Gliederung der Podcastfolge:
Angy [00:00:00] Herzlich willkommen zu „Sprich’s aus! Bei MS“. Mein Name ist Angy Caspar und gemeinsam mit meinen Gästen sprechen wir in diesem Podcast über die Krankheit der 1000 Gesichter. Hör rein, wenn du mehr über ihre inspirierenden Geschichten und Erfahrungen zu dem Umgang mit der Erkrankung im Alltag erfahren möchtest. Denn bei MS kann man eine Menge machen. Viel Freude beim Zuhören.
Herzlich willkommen zu einer weiteren Folge von „Sprich’s aus! Bei MS.“ Ich freue mich, dass ihr wieder dabei seid. In diesem Podcast sprechen wir über Themen rund um Multiple Sklerose, tauschen Erfahrungen aus und geben Tipps für das Leben mit MS.
Den Alltag mit der Krankheit der 1000 Gesichter zu meistern, kann sowohl privat als auch beruflich eine große Herausforderung sein und viele Fragen aufwerfen. Genau diese Erfahrung hat auch mein heutiger Gast René Matousek gemacht. Ich freue mich sehr, heute mit ihm darüber zu sprechen, wie er es geschafft hat, seinen beruflichen Kindheitstraum weiterzuverfolgen – auch wenn es aufgrund der MS anders kam als gedacht. René, herzlich willkommen! Schön, dass du da bist.
René [00:01:20] Hallo! Cool, dass ich da sein darf.
Angy [00:01:22] Bevor wir auf das eigentliche Thema zu sprechen kommen, wäre es schön, wenn du dich unseren Zuhörenden einmal vorstellst.
René [00:01:30] Gerne, mein Name ist René Matousek und bin jetzt 31 Jahre alt. Über meinen Beruf kann ich auch gerne was erzählen, weil das ja heute hier das Thema ist: Ich bin Koch, also ich habe eine Ausbildung als Koch gemacht und danach habe ich mich schulisch weitergebildet. Ich habe mein Fachabitur gemacht und daraufhin ein Studium als Ökotrophologe abgelegt. Meine Hobbys sind jetzt wegen Corona ein bisschen in den Hintergrund geraten, sonst bin ich immer gerne bouldern gegangen. Und dadurch, dass ich in der Nähe der Alpen lebe, gehe ich natürlich auch gerne wandern.
Angy [00:02:11] Wenn ich es richtig notiert habe, dann hast du bereits seit 13 Jahren MS. Wenn du dich an die Zeit vor der Diagnose erinnerst: Wie haben sich bei dir die ersten Symptome geäußert?
René [00:02:29] Ich glaube, hier müssen wir die Zeit sogar noch weiter zurückspulen, denn die ersten Symptome haben sich bereits geäußert als ich 15 Jahre alt war. Damals wurde die MS aber nie diagnostiziert. Als es dann später diagnostiziert wurde, konnte man rückwirkend im Gehirn sehen, dass ich wohl bereits mal einen Schub hatte. Und daher geht man davon aus, dass ich schon seit ich 15 Jahre alt bin, Multiple Sklerose habe. Die Diagnose erhielt ich kurz vor meinem 18. Geburtstag. Mitten im á-la-carte-Geschäft – es war schön warm – bin ich in der Küche zusammengeklappt, weil meine Beine mein Gewicht nicht mehr halten konnten. Von dort aus bin ich direkt ins Krankenhaus eingeliefert worden.
Angy [00:03:24] Du hast gesagt, dass du bereits mit 15 Jahren Symptome hattest, die mit der MS in Verbindung gebracht werden konnten. Was für Symptome waren das?
René [00:03:41] Als ich 15 war, hatte ich starkes Übergewicht und viele der Symptome wurden von den Ärzten auf mein Übergewicht bezogen. Zu der Zeit hatte ich viele Probleme mit dem Knie, das ist oft einfach weggeknickt. Mit 17 Jahren wurde das Symptom dann immer stärker.
Angy [00:04:08] Du hast dann deine Diagnose mit 18 Jahren mitten in deiner Ausbildung erhalten. Wie ging es dir, als du erfahren hast, was es ist? Und welche Gefühle hat das bei dir ausgelöst?
René [00:04:26] Das ist ganz schwer zu beschreiben. Ich glaube jeder, der diese Diagnose bekommen hat, fühlt das gleiche. Es ist auch erschreckend, dass viele Leute zu Beginn die gleichen Aussagen von den Ärzten hören. Ich persönlich war damals total überfordert. Als der Arzt in mein Zimmer kam und gesagt hat: „Ja, Sie haben Multiple Sklerose“, hatte ich erstmal ein Fragezeichen über dem Kopf. Ich wusste gar nicht, was der Arzt von mir wollte und was er mir damit sagen möchte. Es kamen mir dann Fragen in den Kopf wie: „Was ist das? Wie kann ich jetzt damit leben?“ Auch dadurch, dass ich gar keine Ahnung hatte, was MS ist – weil ich bisher keine Berührungspunkte damit hatte – konnte ich am Anfang alles gar nicht realisieren. Der Arzt hatte direkt die typischen Broschüren dabei, auf denen sowas stand wie „Leben im Rollstuhl“. Er sagte auch direkt: „Sie sind vielleicht jung, aber Sie können sich schon mal damit abfinden, dass Sie im Rollstuhl sitzen werden.“
Angy [00:05:53] Das höre ich nicht zum ersten Mal. Andere Podcast-Teilnehmer haben mir von ähnlichen Erfahrungen berichtet. Kannst du uns beschreiben, wie es dir in dem Moment ging, als du all das hören musstest, die Broschüren gesehen hast und nicht so richtig wusstest, was jetzt auf dich zukommt?
René [00:06:13] Als würde man mir den Boden unter den Füßen wegreißen. Kochen war für mich das Tollste, was es gibt und ich wollte diesen Job eigentlich voll und ganz ausleben. Die ersten Fragen, die mir natürlich direkt kamen, waren: „Kann ich das jetzt überhaupt noch? Kann ich so weiterleben oder muss ich jetzt mit extremen Einschränkungen rechnen?“ Ich fühlte eine riesige Leere. Aber das wahre Gefühl in Worte zu fassen, fällt mir sehr schwer. Ich glaube, erst wenn man selbst eine solche Nachricht zu hören bekommt, kann man nachvollziehen, wie es sich anfühlt.
Angy [00:07:17] Kannst du uns erzählen, was du dann gemacht hast? Hast du dich mit dem Thema beschäftigt? Wo hast du dich informiert und wie ging es dann weiter?
René [00:07:31] Bei mir war das ein großes Tohuwabohu. Bei meinem ersten großen Schub war meine komplette linke Körperhälfte gelähmt. Mein Gesicht war eingefallen und ich konnte meinen Arm und mein Bein nicht mehr bewegen. Nach sechs Stunden, in denen ich in der Notaufnahme lag, wurde es mit der Zeit immer besser. Der Arzt kam dann zu mir und sagte: „Ja, Sie haben MS. Eigentlich müsste man Ihnen jetzt Kortison geben.“ Aber da ich übergewichtig war, wollte er nicht riskieren, dass ich zusätzlich eine Zuckererkrankung bekomme. Er hat mich daraufhin entlassen und ich sollte zu einem Neurologen gehen, der auf MS spezialisiert ist. Anschließend wurde ich in einem Rollstuhl rausgefahren, denn anders ging es in dem Moment nicht. Ich habe mir dann einen anderen Neurologen suchen müssen und wurde auch sehr schnell fündig. Was mir dann passiert ist, war etwas blöd. Ich bin in eine gemeinschaftliche neurologische Praxis gekommen, und dort hat genau der Arzt gearbeitet, der mich damals als ich 15 Jahre alt war, schon nicht ernst genommen hat. Und dieser Arzt hat mich dann mit den gleichen Worten wie damals einfach abgestempelt und gesagt, ich solle einfach abnehmen und dann würde ich wahrscheinlich auch diese Krankheit besiegen. Dann bin ich halt gegangen. Mein Vater hat im Flur auf mich gewartet und wir sind beide sehr emotional… Mein Vater hat dann seine Emotionen auch sehr laut kundgetan, und hat gesagt, dass er es nicht hinnimmt, dass ich aufgrund meines angeblichen Übergewichts nicht behandelt werde. Ein anderer Neurologe wurde darauf aufmerksam, der hat mich dann in sein Zimmer geholt und gesagt: „Sowas geht nicht!“ Er hat dann angefangen mich zu untersuchen und hat festgestellt: „Okay, Sie müssen jetzt direkt hierbleiben“. Er sagte: „Sie kriegen ab sofort Cortison“, und ich habe dann eine 14-tägige Stoßtherapie bekommen, um überhaupt erstmal leichte Verbesserungen spüren zu können. Bei mir hat es dann knapp sechs Monate gedauert, bis ich überhaupt meine Hand wieder bewegen oder richtig auftreten konnte. Es war also ein sehr langer Prozess am Anfang, um überhaupt an eine Diagnose, eine Therapie zu kommen – und natürlich an einen Arzt, der die MS als Ursache erkennt und den Patienten nicht einfach nur als „korpulent“ abstempelt. Das war in dem Moment wie eine Doppelbestrafung für mich, würde ich sagen. Letztendlich wurde ich dann – ähnlich wie andere Teilnehmer dieses Podcasts – in die Uniklinik Würzburg geschickt. Da wurde ich als eine Art „Unikat“ gefeiert, weil ich gleichzeitig 21 aktive Herde im Kopf hatte und musste eine Reihe von Tests durchlaufen, um herauszufinden, welche Therapie für mich passen könnte.
Angy [00:11:25] Das sind ja viele Schreckensmeldungen... Vielleicht kannst du kurz erzählen, wie es dir jetzt nach all dieser Zeit geht?
René [00:11:40] Du hattest ja vorhin noch gefragt, wie ich mich informiert habe und wie ich damit umgegangen bin. Ich sage halt: „Ich bin ein Talent im Ignorieren“. Ich habe damals alles verdrängt. Ich war jahrelang, wie soll ich sagen, depressiv – es ist einfach so. Ich habe viele Jahre lang einfach „dahingelebt“. Ich wusste, die MS ist da, aber ich habe die Krankheit ignoriert. Natürlich habe ich meine Medikamente genommen, aber ich habe einfach weitergelebt. Ich muss logischerweise dazusagen, dass das nicht der intelligenteste Weg war, aber für mich war das in dem Moment die Lösung. Das ging mindestens 5 bis 6 Jahre so. Ich war damals nicht der Typ Mensch, um mich zu informieren, damit auseinanderzusetzen oder es zu verarbeiten. Heutzutage denke ich mir, auch diese Momente haben mich nur zu dem Menschen gemacht, der ich jetzt bin. Es hat mich einfach stark gemacht und darin bestärkt heute so aufzutreten. Und ich finde, darauf kann ich stolz sein.
Angy [00:13:09] Das finde ich auch. Deswegen ist jetzt auch ein guter Zeitpunkt, dass wir über deine Leidenschaft sprechen: Das Kochen. Wann hattest du das erste Mal den Wunsch, Koch zu werden und was war der Auslöser dafür?
René [00:13:38] Mein Vater wird wahrscheinlich lachen, wenn er sich die Folge anhört. Er hat mir immer erzählt, dass er mich seitdem ich sitzen konnte, auf seine Schultern genommen hat und mich in den Kochtopf schauen ließ, während er gekocht hat. Ich würde heutzutage sagen: „Ja, daran liegt’s wahrscheinlich, dass ich die Begeisterung fürs Kochen habe“. Ich weiß es nicht, ob es wirklich daran lag, aber ich glaube, damit wurden die Grundsteine gelegt und seitdem habe ich es weitergeführt. Als ich in Hessen auf der Gesamtschule war, gab es das Fach „praktisches Arbeiten“. Ich hatte mich für die Kantine bzw. Mensa eingeschrieben. Dort gab es das Projekt „Schüler kochen für Schüler“ und da habe ich seit der siebten Klasse bis zur zehnten Klasse mitgemacht. Dort habe ich immer mehr gemerkt, dass es das ist, was ich machen wollen würde. Und es hat mir auch immer Spaß gemacht – bis heute macht es mir Spaß, mit Lebensmitteln zu arbeiten, sie zu verarbeiten und vor allem für andere Menschen zu kochen, um dann mit den Personen einen schönen Abend zu haben.
Angy [00:15:09] Du hast bereits erzählt, dass du während deiner Ausbildung den schweren Schub und anschließend auch die Diagnose MS bekommen hast. Konntest du denn deine Ausbildung danach noch fortsetzen?
René [00:15:22] Ja, die habe ich direkt weitergemacht. Auch wegen meiner Ignoranz gegenüber der Erkrankung ging das recht gut und ich habe meine Ausbildung komplett fertig gemacht. Wahrscheinlich kennt jeder Gastronom dieses Gefühl irgendwo her: Als ich damals im á-la-carte-Geschäft umgekippt bin, habe ich meinem Gesellen nur gesagt, er solle mir bitte aufhelfen, denn wir müssen gleich 80 Teller rausschicken. Es war damals nicht so, dass ich mir Gedanken darüber gemacht habe, dass ich umgekippt bin. Ich hatte eher das Gefühl, dass ich weitermachen muss. Da draußen sitzen so viele Leute, da willst du performen. Ich wollte wirklich das rauskriegen, was ich mir wünsche. Der Beruf als Koch war für mich einfach der schönste Beruf, den es gibt. Deswegen wollte ich diese Ausbildung natürlich auch zu Ende machen. Und ich habe sie auch ganz gut fertiggebracht. Es gab natürlich manchmal Ausreißer, vor allem, wenn die unterschiedlichen Saisons in der Gastronomie anstanden. Besonders in stressigen Zeiten, wie im Sommer, Winter, zur Weihnachts- oder Spargelzeit habe ich ab und zu mal wieder einen Schub bekommen. Auch die langen Arbeitszeiten waren etwas, was der Beruf als Koch mitbringt.
Angy [00:16:58] Hattest du zu der Zeit Angst, dass du deinen Traumberuf aufgrund der Diagnose nicht mehr fortsetzen kannst?
René [00:17:03] Ich habe das sehr gut ignoriert. Ich habe die Krankheit so weit nach hinten geschoben, wie es nur ging. Meine Lebenseinstellung war immer, nie aufzugeben. Deshalb konnte ich es nicht mit mir vereinbaren, meinen Traumjob aufzugeben. Und ich konnte mir auch gar nicht vorstellen, einen Job zu machen, der mir keinen Spaß macht. Das fand ich einfach blöd.
Angy [00:17:41] Deswegen hast du alles darangesetzt, deinen Koch-Beruf weiterführen zu können?
René [00:17:45] Genau, nach meiner Ausbildung habe ich noch weitere Jahre als Koch gearbeitet und habe sogar noch das Restaurant gewechselt. Ich habe meine Ausbildung in einem Hotel gemacht und bin dann in ein Familien-Restaurant gewechselt. Und da zu arbeiten und das Feeling dort waren einfach genial. Ich würde sagen, ein tolles Gastro-Team, das von einem guten Chef geleitet wird, ist eher wie eine zweite Familie und nicht wie normale Arbeitskollegen. Und auch wenn sich das vielleicht böse anhört, das hat mich in der Zeit der Ignoranz weitergebracht.
Angy [00:18:33] Wie offen bist du sowohl bei deinem Ausbildungsbetrieb als auch bei deinem neuen Arbeitgeber mit der MS umgegangen?
René [00:18:41] Also mein Ausbildungsbetrieb hat es direkt mitbekommen, sie waren ja live dabei. Und der Küchenchef war auch derjenige, der den Notarzt gerufen hat und mich rausgeleitet hat. Er war also von Anfang an dabei und hat es komplett positiv aufgenommen. Ich glaube so positiv und offen wird man nur sehr selten von einem Chef behandelt. Wie gesagt, der Ausbildungsbetrieb war für mich wie eine zweite Familie. Alle haben mich normal wieder aufgenommen und mir geholfen, wieder in die Arbeit reinzukommen. Es war für alle kein Problem, dass ich eine „Einarbeitungsphase“ hatte, in der ich beispielsweise nur drei Stunden gekocht habe und dann wieder nach Hause gefahren bin. Das ist auch der Grund, warum ich immer mit einem „weinenden“ Auge auf die Zeit in der Gastronomie zurückschaue, weil das wirklich damals ein tolles Gefühl war. Bei meinem neuen Arbeitgeber bin ich zwar offen, aber nur in der Kommunikation. Wenn ich also gefragt werde, wie es mir geht oder was bei mir los ist, sage ich halt: „Ich habe Multiple Sklerose“. Deshalb ist das so, dass ich zum Beispiel an manchen Tagen beispielsweise extrem müde oder mit dem Kopf ganz woanders bin. Manchmal habe ich auch Phasen, in denen ich Wortfindungsstörungen habe und mal länger nach einem Wort „suchen“ muss. Das sind so Sachen, die erzähle ich. Aber dieser Auftritt hier bei dir im Podcast ist für mich das allererste Mal, dass ich in der Öffentlichkeit darüber spreche.
Angy [00:20:45] Umso schöner, dass ich daran teilhaben darf. Ich habe selbst Erfahrungen in der Gastronomie und weiß, dass vor allem der Job als Koch sehr anstrengend sein kann. Gab es Situationen, in denen du die MS mehr als sonst gemerkt hast? Als Koch gibt es viel Schichtarbeit, Saisonarbeit, alles ist hektisch und hinzu kommt noch die Hitze in der Küche. Gab es Momente, in denen du das besonders stark gespürt hast?
René [00:21:19] Weil du grad Schichtarbeit sagst… Mein Vorteil war: In den Läden, wo ich gearbeitet habe, gab es sowas nicht. Da hat man meistens vor dem Mittagessen angefangen und irgendwann in der Nacht aufgehört zu arbeiten. Dementsprechend gab es sehr lange Arbeitszeiten, was ich körperlich natürlich auch gemerkt habe. Ich habe ebenfalls bemerkt, dass meine Ausruhphasen immer länger wurden, da ich mehr Regenerationszeit gebraucht habe. Doch am meisten merkt man es, wenn die Hitze zuschlägt. Und ich glaube, dass mir dabei die meisten MS Betroffenen zustimmen würden. Und du sagtest ja gerade, du kennst das selbst: Wenn es draußen bereits 31 Grad sind, dann ist es in der Küche noch mal gefühlte 20 Grad heißer. Das ist dann auch der Punkt, an dem man sagen würde: „Jetzt reicht’s eigentlich“.
Angy [00:22:30] Eine solche Situation ist ja schon für eine Person ohne Krankheit anstrengend, weswegen die Situation für eine Person mit einer Erkrankung umso schwieriger sein muss. Wann kam der Zeitpunkt, an dem du gemerkt hast, dass du deinem Wunschberuf in der Form nicht weiter nachgehen kannst?
René [00:22:50] Das habe ich gemerkt, als ich vom Hotel ins Restaurant gegangen bin. Wir mussten dort sehr viel selbst machen. Wir haben in dem Laden nur zu zweit in der Küche gearbeitet. Ich musste z.B. allein auf zwei Posten kochen. Das heißt, dass ich sowohl die Vorspeisen als auch die Desserts gemacht habe. Oftmals musste ich 16 Stunden am Tag, sechs Tage die Woche arbeiten. Dann habe ich gemerkt: Das ist doch ein bisschen anstrengend. Aber für mich war es das Nonplusultra. Ich finde, es gibt nichts Besseres, als ein Restaurant zu besuchen und dafür zu kochen, wenn ich einen Live-Bereich habe… Das heißt, dass du als Besucher zuschauen kannst, wie der Koch alles auf der Speisekarte selbst herstellt, von der Sauce bis zur Nudelfüllung. Natürlich ist der Preis dafür die lange Arbeitszeit, aber ich bin einfach ein Fan davon, so dass es sich lohnt, dafür etwas mehr zu geben.
Angy [00:24:08] Wie lange warst du in dem Restaurant angestellt?
René [00:24:33] Leider sehr kurz. Ich glaube, ich war nur drei Monate da. Das Restaurant hatte auch erst vor Kurzem auf gemacht und der Sous Chef hatte sich gerade erst selbstständig gemacht. Ich habe ihm quasi noch dabei geholfen, das Geschäft zum Laufen zu bringen. Es war eine wunderbare Zeit. Aber da habe ich dann gemerkt, dass ich etwas verändern muss – auch wenn mir das in dem Moment das Herz gebrochen hat, weil ich den Job einfach sehr gerne gemacht und mit den Leuten vor Ort sehr gerne gearbeitet habe.
Angy [00:24:56] Was ging in dir vor zu dem Zeitpunkt? Wie hast du dich gefühlt und was hattest du für Pläne für danach?
René [00:25:07] Also ich bin da echt plump gewesen. Ich dachte mir: „Was machst du jetzt?“ Dann war für mich halt klar: Mach erst mal dein Fachabitur, was danach passiert, kann man schauen. In meinem Fachabitur habe ich dann mitbekommen: Wenn man weiterhin Richtung Ernährung arbeiten möchte oder irgendwas mit Lebensmitteln zu tun haben möchte, gibt es die Möglichkeit, zu studieren. Aber auch nach dem Fachabitur, also wirklich kurz bevor ich meine Fachabitur-Prüfung geschrieben habe, war mein erster Gedanke wieder: „So, wo gehe ich jetzt hin? Gehe ich jetzt einfach in den alten Laden zurück oder gehe ich wieder in meinen Ausbildungsbetrieb zurück?“ Ich habe auch während meines Fachabiturs ab und zu mal wieder in meinem Ausbildungsbetrieb gejobbt, weil ich es einfach vermisst habe. Und für mich war eigentlich direkt klar: Nach dem Fachabitur gehe ich einfach wieder in die Gastronomie. Vielleicht komme ich irgendwo anders hin, aber erstmal gehe ich wieder zurück in meinen Ausbildungsbetrieb. Was ich natürlich danach dann aber nicht gemacht habe.
Angy [00:26:30] Du bist ja jetzt Ökotrophologe, oder?
René [00:26:32] Genau.
Angy [00:26:33] Ich weiß jetzt nicht, ob es dazwischen noch einen anderen Schritt auf deinem Weg gab, aber vielleicht erzählst du mal, ob es noch einen gab. Und dann auch direkt für unsere Zuhörer:innen, was ein Ökotrophologe überhaupt macht.
René [00:26:46] Also erstmal zu dem Punkt, was ich hätte machen können oder wo ich hingekommen bin… Das Positive an meinem Fachabitur, das trage ich ja bis heute noch mit mir: Das ist meine jetzige Frau, früher noch Freundin. Sie habe ich im Fachabitur kennengelernt und ihr war klar, sie geht auf alle Fälle studieren. Deswegen bin ich auch studieren gegangen, weil sie das gesagt hat. Eigentlich war das aus keinem anderen Grund, weil es für mich wie gesagt, nie das Ziel war, irgendwann mal studiert zu haben. Deswegen habe ich eigentlich jetzt den Berufstitel „Ökotrophologe“ meiner Frau zu verdanken, weil sonst hätte ich nicht das Studium angefangen. Ökotrophologie ist ein Misch-Studium aus Ernährungswirtschaft und Hauswirtschaft. Das ist eine Zwischenstelle für viele Sachen. Ökotrophologen werden heutzutage eigentlich in allen Bereichen angesiedelt, die mit Lebensmitteln zu tun haben. Aber nicht nur bei Lebensmitteln, sondern zum Beispiel auch in der Textilreinigung. Da findet man auch Ökotrophologen, weil Hygiene an sich was mit Lebensmitteln oder mit Standards zu tun hat. Das hat was mit der Übertragung der Haut und diesen ganzen Sachen zu tun. Deswegen findet man heutzutage extrem viele Ökotrophologen in unterschiedlichen Feldern, wie ich finde. Wo man sie am meisten sieht, ist natürlich in allem, was mit Ernährung zu tun hat, also in Richtung Ernährungswissenschaften sehr viel, Adipositas-Zentren, Rehakliniken oder Zeitschriften. Oder bestes Beispiel: Wenn man sich Zeitschriften anschaut, wo irgendwelche Ernährungstipps drinnen sind, die wissenschaftlich belegt sind, steht meistens ein Diplom-Ökotrophologe oder Master-Ökotrophologe oder Bachelor-Ökotrophologe dahinter.
Angy [00:28:49] Und wie gut kannst du jetzt diesen Job sozusagen mit deiner Krankheit vereinbaren?
René [00:28:55] Den Ökotrophologen-Job kann ich sehr gut mit meiner Krankheit vereinbaren, weil ich extrem flexibel arbeiten kann. Und das finde ich total gut. Wie du vorhin vielleicht mitgekriegt hast, war ich kurz vor unserer Podcast-Aufnahme noch arbeiten. Ich war einfach vormittags in der Arbeit und habe dort meine Versuche erledigt und bin nachmittags nach Hause ins Homeoffice und konnte direkt mit dem Podcast starten. Und ich finde eigentlich, das ist ein guter Job, in dem ich nicht die Probleme habe, die ich in der Gastronomie hatte.
Angy [00:29:37] Also ich glaube, jeder der hier zuhört hat inzwischen herausgehört, dass du total brennst für den Beruf des Kochs, der halt nun mal so nicht mehr möglich war. Wie zufrieden bist du mit deinen Entscheidungen, die du getroffen hast und damit, wo du heute stehst?
René [00:29:56] Sehr zufrieden. Also wenn ich das jetzt von außen betrachte, würde ich sagen: „Sehr zufrieden“. Wenn ich in mich rein höre, bin ich natürlich nicht zufrieden, weil ich ein Mensch bin, der weiterkommen möchte. Also jemand, der die Sachen, die er mag und liebt, immer noch zelebrieren möchte – egal wie. Und man probiert halt diese Sachen irgendwie immer noch in seinen Lebensalltag mit reinzubekommen… und deswegen: Zufrieden? Ja, das bin ich! Denn sonst wäre ich jetzt nicht schon sieben Jahre schubfrei. Ich denke, das Mindset oder die Gedanken, die man hat, sind ein sehr großer Faktor, ob man jetzt auch wirklich einen extremen Schub bekommt oder ob man überhaupt einen Schub bekommt – oder ob der Schub vielleicht nur leicht ausfällt. Ich denke, wenn man mit sich zufrieden ist, egal bei was – nicht nur bezogen auf Berufsthemen, sondern auch im Privaten – tut man sich schon viel leichter.
Angy [00:31:08] Ja, wie ich auch weiß, ist es ja auch so, dass du das Kochen nicht ganz aus deinem Leben gestrichen hast, es dennoch weiterhin verfolgst und mit deiner Frau zusammen ein Food Blog betreibst.
René [00:31:22] Genau.
Angy [00:31:23] Vielleicht erzählst du kurz ein bisschen was dazu.
René [00:31:24] Also „Food Blog“ würde ich nicht so direkt sagen, weil ich eher der Mensch bin, der gerne spricht – was du wahrscheinlich mitbekommst. Und das Schreiben ist nicht meine größte Stärke. Für mich ist so ein Blog etwas Geschriebenes – ich bin aber eher Fan von kurzen Worten, schönen Bildern und Inspirationen. Wir probieren in unserem Blog unter den Namen „Matou’s Kitchen“ – das ist sozusagen ein Cut von unserem Nachnamen und unserer Küche – die Küche, die wir zu Hause zelebrieren, den Leuten zu zeigen. Und wenn ein Rezept angefragt wird oder gefragt wird, wie ich irgendwas gemacht habe, versuchen wir immer, den Leuten alles zu erklären. Aber ein richtiger Rezepte-Blog sind wir nicht. Weil wir halt sagen: „Rezepte gibt es, wie Sand am Meer, aber die Inspirationen werden immer weniger, weil man von Rezepten überflutet wird.“ Und deswegen machen wir zum Beispiel „Was machen wir heute in unserer Küche?“ Wir haben jetzt Ende des letzten Jahres einen Sohn bekommen und ich koche durchgehend für ihn. Als die Brei-Phase anfing, habe ich alle Breie portioniert, eingefroren und geordnet und alles immer frisch gemacht. Das behalten wir dadurch immer bei und geben unseren Followern einen Einblick: Was kochen wir für uns und was kochen wir für den Kleinen? Da kommen auch ab und zu mal ein paar ausgefallene Sachen bei rum.
Angy [00:33:22] Das heißt, wenn ich es jetzt richtig verstehe, kocht ihr auch zusammen, also du mit deiner Frau?
René [00:33:28] Ja.
Angy [00:33:28] Hat sie denn, bevor sie dich kennengelernt hat, auch diese Leidenschaft für das Kochen geteilt? Oder kam das dann eher erst, als ihr zusammengekommen seid?
René [00:33:36] Wie soll ich sagen, die Mischung hat’s gemacht. Sie ist gelernte Konditorin. Sie hat dann das Fachabitur gemacht, wo wir uns kennengelernt haben, und danach hat sie mit mir studiert. Sie war eher in der Konditorei unterwegs, also in Richtung Hochzeitstorten, usw. Ich habe die Gastronomie-Patisserie mitgebracht, weil ich damals auch hauptsächlich in der Patisserie unterwegs war. Und durch meine gute Ausbildung hatte ich z.B. Pralinen, Sorbets, Parfaits, Muse und Hochzeitstorten gelernt. Diese Leidenschaft hat uns schon verbunden, glaube ich.
Angy [00:34:20] Und welche weiteren Pläne habt ihr jetzt noch für das Kochen oder für euren Blog? Gibt es da irgendwas?
René [00:34:27] Natürlich. Also wir sind jetzt endlich sesshaft geworden. Wir haben uns ein Haus gekauft und dort haben wir im Keller jetzt eine Show-Küche gebaut. Besser gesagt, sie ist gerade dabei fertig zu werden. Dort wollen wir nicht immer nur mit Freunden kochen, sondern auch Kochabende für externe Leute zelebrieren, die einfach Lust haben, einen schönen Abend mit uns zu verbringen und selbst zu kochen. Wir möchten die Leidenschaft des Kochens und Backens rüberbringen und einfach nur einen schönen Abend genießen. Das ist unser Ziel, was wir an sich mit dieser Küche haben oder auch mit diesem Blog: Einfach den Menschen vermitteln, dass Essen verbindet.
Angy [00:35:24] Ja, wie geht es dir damit? Also, mit diesem Wissen, dass du deinen Traum oder deine Wünsche, die du so hast, auch trotzdem jetzt immer noch weiterverfolgen kannst?
René [00:35:34] Ich glaube das ist einer der Eckpfeiler, die mich positiv stimmen. Also, dass man trotzdem immer irgendwie an dem festhalten kann, was einen interessiert. Das ist für mich ein Sicherheitsaspekt, glaube ich auch, wo ich sagen kann: „Siehst du, ich habe das noch.“ Wie gesagt, kochen oder mit Lebensmitteln arbeiten war schon immer das, was ich machen wollte. Wenn ich das nicht hätte, wäre ich nicht so positiv gestimmt, wie ich es heute bin.
Angy [00:36:12] Welche Tipps möchtest du denn gerne noch anderen Betroffenen geben, die vielleicht auch gerade aufgrund der MS ihren Job aufgeben mussten, oder vor der Berufswahl stehen?
René [00:36:21] Ich würde immer sagen: „Macht das, was euch Spaß macht, denn ihr müsst diesen Job wahrscheinlich sehr lange machen. Und dementsprechend solltet ihr immer schauen: Wie kann ich es am besten mit meiner Krankheit zusammenbringen?“ Ich habe lange dafür gebraucht, aber manch andere brauchen vielleicht nicht so lange dafür. Ich finde am wichtigsten ist es, immer noch Spaß bei der Sache zu haben. Denn sonst wirkt sich das auch negativ auf einen selbst aus – und wahrscheinlich auch auf die Krankheit.
Angy [00:36:57] Ok, es hat mir total viel Freude gemacht heute mit dir über das Thema Beruf zu sprechen und auch über die Leidenschaft des Kochens. Weil ich das auch selbst gerne mache und super gerne esse. Gibt es noch irgendwas, was du jetzt unseren Zuhörer:innen unbedingt noch mit auf den Weg geben möchtest oder etwas, was du sagen möchtest, was du in unserem Interview noch nicht getan hast?
René [00:37:19] Ich würde das gerne mit einem Satz beenden, den ich immer gerne sage, wenn mich jemand fragt, warum ich in meinem direkten Umfeld gerne über meine Krankheit rede. Nämlich: Ich sehe ich die Krankheit wie ein Stück Kuchen. Wenn ich den Kuchen im Ganzen habe, habe ich eigentlich keine Lust darauf – denn das sind schon ganz schön viele Kalorien. Wenn ich den aber aufschneide und den an viele Menschen verteile, habe nicht nur ich Freude daran. Und nicht nur, weil ich die Kalorien nicht allein zu mir nehme und dicker werde, sondern weil alle ein bisschen was davon haben. Und deswegen erzähle ich meine Story lieber einer Person, so dass sie am Ende auch was davon hat und ich nicht dieses große Paket immer nur mit mir herumtragen muss. Deswegen finde ich es auch schön, dass ich jetzt hier die Möglichkeit hatte, etwas darüber zu erzählen – weil das für mich ein ganz großer Kuchen war, den ich jetzt teilen konnte.
Angy [00:38:19] Wie schön! Ich danke dir ganz, ganz herzlich, René, dass du heute hier Teil unseres Podcasts warst und das erste Mal auch öffentlich über die MS gesprochen hast. Ich wünsch dir von Herzen alles, alles Liebe und Gute und verabschiede mich schon mal an dieser Stelle bei dir.
René [00:38:36] Danke schön! Wie gesagt, ich bin glücklich, dass ich hier mal mitmachen durfte.
Angy [00:38:42] Vielen Dank! Ja, und wir hoffen, dass euch diese Folge auch genau so viel Freude bereitet hat, wie mir und ihr wieder einige Tipps für den Umgang mit der MS im beruflichen Umfeld mitnehmen konntet. Wir freuen uns, wenn ihr bei der nächsten Folge wieder dabei seid.
Vielen Dank, dass du uns zugehört hast. Du hast Anregungen, Themenvorschläge oder möchtest selbst Teil des Podcasts werden und deine Geschichte mit uns teilen? Dann schreib uns per E-Mail oder direkt auf Instagram. Im Beschreibungstext findest du alle weiteren Informationen und Adressen. Wir freuen uns auf dich.