfolg bei all deinen Plänen, Träumen und Zielen, die du noch vor dir hast. Danke auch euch, dass ihr wieder zugehört habt. Wir hoffen, dass euch diese Folge gefallen hat und ihr wieder einige Tipps mitnehmen konntet. Und wir freuen uns, wenn ihr auch bei der nächsten Folge wieder dabei seid. Tschüss! Vielen Dank, dass du uns zugehört hast. Du hast Anregungen, Themenvorschläge oder möchtest selbst Teil des Podcasts werden und deine Geschichte mit uns teilen? Dann schreib uns per E-Mail oder direkt auf Instagram. Im Beschreibungstext findest du alle weiteren Informationen und Adressen. Wir freuen uns auf dich.