Gliederung der Podcastfolge:
Angy [00:00:00] Herzlich willkommen zu „Sprich’s aus! Bei MS“. Mein Name ist Angy Caspar und gemeinsam mit meinen Gästen sprechen wir in diesem Podcast über die Krankheit der 1000 Gesichter. Hör rein, wenn du mehr über ihre inspirierenden Geschichten und Erfahrungen zu dem Umgang mit der Erkrankung im Alltag erfahren möchtest. Denn bei MS kann man eine Menge machen. Viel Freude beim Zuhören.
Angy [00:00:33] Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von „Sprich’s aus! Bei MS“. Ich freue mich, dass ihr wieder dabei seid. In diesem Podcast sprechen wir über Themen rund um Multiple Sklerose, tauschen Erfahrungen aus und geben Tipps für das Leben mit MS. Heute spreche ich mit Caro und ihrem Sohn Joel darüber, wie sie mit der Erkrankung in ihrer Familie umgehen und welche Herausforderungen sie über die Zeit gemeistert haben. Herzlich willkommen, Caro!
Caro [00:01:02] Hallo Angy, vielen Dank für die Einladung. Ich freue mich, dabei zu sein!
Angy [00:01:05] Schön, dass du da bist. Danke und herzlich willkommen, Joel!
Joel [00:01:08] Hallo!
Angy [00:01:11] Schön, dass ihr euch heute die Zeit genommen habt, um in unserem Podcast zu Gast zu sein. Es freut mich, dass wir heute miteinander sprechen können und ihr uns von euren Erfahrungen und eurem Umgang mit der MS erzählt. Liebe Caro, bitte stell dich doch ganz kurz vor.
Caro [00:01:25] Mein Name ist Caroline Régnard-Mayer, von aller Welt Caro genannt. Ich bin 56 Jahre alt und habe 2004 die Diagnose Multiple Sklerose bekommen. Erste Symptome hatte ich nach der Geburt meines ersten Kindes, meiner Tochter Sarah. Zuerst hatte ich einen hochaktiven schubförmigen Verlauf, der mit verschiedenen Medikamenten behandelt wurde. Später, vor circa acht, neun Jahren, bin ich in den sekundär-chronischen Verlauf übergegangen. Ich bin seit über 20 Jahren alleinerziehende Mutter und als ich die Diagnose bekommen habe, waren meine Kinder noch recht klein. Joel, mein Sohn, der heute dabei ist, war 5 Jahre und meine Tochter 8 Jahre alt. Ich bin Bloggerin, Autorin, medizinisch-technische Assistentin – mein ursprünglicher Beruf, den ich aber durch den Nachtdienst und das Arbeiten am Wochenende leider nicht mehr ausführen kann. Irgendwie bin ich dann zu dem gekommen, was ich heute mache: Bücherschreiben und Bloggen.
Angy [00:02:29] Darüber sprechen wir auf jeden Fall nachher noch. Bevor wir das tun, Joel, freue ich mich sehr, dass du heute auch ein Teil unseres Podcasts bist. Erzähl uns doch auch ein bisschen über dich.
Joel [00:02:39] Danke, dass ich heute hier sein darf. Ich bin gerade erst im August 22 Jahre alt geworden und bin Physikstudent in Karlsruhe. Ich gehe in meiner Freizeit gerne bouldern, aber auch Programmieren und Computerspielen mache ich gerne. Analytisches Denken hat mich schon als Kind immer begeistert. Von meiner Mutter habe ich gelernt, dass es immer wichtig ist, seinem eigenen Pfad zu folgen.
Angy [00:03:03] Dankeschön! Liebe Caro, noch mal zurück zu dir und der Zeit vor deiner Diagnose. Du sagtest ja, dass die MS bei dir 2004 diagnostiziert wurde. Wenn du dich noch mal zurückerinnerst, wann hast du das erste Mal gedacht: „Da stimmt irgendetwas nicht“, und wie haben sich dann deine ersten Symptome geäußert?
Caro [00:03:24] Wenn ich zurückblicke, fällt mir auf, dass sich 1995 nach der Geburt meiner Tochter, die schwer krank auf die Welt kam, erste Symptome bei mir zeigten: Konzentrationsprobleme, extreme Müdigkeit, Sensibilitätsstörungen in den Beinen und Armen, Taubheitsgefühle in den Beinen. Aber diese Symptome sind immer wieder verschwunden. Meine Tochter ist, wie gesagt, sehr schwer krank auf die Welt gekommen: mit Asthma bronchiale und einer Hüftdysplasie mit beidseitigen Luxationen. Das heißt, ein Hüftgelenk war nicht ausgebildet. Meine Tochter lag zwei Jahre lang in Gips und Schienen. Vier Operationen, viele Krankenhausaufenthalte – da blieb einfach keine Zeit für mich. Acht Monate nach der Geburt meines Sohnes Joel, der 1999 auf die Welt kam, wurde bei ihm auch eine Hüftdysplasie diagnostiziert. Zum Glück lief es bei ihm ohne Operation ab, jedoch mit Rundum-Therapie und Versorgung, weil er auch Schienen tragen musste. Zwischendrin war einfach kein Platz für mich, aber die Symptome traten immer wieder auf. Die Taubheitsgefühle, Sensibilitätsstörungen in den Armen und Beinen, totale Erschöpfung – und ich hatte einfach keine Zeit. Ich bin zwar zwischenzeitlich mal zum Arzt gegangen und auch mal zum Neurologen. Der hat dann aber gemeint, meine Lebenssituation sei extrem und ich solle Schlafmittel und Antidepressiva nehmen. Aber ich hatte keine Depression, ich spürte in dieser Zeit eben bereits die Vorboten der MS.
Angy [00:04:56] Dann hat es ja tatsächlich insgesamt neun Jahre gedauert, bis deine Diagnose gestellt wurde. In welcher Lebenssituation hast du dich befunden im Jahr 2004, als du die Diagnose erhalten hast?
Caro [00:05:09] 2004 war ich mittlerweile geschieden und schon seit 2001 alleinerziehende Mutter. Mein damaliger Mann hat 2001 die Diagnose Gehirntumor bekommen und hat uns von heute auf morgen verlassen. Wir waren auf uns allein gestellt. Es kam zu vielen Gerichtsprozessen und Unterhaltsklagen. Es war ein furchtbar anstrengender Lebensabschnitt. Ich habe in dieser Zeit auch eine leichte Depression entwickelt, die MS-Symptome traten immer wieder auf und mich beschäftigten finanzielle Sorgen. Ich habe dann angefangen, wieder als medizinisch-technische Assistentin zu arbeiten und Gelegenheitsjobs anzunehmen. Im Jahr 2004 hatte ich dann eine Stelle in einer Klinik mit Wochenendarbeit und Nachtdienst. Leider habe ich mich zu gut angestellt und bin deshalb gleich in den Nacht- und Schichtdienst gerutscht. Das war für mich dann das Aus. Ich war in der Probezeit und hatte einen schweren Schub, den ich mit oralem Kortison vertuschen konnte. Aber im vierten Monat der Probezeit konnte ich schließlich nicht mehr laufen, habe verschwommen gesehen und alles ist mir aus der Hand gefallen. Dann bin ich zum Arzt gegangen und der hat dann die endgültige Diagnose gestellt. Danach bin ich in Reha gekommen und habe in dem Zuge auch gleich die Kündigung meines Jobs als medizinisch-technische Assistentin bekommen.
Angy [00:06:34] Das ist ja ein riesiges Päckchen, was du da zu tragen hattest. Wie hast du es geschafft, damit mental umzugehen?
Caro [00:06:44] Ich musste irgendwie meine Kinder schützen, sie waren eben noch sehr klein. Ich habe ihnen kindgerecht erklärt, dass ich krank bin. Ich habe auch direkt mit dem Spritzen der Medikamente angefangen. Das habe ich meinen Kindern ebenfalls kindgerecht erklärt. Meine Tochter war leider sehr reserviert und wollte von all dem nichts wissen. Sie hat mir dann oft vorgeworfen, dass andere Mütter, die auch krank seinen, ganz normal arbeiten gingen. Joel ist zu Beginn besser damit zurechtgekommen, vielleicht weil er noch jünger war. Er hat sich fürs Spritzen interessiert – vielleicht auch gerade als Junge, weil man es damals noch mit der Glasflasche aufziehen musste und schütteln, machen und tun… Ich habe versucht mich bestmöglich über die Erkrankung zu informieren und bin gleich in eine Selbsthilfegruppe gegangen. Ich bin ein Mensch, der versucht, das Beste aus einer Situation zu machen. Es musste ja weitergehen, allein meinen Kindern zuliebe. Finanziell mussten wir ja von irgendetwas leben. In manchen Situationen habe ich natürlich auch geweint und mich zurückgezogen – auch von vielen Freunden, weil mir die Kraft fehlte. Mit den Jahren bin ich aber einfach reingewachsen. Zu Beginn kam ich mir vor, wie gelähmt. Tatenlos. Ich hatte Zukunftsängste. Wie geht es weiter? Kann ich meine Kinder allein erziehen und wie werden sie groß? Bin ich dabei, wenn sie ins Gymnasium kommen oder in die Realschule? Ich habe mir natürlich viele Gedanken gemacht, aber trotzdem versucht, einigermaßen meine Ruhe zu bewahren und mich mit meiner Krankheit auseinanderzusetzen. Mit den Jahren habe ich sie dann akzeptiert und angenommen.
Angy [00:08:24] Kannst du dich noch daran erinnern, wie alt deine Kinder waren, als sie dann wirklich begreifen konnten, was für eine Krankheit du hast?
Caro [00:08:32] Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung 2004 war meine Tochter 8 Jahre alt. Sie hat glaube ich begriffen, dass sich unser Leben durch die Diagnose von heute auf morgen geändert hat und dass ich nie mehr arbeiten kann. Ich habe dann nur noch Gelegenheitsjobs angenommen und bin leider gleich, wie gesagt, nach der Probezeit entlassen und in die Rente geschickt worden. Ich glaube, Sarah hat schon mit acht, neun Jahren langsam begriffen, dass unsere Zukunft aufgrund meiner Krankheit etwas ungewiss ist. Mein Sohn – damals war er fünf und ist gerade in die Grundschule gekommen – hat auch gemerkt, dass ich mehr Zeit brauche als andere, um mich zu erholen. Ich war damals auch sehr oft im Krankenhaus. Es gab dann natürlich auch Situationen, in denen die Schule bei meinen Eltern angerufen und gesagt hat, die Kinder sollten nach der Schule zu meinen Eltern laufen, weil ich zu dem Zeitpunkt im Krankenhaus war. Ich denke mit sieben Jahren etwa haben meine Kinder das bereits realisiert, dass alles etwas anders ist, als bei anderen Eltern oder Familien.
Angy [00:09:42] Joel, da du jetzt da bist, kann ich dich auch direkt fragen: Erinnerst du dich denn noch an die Situation, in der du tatsächlich realisiert hast, dass deine Mutter MS hat?
Joel [00:09:55] Ein Realisieren war das für mich eher nicht, weil ich immer das Gefühl oder Wissen hatte, dass meine Mutter krank ist. Für mich war das normal. Ich war ja noch recht klein als meine Mutter krank wurde. Das war ganz normal. Ich habe vielleicht bei Freunden gesehen, dass es anders ist – wenn man dort zum Beispiel zum Abendessen war – weil sich die Mutter nach dem Essen nicht hinlegen musste oder andere Sachen. Aber das war für mich nicht schlimm. Das war eben mein Alltag. Man hatte sich daran gewöhnt und ist damit umgegangen. Die tatsächliche Realisierung kam bei mir dann wahrscheinlich erst, als ich in der Oberstufe war. Da war ich etwa 15, 16 Jahre alt und habe mich dann auch wirklich richtig damit befasst, dass meine Mutter krank ist, dass es eine Krankheit ist, die wahrscheinlich nie geheilt werden kann und dass meine Mutter früher sterben könnte. Das war auch ungefähr die Zeit, in der ich den Tod meines Vaters verarbeiten konnte. Da kamen bei mir natürlich auch Ängste auf, dass meine Mutter vielleicht irgendwann nicht mehr da sein würde und so kam die gesamte Situation dann richtig in mein Bewusstsein. Über die letzten 5 Jahre habe ich das Ganze dann realisieren und verarbeiten können. Mittlerweile habe ich mich damit arrangiert, dass es so ist, wie es ist.
Angy [00:11:09] Joel, du hast gerade angesprochen, dass du manchmal bei anderen Freunden zu Hause warst und dass es dort anders als bei dir zu Hause war. Die Mutter deines Freundes musste sich zum Beispiel nicht nach dem Essen hinlegen. Wie war das mit deinen Freunden? Hatte die MS deiner Mutter einen Einfluss auf die Freundschaften in deiner Kindheit?
Joel [00:11:27] Ich habe einen sehr guten Freund und der ist wie meine zweite Hälfte. Er und seine Familie fragen auch immer, wie es meiner Mutter geht und daran habe ich mich mittlerweile gewöhnt.
Angy [00:11:40] Das heißt, du hast ihn von Anfang an mit einbezogen und hast ihm auch diese ganze Geschichte erzählt?
Joel [00:11:48] Ja, als ich ihn damals kennengelernt habe, war ich noch im Gymnasium in der fünften Klasse. Als er dann zu mir nach Hause gekommen ist, hat er nicht direkt etwas von der Krankheit meiner Mutter mitbekommen. Aber mit der Zeit habe ich ihm erzählt, dass meine Mutter krank ist. Generell bin ich sehr offen damit umgegangen. Jeder, den ich kenne, weiß, dass meine Mutter MS hat und, dass sie nicht so viel leisten kann wie andere Mütter, wenn es etwa darum geht jemandem an der einen oder anderen Stelle zu helfen. Dann stehe ich eben meistens allein da, aber das ist für niemanden in meinem Umfeld ein Problem. Ich mache das Beste draus.
Angy [00:12:21] Okay, Dankeschön. Die Frage, die als nächstes kommt, ist an euch beide gerichtet. Mich interessiert, inwiefern die MS euer Familienleben beeinträchtigt hat und was das mit eurem Familienalltag gemacht hat. Caro, vielleicht antwortest du zuerst.
Caro [00:12:39] Die Diagnose war ein schwerer Einschnitt. Nachdem ich entlassen wurde, musste ich – wie bereits gesagt – in die Reha. Zu dem Zeitpunkt waren die Kinder noch sehr klein und ich hatte auch starkes Heimweh. Sie konnten mich nicht besuchen, weil die Klinik sehr weit von zu Hause entfernt lag. In der Klinik war ich mit anderen MS-Betroffenen und habe gemerkt und gesehen, was so eine Krankheit machen kann. Die ganzen Jahre, in denen ich meine Kinder großgezogen habe, habe ich natürlich immer mein Bestes gegeben. Wir sind mal in den Urlaub gefahren und da hatte ich einen Schub. Ich habe den Urlaub nicht abgesagt, nur um mit den Kindern am Bodensee in Lindau in der Jugendherberge einen Urlaub zu machen. Ich war inkontinent. Man kann sich ja vorstellen, wie das ist, Windeln zu tragen und ständig die Toilette aufsuchen zu müssen. Aber die Hauptsache war, dass es den Kindern gut ging und sie eine schöne Erinnerung und ein schönes Erlebnis hatten. Persönlich ging ich da über meine Kräfte hinaus, sowohl mental als auch körperlich. Ich habe versucht, mit den Kindern am Wochenende in den Wald zu gehen. Wenn ich nicht laufen konnte, haben wir uns irgendwo an einen schönen Platz gesetzt und die Kinder konnten im Bach spielen und herumplantschen. Außerdem war ich Elternsprecherin. Das habe ich mir nicht nehmen lassen! Ich habe versucht mich immer einzubringen, zu involvieren, habe auch mal einen Kuchen gebacken. Aber so schwere Arbeiten wie das Klassenzimmer zu streichen oder mit auf Klassenfahrt zu fahren, konnte ich mit der MS einfach nicht machen. Ansonsten habe ich versucht, es meinen Kindern zu ermöglichen, dass ihre Freunde bei uns übernachten oder zu Mittag essen konnten. Bei diesen Dingen habe ich mich bemüht, dass es bei uns zu Hause nach Normalität aussieht. Es war schon eine schwere Zeit und ich habe mir auch immer Vorwürfe gemacht und Angst gehabt, dass die Kinder diese Situation mit meiner MS schwer verkraften. Ich hatte Angst, dass sie denken: „Mein Gott, was habe ich da für eine Mama? Jetzt ist mein Papa tot und jetzt habe ich noch so eine Mutter. Ich muss mich um die kümmern.“ Ich glaube, diese Ängste hatte meine Tochter. Sie hatte Angst, gerade im Gymnasium, als dann ihr Papa gestorben ist und mein Verlauf immer schlechter wurde – und ich auch wirklich schwerste Schübe hatte und sogar den Rollstuhl brauchte. Sie ist dann auch ein Jahr nach der elften Klasse nach Amerika gegangen. Und ich glaube, diesen Abstand hat sie gebraucht, um irgendwie einen Reset-Knopf zu drücken und dann nach dem Aufenthalt zurückzukommen und bei uns das Abitur zu machen. Sie ist auch nach zum Studium gleich ausgezogen. Sie musste Abstand zwischen uns bringen. Das war gut für ihre Entwicklung. Sie geht geradlinig ihren Weg: Sie hat studiert und macht jetzt noch ihren Master im Ausland. Ich habe versucht, beiden Kindern gerecht zu werden, aber ich habe es bei Joel leichter gehabt, weil er es einfach von Anfang an auch gewöhnt war, dass ich krank und einiges anders war.
Angy [00:15:43] Lieber Joel, dann die Frage auch nochmal an dich: Wie sehr hat die MS das Familienleben beeinträchtigt aus deiner Sicht?
Joel [00:15:51] Wie gesagt, meine Mutter hat ja schon viel erzählt und aus meiner Perspektive war es so, dass die Mama immer gern an ihre Grenzen gegangen ist und heute noch geht – teilweise auch ihre über Grenzen hinaus. Ich kann mich nicht beschweren, dass wir zum Beispiel zu wenige Ausflüge gemacht haben. Mama hat sich immer angestrengt, wirklich alles zu geben und es war vielleicht manchmal dann zu viel. Und dann haben wir auch gemerkt, dass es zu viel war. Unser Familienleben war im Grunde genommen ganz normal. Also wenn ich aus der Schule gekommen bin, hatte die Mama immer Mittagessen gekocht. Sogar bis ich mein Abitur gemacht habe, hat sie immer versucht mir Mittagessen zu machen. Sie musste sich dann aber hinlegen, weil „die erste Energiereserve leer war“. Dann habe ich halt meine Zeit mit Lesen und Computerspielen allein verbracht. Und ich würde sagen, wir haben zum Beispiel bei Ausflügen gemerkt, dass man vielleicht nicht 10 Stunden Rad fahren konnte. Wir haben eher einen kleinen Waldspaziergang gemacht und sind dann auf die Hütte gegangen, weil Mama sich ausruhen musste. Aber das hat an dem Erlebnis ja nichts verändert. Es war immer noch schön, es war halt nur anders. Man muss ein bisschen mehr planen, mehr Rücksicht nehmen und ein bisschen mehr nachdenken, bei allem, was man macht. Ich würde sagen, die MS hat unser Familienleben verändert, aber nicht beeinträchtigt.
Angy [00:17:09] Okay, und Caro, du hattest vorhin schon mal angesprochen, dass die Kinder dann auch mal zu deinen Eltern gegangen sind, wenn ich das richtig verstanden habe. Wer hat dich denn genau in dieser schweren Zeit unterstützt?
Caro [00:17:23] Eigentlich hauptsächlich meine Eltern. Aber ich habe auch in jeder Schule Unterstützung bekommen. Ich gehe sehr offen mit der Krankheit um. Ich habe, wenn die Kinder in eine neue Schule gekommen sind – nach der Grundschule ins Gymnasium oder in die Gesamtschule – der Klassenlehrerin gesagt, dass ich diese Krankheit habe. Zu dem Zeitpunkt bin ich öfter mal plötzlich über Nacht ausgefallen, durch einen Schub oder Krankenhausaufenthalte. Aber die ersten Jahre waren hauptsächlich meine Eltern da, weil sich mein geschiedener Mann gar nicht darum gekümmert hat, auch seine Eltern nicht. Mein Bruder ist ebenfalls sehr distanziert, was meine Krankheit angeht. Ich hatte immer wieder mal Freundinnen, die mir zum Beispiel beim Einkaufen geholfen haben. Aber bei der Betreuung der Kinder, gerade als ich noch als MTA (medizin-technische Assistenz) gearbeitet habe – vor allem im Nachtdienst – haben mir meine Eltern geholfen.
Angy [00:18:15] Danke dafür, Caro. Joel, du hast sehr positiv über das Ganze gesprochen und auch gesagt, dass die MS deiner Mutter keine negativen Auswirkungen auf dich hatte. Was nimmst du rückblickend positiv aus den ganzen Jahren mit? Du bist ja in einer anderen Situation als andere aufgewachsen. Was hat dir das für dein zukünftiges Leben mit auf den Weg gegeben?
Joel [00:18:44] Ich konnte wirklich sehr viel Positives aus der Situation gewinnen. Ich war immer schon ein sehr fröhlicher Mensch und bin persönlich ja auch nicht von der MS betroffen. Wenn man seinen Vater verloren hat und seine Mutter krank ist, macht es das Leben ein bisschen leichter, – und das mag jetzt zwar etwas zynisch klingen, ist aber gar nicht so gemeint – weil es gar nicht mehr schlimmer werden kann. Deshalb bin ich im Grunde genommen immer gut drauf. Meine Mutter hat immer dafür gesorgt, dass ich sehr selbstständig bin. Von Natur aus bin ich jemand, der nichts selbstständig hinbekommen würde. Aber meine Mama hat immer Wert darauf gelegt, dass ich vieles selbst mache, dass ich mich zu Sachen selbst anmelde. Als ich erwachsen wurde, habe ich zum Beispiel auch meine Versicherung übernommen und den Schriftverkehr selbst geführt. Auf meine Selbstständigkeit hat meine Mutter immer schon viel Wert gelegt, vielleicht auch mit dem Hintergedanken, dass ich – falls sie irgendwann nicht mehr da sein sollte – mich in der Welt selbst zurechtfinde. Das hat mich gelehrt offen mit allem umgehen zu können, selbstständig irgendwo hingehen zu können und auch meine Probleme selbstständig lösen zu können. Und in den letzten Jahren, besonders in meinen jungen Erwachsenenjahren, sind die schrägsten Dinge passiert, wirklich die seltsamsten Geschichten. Also da erinnere ich mich an eine Situation auf Mallorca hinter einem Auto...
Angy [00:20:06] Erzähl doch mal!
Caro [00:20:10] Das kannst du ruhig erzählen!
Joel [00:20:11] Auf Mallorca hatten wir ein Auto gemietet. Wir waren sehr weit von unserem Hotel entfernt und es gab weit und breit keine Toilette und meine Mutter musste ganz dringend aufs Klo. Wir standen auf dem Parkplatz und dann habe ich gesagt: „Du gehst jetzt hinter das Auto und ich halte Wache.“ Und da musste die Mama dann leider aufs Klo, während ich Ausschau gehalten habe. Aber da lernt man auch wirklich, seine Scham abzulegen und ganz offen mit allen möglichen Dingen umzugehen. Ich würde sagen, diese Dinge habe ich im Positiven mitgenommen.
Angy [00:20:45] Ja, spannend. Ich habe es mir gerade bildlich vorgestellt. Für uns Frauen ist es ja generell nicht so einfach, wenn wir mal müssen und es keine Toiletten gibt. Deswegen kann ich das sehr gut nachempfinden. Joel, würdest du denn auch sagen, dass euch all diese Erlebnisse, die ihr geteilt habt, noch enger zusammengeschweißt haben?
Joel [00:21:10] Wenn ich mich selbst mit meinen Freunden vergleiche, würde ich sagen, dass ich meiner Mutter am nächsten stehe. Ich kann ihr alles erzählen, was ich erzählen will. Ich weiß auch wirklich viel über meine Mutter. Wir haben ein sehr offenes Verhältnis und ich muss sagen, dass das gemeinsam Durchlebte uns wirklich zusammengebracht hat – vielleicht sogar noch enger, als es in anderen Familien der Fall ist.
Angy [00:21:34] Schön! Caro, wie siehst du das rückblickend?
Caro [00:21:37] Es berührt mich sehr, was mein Sohn hier sagt und ich bin froh, dass er das die ganzen Jahre so gut „weggesteckt hat“. Wir haben schon wirklich die peinlichsten Situationen mit mir, beziehungsweise wegen mir, erleben müssen. Als wir da auf Mallorca waren, und der Joel Wache hält, ich hinter dem Auto Pipi mache – direkt neben der Straße und dem Hotel, dessen Fenster offenstanden – und neben dem auch noch Leute standen… Und das ist noch harmlos im Gegensatz dazu, was wir teilweise schon alles miteinander erlebt haben. Als ich am Anfang die schweren Schübe hatte, habe ich mich darum bemüht, die Kinder in den Haushalt einzuführen. Natürlich kann man einem fünf- oder neunjährigen Kind keine schweren Aufgaben übergeben. Aber zum Beispiel konnte ich mit Sarah gemeinsam Wäsche aufhängen. Oder ich habe den Kindern erklärt, wie die Waschmaschine funktioniert und einen Zettel daran gehangen, sodass sie es ablesen konnten, wenn ich zum Beispiel meinen Rollstuhl oder Rollator gebraucht habe. Als Joel dann sechs oder sieben Jahre alt war, hatten wir eine Familienhelferin. Die hat sich aber mehr mit ihren Fingernägeln und ihrem Handy beschäftigt, als uns zu unterstützen. Dann hat Joel gesagt: „Mama, Mama, bitte lass nie mehr so jemanden kommen und zeig mir, wie man putzt!“ Da war er wirklich erst um die sechs, sieben Jahre alt und der Stiel vom Wischer war viel größer als Joel. Er hat trotzdem die Küche durchgeputzt – und wie toll! Ich habe ihn dann gelobt und war damals richtig berührt. Ich habe es ihn später zwar nicht machen lassen. Aber es war schön zu sehen, wie die Kinder versucht haben, mir die ganzen Jahre über zu helfen – auch heute noch. Und auch ihr Verständnis, das sie mir entgegengebracht haben, weil ich auch sehr viel mit Kognition zu tun habe… Ich vergesse viele Termine und ich kann manche Formulare nicht mehr richtig ausfüllen. Da ist mein Sohn immer für mich da, das ist nicht selbstverständlich. Und ich sehe das auch nicht als selbstverständlich an, weil ich andere Familie sehe, die das niemals machen würden. Daher bin ich sehr, sehr dankbar. Wie gesagt, wir hatten schon schräge Situation. Einmal waren wir in Karlsruhe in der Fußgängerzone. Wir haben für Joels Abitur einen Anzug gekauft. Ich saß damals im Rollstuhl. Das Trittbrett rutschte nach einer Stunde auf dem Boden, verhakte sich und schliff dann auf dem Boden – mitten in Karlsruhe in der Fußgängerzone. Also hat Joel mich auf eine Bank gesetzt, hat den Rollstuhl – Joel ist sehr groß – auf die Schulter genommen und ist zum Parkhaus gerannt. Dann hat er den Rollstuhl ins Auto gelegt, ist mit dem Auto in die Fußgängerzone gefahren und hat mich abgeholt. Das würde nicht jeder machen. Ich meine, er war damals immerhin 19 Jahre alt. Wir haben wirklich schwere Zeiten, aber auch viele lustige und sehr positive Momente erlebt.
Angy [00:24:38] Ich glaube du wolltest gerade noch etwas ergänzen, Joel.
Joel [00:24:41] Die Blicke waren auch wirklich... Man hat sich so gefühlt, als ob einem jeder zuschaut, aber niemand hilft. Und da muss man dann einfach durch. Ich habe einfach angepackt und gesagt: „Du bleibst jetzt hier sitzen und ich hol das Auto“, denn Mama hätte sich noch bis zum Parkhaus schleppen wollen. Manchmal muss ich ihr dann sagen: „Nein, du bleibst jetzt hier sitzen, ich mache das.“ Ganz interessant ist auch, dass meine Mutter und ich sozusagen einen eigenen Code entwickelt haben. Da sie manchmal durch ihre Wortfindungsstörungen seltsame Satzkonstruktionen zustande bringt, spiele ich für manche Leute dann den Dolmetscher. Wenn meine Mutter versucht irgendein Wort zu finden, beispielsweise „Apfelsaft“, dann frage ich sie: „Apfelsaft, Birnensaft oder ist es doch irgendein Sirup?“, und dann spielen wir sozusagen ein kleines Ratespiel, bis meine Mutter sagt: „Ja, genau das!“ Ich habe mir angewöhnt zu helfen, falls sie stockt, denn die meisten Menschen realisieren gar nicht, dass meine Mutter gerade das Wort, nach dem sie sucht, nicht herausbekommt. Manche schauen dann seltsam und fragen sich: „Was geht jetzt hier ab?“ Das ist auch immer eine ganz interessante Sache.
Angy [00:25:51] Wenn ich euch nach Tipps fragen würde, die ihr anderen Familien geben würdet, in denen auch jemand von MS betroffen ist, welche wären das? Fangen wir mal mit dir an, Joel.
Joel [00:26:02] Ich würde sagen, die Offenheit hat mir sehr geholfen. Dadurch, dass ich wusste, dass meine Mutter krank ist, konnte ich empathisch reagieren – weil ich wusste, dass ich meiner Mutter helfen muss. Das hat mir nicht nur dabei geholfen, meiner Mutter zu helfen, sondern auch generell sehr hilfsbereit zu werden.
Angy [00:26:21] Okay. Caro, was hast du für Tipps?
Caro [00:26:25] Wenn die Kinder noch klein sind, spüren sie schon viel; sie haben ganz feine Antennen. Deshalb sollte man den Kindern kindgerecht erklären, dass man krank ist. Man sollte vielleicht nicht das Wort „krank“ in den Mund nehmen. Aber man sollte eben kindgerecht erklären, dass sich einiges geändert hat, dass man mehr Ruhe oder vielleicht eine Gehhilfe braucht. Ich glaube, dass es besser ist, ehrlich mit den Kindern umzugehen, anstatt zu versuchen alles zu vertuschen. Mit der Zeit wachsen die Kinder darein. Viele Kinder fragen auch nach, und man sollte ihre Fragen offen und ehrlich beantworten. Ich habe wie gesagt ganz früh angefangen den Kindern ein bisschen etwas im Haushalt zu zeigen. Schon immer sind wir zu Kochkursen in familiengerechten Küchen an der Volkshochschule gegangen. Dort haben wir gemeinsam mit anderen Müttern und Kindern Familiengerichte gekocht. An Weihnachten sind die Kinder selbst zu einem Back-Kurs gegangen. Ich habe dann früh ein Testament und eine Patientenverfügung für mich aufgesetzt, weil die Kinder noch minderjährig waren. Dadurch konnte geprüft werden, ob sie zu meinen Eltern kommen können, damit sie nicht in irgendeine Familie kommen. Später habe ich auch angefangen meinen Kindern Bankgeschäfte zu erklären, bin mit ihnen zur Bank gegangen und habe ihnen das gezeigt. Außerdem habe ich ihnen Versicherungen erklärt und auch gezeigt, was ich so alles ausfülle. Ich habe sie ganz langsam an alles herangeführt, damit sie im Fall, dass mir mal etwas passieren sollte, selbstständig durchs Leben gehen können. Meine Tochter hat auch dadurch, dass sie in Amerika war – klar saß ich hier in Deutschland und musste auch noch per Skype einige Dinge regeln – alles sehr selbstständig gemacht. Sie hat sich auch ihr Studium selbst herausgesucht, ihr Zimmer in Mannheim und auch damals in Paris, wo sie auch studiert hat. Sie war sehr, sehr selbstständig und das macht der Joel genauso. Er wohnt in einer WG in Karlsruhe mit zwei Freunden zusammen. Der kocht, der backt, die machen den Haushalt. Ich meine, natürlich fragen sie mich auch mal etwas. Dann rufen sie an – das freut mich auch immer – und fragen, wie dieses Rezept geht oder wie sie jenes sauber machen können. Aber das kommt davon, dass ich immer offen und ehrlich war und sie ganz früh bereits langsam an alles herangeführt habe.
Joel [00:28:41] Ich würde gerne noch etwas hinzufügen, und zwar: Für mich, als jemand, der gesund ist, ist es wichtig, dass meine Mama immer gesagt hat, was gerade Sache ist. Man kann eben nicht in die andere Person reinschauen und MS wird immer als „die unsichtbare Krankheit“ betitelt. Aus dem Grund war es für mich immer wichtig, dass meine Mutter gesagt hat: „Ich kann jetzt nicht!“, oder „Ich bin jetzt müde, wir müssen das wann anders machen.“, oder auch „Ich kann jetzt kein Auto fahren, das wäre zu gefährlich.“ Und dass sie einfach offen und ehrlich mit mir spricht. Besonders als ich älter wurde, war das wichtig, weil da habe ich dann auch gesagt: „Okay, das geht jetzt nicht, dann müssen wir das wann anders machen und müssen es anders lösen.“ Und daran ist ja nichts Schlimmes. Es hat sehr geholfen, weil sonst versteht man ja gar nicht: Warum geht das jetzt nicht, warum machen wir das nicht? Und deswegen hat das offene und ehrliche Kommunizieren uns wirklich viel geholfen.
Angy [00:29:29] Hast du diese offene und ehrliche Kommunikation, von der du gerade sprichst, auch in dein Leben integriert? Spielt das eine Rolle im Umgang mit Menschen, mit denen du sonst zu tun hast, Freunden und wen man auch immer so trifft?
Joel [00:29:40] Ja, auf jeden Fall. Es hilft einem besser dabei, nicht nur Smalltalk zu betreiben, sondern ein richtiges Gespräch zu führen, bei dem ein Informationsaustausch stattfindet. Wenn ich jemanden frage, wie es ihm geht, dann mache ich das normalerweise nicht aus deutscher Höflichkeit heraus, sondern, weil mich wirklich interessiert, wie es der Person geht. Und ich hoffe, dass es so rüberkommt, dass mir jeder dann auch antworten kann: „Hey, mir geht es jetzt nicht so gut“, oder „Ich habe gerade Stress an der Uni“. Wenn ich danach frage, dann interessiert es mich auch. Offene, ehrliche Kommunikation ist eigentlich immer wichtig.
Caro [00:30:18] Dazu würde ich gerne noch etwas sagen. Ich muss sagen, dass mein Sohn für fast jeden sein letztes Hemd gibt. Das war schon in der Schulzeit so und ist heute immer noch so. Ich empfinde es als schöne Geste, Rücksicht auf andere zu nehmen, sich für sie zu interessieren und auch Menschen etwas zu geben. Das Leben ist nämlich ein Geben und Nehmen. Meine Tochter ist auch so. Sie hat sich auch immer in der Jugendarbeit sozial engagiert und tut es heute noch in ihrem Beruf. Ich war gerade mit ihr fünf Tage in Österreich im Gebirge. Wandern konnte ich nicht, aber das weiß meine Tochter. Sie ist mit mir dann immer mit der Bahn hochgefahren und hat mich irgendwo an einer Hütte abgesetzt. Da habe ich dann zwei, drei Stunden gewartet und mich richtig erholen können. Das hat mir nichts ausgemacht, da zu sitzen, während sie wandern gegangen ist. Da habe ich gemerkt, dass sie die letzten Jahre mehr Verständnis für mich entwickelt hat. Das freut mich. Sie hat es jetzt einfach akzeptiert, denke ich. Nicht jeder verkraftet so eine schwere Krankheit, wenn ein Elternteil oder ein Kind so krank ist. Sie ist, wie gesagt, heute auch noch sehr durchgeplant, freundlich, hilfsbereit und empathisch. Das muss ich sagen, ist die Sarah heute auch.
Angy [00:31:41] Caro, du hast ja eben schon erzählt, dass deine beiden Kinder ganz unterschiedlich mit deiner MS umgegangen sind. Und dennoch sind sie ja auch Geschwister. Wie war denn in all der Zeit deine Wahrnehmung zum Verhältnis der beiden?
Caro [00:31:59] Schon als der Joel auf die Welt gekommen ist, war die Sarah ganz fasziniert und hat sich gefreut, dass sie ein Geschwisterchen bekommen hat. Die beiden waren eng miteinander verbunden. Wir haben ja immer gemeinsam mit den Kindern etwas unternommen und auch später habe ich immer beide Kinder dabeigehabt – im Urlaub, bei Ausflügen – und habe sie auch immer gleichbehandelt. Als ich die Diagnose erhalten habe, war es, glaube ich, eine Stütze für die beiden, dass sie keine Einzelkinder waren, sondern die Möglichkeit hatten sich immer mit jemandem auszutauschen. Es war gut für sie zu wissen, dass sie nicht allein sind – vor allem, wenn mir einmal etwas passieren sollte. Gerade als ich sechs Wochen lang in der Reha war, waren sie noch sehr klein und ich glaube, da war es wichtig für die beiden, sich gegenseitig zu haben. Sie sind ja beide damit aufgewachsen und haben sich auch immer wieder gegenseitig Rat geholt – über die Schule, über Freundschaften oder über Hobbies. Sie sind bis heute eng miteinander verbunden. Natürlich trennen sie jetzt einige Kilometer voneinander, aber ich weiß, dass sie sich wahrscheinlich nie aus den Augen verlieren werden.
Angy [00:33:12] Joel, es wäre schön zu hören, wie das Verhältnis zu deiner Schwester aus deiner Perspektive ist und wie es für euch als Geschwisterpaar war, mit der Diagnose eurer Mutter zu leben.
Joel [00:33:25] Ich habe meine Schwester immer als „die große Schwester“, die mich beschützt, wahrgenommen. Ich kann sagen, dass sie mir immer geholfen und mich auch immer angetrieben hat, als meine Mama nicht mehr konnte. Ich hatte immer meinen eigenen Willen und meine Schwester hat mir auch manchmal gezeigt: „Die Mama kann jetzt nicht mehr, du siehst das doch!“ In dieser Hinsicht hat sie mir geholfen. In der Zeit, in der unser Vater gestorben ist, war es ein bisschen schwer. Ich habe gefühlt, dass die Sarah mehr damit zu kämpfen hat und sie die Situation ein bisschen mehr runterzieht. Aber in den letzten Jahren ist es auf jeden Fall besser geworden, weil ich weiß, meine Schwester ist immer da, falls ich sie brauche. Meine Schwester ist auch eine der Personen, auf die ich immer zählen kann.
Angy [00:34:13] Das ist doch schön zu hören, dass deine beiden Kinder da sehr, sehr viel von dir mitgenommen haben.
Caro [00:34:22] Darauf, dass ich es geschafft habe – als alleinerziehende Mutter mit einer so schweren Krankheit – zwei solche Kinder zu erziehen, bin ich auch sehr stolz, wenn ich ehrlich bin. Ich habe ja noch andere Baustellen, gerade mit schweren Depressionen. Daher bin ich sehr stolz und auch froh, dass es mir so gut geglückt ist, trotz all den Lebensumständen.
Angy [00:34:42] Das solltest du auch sein! Das finde ich sehr gut, dass du da stolz auf dich bist. Jetzt ist es ja so, Caro, dass deine Krankheit auch fortschreitend ist. Wie gehst du damit um?
Caro [00:34:54] Für mich persönlich war der Übergang in den chronischen Bereich gar nicht so schlimm. Dieser schubförmige Verlauf, durch den ich über Nacht auf einmal nicht mehr richtig sehen konnte oder gar nicht mehr aufstehen konnte, war für mich schlimmer als der chronische Verlauf jetzt. Es wird schleichend schlechter. Das kann langsam gehen, schneller gehen, das weiß kein Mensch. Und heute habe ich auch Hilfsmittel akzeptiert: Ich habe einen Gehstock, den brauche ich fast immer. Ich habe meinen Rollator. Zurzeit nutze ich oft den Rollstuhl – der ist auch immer im Auto hinten drin. Den brauche ich, wenn ich einkaufen gehe oder mich über längere Strecken fortbewegen möchte. Ich kann sagen: Ich bin angekommen! Ich bin angekommen mit meiner Krankheit, aber das schon jahrelang. Ich tausche mich mit anderen Leuten über die sozialen Netzwerke aus. Ich bin Gruppenleiterin von einer Selbsthilfegruppe und einem Behindertenbeirat. Ich habe die Krankheit angenommen, aber es war ein langer Weg. Wie gesagt, habe ich auch die Hilfsmittel angenommen und bin erleichtert, weil Hilfsmittel, wie der Rollstuhl oder der Rollator, sofort die Lebensqualität erhöhen. Damit kann man einfach wieder mehr am Leben teilnehmen.
Angy [00:36:08] Du hast vorhin bereits über deine berufliche Situation gesprochen, dass diese sich geändert hat und du hast auch von deiner Anstellung, von der du direkt nach deiner Diagnose gekündigt wurdest, berichtet. Wie ging es denn mit deiner beruflichen Situation dann noch weiter?
Caro [00:36:24] 2004 nach der Diagnose habe ich viereinhalb Monate im Krankenhaus gearbeitet und hatte dann zwei Schübe. Der letzte Schub war dann wie gesagt das Aus. Danach bin ich in Reha gegangen, weil für mich ein Reha-Antrag gestellt wurde – ich hätte ihn gar nicht gestellt. Danach war ich plötzlich voll in der EU-Rente. Aber da das Geld einfach nicht gereicht hat, und ich immer wieder Geld per Gericht oder Amt einstreiten musste, habe ich mir immer geringfügig eine Stelle gesucht. Das heißt, ich habe zum Beispiel Regale aufgeräumt und Inventur gemacht, dann habe ich mal wieder irgendwo geputzt. Aber es wurde halt mit der Zeit durch die schweren Schübe immer schwieriger. Und dann hatte ich sogar die Chance in der Versicherungsbranche einzusteigen. Da habe ich zwei Jahre gearbeitet. Nach den zwei Jahren wurde ich von einem Hausarzt angesprochen, ob ich nicht bei ihm arbeiten wollen würde. Das habe ich dann auch gemacht. Ich habe einmal drei und einmal zwei halbe Tage in der Woche gearbeitet, auf 450 Euro Basis. Das hat mir riesigen Spaß gemacht. Nur hatte ich dann leider nach drei Jahren so einen schweren Schub, dass ich ein paar Wochen gar nicht sprechen konnte. Also man hat mich nicht verstanden. Man kann sich das so vorstellen, wie nach einem Schlaganfall. Es war schwierig, mich zu verstehen und mein linker Arm war außerdem lange noch gelähmt. Dann habe ich gedacht: „Nein, jetzt ist es gut. Ich muss einfach aufhören und meinen Stress minimieren.“ Da ich in der Zwischenzeit angefangen hatte, Bücher zu schreiben, habe ich mich schließlich ganz dem Schreiben gewidmet und habe 2018 einen Blog gegründet, auf dem ich schreibe. Am Anfang habe ich jede Woche etwas in meinen Blog geschrieben und heute, da ich bereits so viele Beiträge hochgeladen habe, schreibe ich monatlich einen Beitrag. Das mache ich, um Menschen zu zeigen, dass man mit MS auf eine andere Art und Weise gesund ist – und dass es ein gutes Leben auch mit MS gibt. Ich gebe dort auch Rat und Tipps und höre mir die Sorgen und Nöte von den Menschen an.
Angy [00:38:27] Dein Blog ist genau eines der Themen, über das ich gerne noch mit dir sprechen wollte. Wie ich jetzt auch gerade schon bemerkt habe, gehst du sehr offen mit der Krankheit um. Einiges hast du uns bereits erzählt. Wie bist du damals dazu gekommen, auf diesem Blog zu schreiben?
Caro [00:38:44] Den Blog habe ich erst in 2018 gegründet. Ich hatte damals schon 15 Bücher auf den Markt gebracht, das Sechzehnte habe ich dieses Jahr veröffentlicht. Ich wollte einfach aus meinem Alltag berichten: Reisen mit Handicap, gesunde Rezepte, Ernährung, Umgang mit der MS. Außerdem wollte ich neue Gesetze erklären, die Menschen mit MS im Speziellen betreffen. Und dadurch habe ich das Bücherschreiben sozusagen auslaufen lassen und habe mich schließlich meinem Blog und den sozialen Netzwerken gewidmet.
Angy [00:39:15] Also kam das Bücherschreiben zuerst und dann der Blog?
Caro [00:39:19] Ja, 2009 habe ich mein erstes Buch veröffentlicht. Und zwar hat mir eine Freundin in der Zeit, als ich im Krankenhaus ans Bett gefesselt war und nicht laufen konnte, ein Buch von einer MS-Betroffenen gebracht, die Gedichte veröffentlicht hat. Und diese Gedichte haben mir in dem Moment so gut getan, dass ich mir gedacht habe: „Ich schreibe jetzt meine eigene Geschichte auf.“ Dann hat jemand gesagt: „Mensch, veröffentliche doch mal etwas von dir!“ Das habe ich dann gemacht und so habe ich begonnen meine eigenen Erfahrungen aufzuschreiben, Fachbücher über unsichtbare Symptome bei der MS, ein Blasenschwäche-Fachbuch… So bin ich zum Schreiben gekommen.
Angy [00:39:59] Ich kann mir vorstellen, dass es da auch viel Resonanz und Feedback zu deinen Büchern gibt. Vielleicht hast du ja Lust, uns dazu die eine oder andere Geschichte zu erzählen.
Caro [00:40:08] Mein allererstes Buch, was ich ins Ausland verkauft habe, habe ich nach Wien verkauft. Und die Frau, an die ich es verkauft habe – ich möchte den Namen jetzt nicht nennen – habe ich seitdem schon mehrmals persönlich getroffen, als ich nach Wien geflogen bin. Ich war sogar bei ihrer zweiten Hochzeit dabei. Ansonsten habe ich am Anfang, in den ersten Jahren, viele Lesungen gemacht und bin dadurch direkt in den Kontakt mit meinen Lesern gekommen. Ich werde aber auch heute noch oft wegen meiner Bücher angeschrieben und dieses positive Feedback und „Miteinander-ins-Gespräch-kommen“ freut mich sehr. Jeder erzählt so ein bisschen etwas aus seinem Leben. Durch Instagram habe ich auch viele meiner Leser und Follower persönlich getroffen, wodurch sehr schöne Freundschaften entstanden sind.
Angy [00:40:52] Wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, hast du bereits 16 Bücher geschrieben. Machst du davon jetzt gerade erst einmal eine Pause oder gibt es da noch irgendwelche Ziele, die du mit dem Bücherschreiben verfolgst?
Caro [00:41:07] Dieses Jahr habe ich ein Kochbuch, ein Sammelwerk mit 103 Rezepten, auf den Markt gebracht. Dafür habe ich mir sehr viel Zeit genommen. Da habe ich über gesunde Ernährung, Ernährungsformen bei der MS, und die Bedeutung von Vitaminen und Mineralstoffen geschrieben und versucht meinen Lesern gesunde Rezepte mit an die Hand zu geben. 103 insgesamt, die man aber auch je nach Ernährungsform abwandeln kann. Und das war für mich so ein bisschen ein Abschluss. Aber man soll ja niemals „nie“ sagen. Ich habe auch zwei Romane unter einem Pseudonym auf den Markt gebracht und überlege im Moment dazu noch etwas zu schreiben. Zu dem einen Roman wollte ich eigentlich immer eine Fortsetzung schreiben. Es kann also sein, dass ich das demnächst noch mache.
Angy [00:41:51] Spielt in den Romanen die Krankheit auch eine Rolle?
Caro [00:41:54] Ja, beim ersten spielt sie eine Rolle. Da habe ich so ein bisschen unsere Situation beschrieben. Also natürlich mit ganz anderen Namen, verfälschten Ortsnamen und so weiter. Die junge Frau, die in dem Buch die Protagonistin ist, geht nach Amerika an eine Universität und meine Tochter war ja auf der High School. Da habe ich vieles über meine Krankheit reingebracht. In meinem zweiten Roman ist alles erfunden. Das ist ein Liebesroman. Da habe ich einfach mal über etwas anderes schreiben müssen als immer nur über die MS.
Angy [00:42:28] Es ist ja vielleicht auch schön, mal ein bisschen Abstand davon zu bekommen.
Caro [00:42:31] Genau!
Angy [00:42:33] Es gibt ja dieses Sprichwort: Man schreibt sich etwas von der Seele. War das bei dir auch so? Und hat das zugetroffen, dass du, wie soll ich das sagen, dadurch alles niederzuschreiben, so eine Art Selbsttherapie gemacht hast?
Caro [00:42:47] Ja, ich sage immer: „Schreiben ist Therapie!“ So wie das bei manchen das Malen oder das Musikmachen ist. Mir hat es gutgetan, alles, was ich so erlebt habe –mit den Kindern, im Beruf und so weiter – aufzuschreiben. Ich habe auch immer wieder Neuauflagen gemacht, gerade was Aktualisierungen von Therapien anging. Mir hat das Schreiben einfach gutgetan. Das ist für mich einfach das Leben! Ich versuche heute noch für Firmen Artikel zu schreiben oder bin bei manchen tätig, für die ich dann etwas auf Instagram veröffentliche. Also das wäre das Schlimmste, was es gibt für mich: wenn ich nicht mehr schreiben oder lesen könnte.
Angy [00:43:27] Dann hast du ja auch noch einen Social-Media-Kanal, auf dem du dich der Fotografie widmest und unter deinem ersten Post auf diesem Kanal schreibst du: „Hier bin ich nur Caro ohne MS!“ Ich würde gerne wissen: In welchen Momenten kannst du Caro ohne MS sein und was bedeutet das für dich?
Caro [00:43:48] Ich fotografiere sehr gerne. Das habe ich durch die MS wieder für mich entdeckt. Ich habe auch eine tolle Ausrüstung. Für mich bedeutet dieser Kanal, dass ich mich völlig von der MS loslösen kann. Da fotografiere ich Blumen, Deko, Landschaften – das bin alles nur ich. Und wenn mir jemand dort schreibt und mich nach der MS etwas fragt, sage ich: „Es tut mir leid, bitte auf dem anderen Kanal.“ Also ich will da gar nichts davon wissen und ich glaube, das hat sich rumgesprochen. Es schreibt dort auch nie irgendjemand etwas über die MS. Ich glaube meine Follower sehen, dass es dort nur die Caro gibt – ohne MS. Und ich merke in den Kommentaren, dass es den anderen auch so geht, dass sie in dem Moment auch nicht an ihre MS denken. Das ist ein schönes Gefühl auch mal etwas von sich zu zeigen, ohne die MS. Dass ich noch reise, dass ich mich an der Natur erfreue oder auch an Deko – das möchte ich dort weitergeben.
Angy [00:44:51] Social Media wird vorwiegend von jungen Leuten genutzt, so wie du einer bist, Joel. Wie ist es denn für dich zu sehen, dass deine Mutter in den sozialen Netzwerken so aktiv ist, Bücher geschrieben hat und sozusagen sehr präsent ist?
Joel [00:45:07] Also das ist wirklich interessant, weil ich persönlich nur WhatsApp habe. Was Social Media angeht, ist meine Mutter viel, viel aktiver unterwegs als ich. Sie erzählt auch immer von ihrem Blog. Wir haben mal einen YouTube-Kanal gemacht und ich habe ihr dann gezeigt, wie man das machen kann. Das mit Instagram hat sie aber selbst herausgefunden und sie weiß auch über Pinterest und sonst noch alles mögliche Bescheid. Also meine Mutter ist da wirklich viel, viel aktiver. Es ist verrückt, weil gefühlt kennt sie jeden im Internet. Sie sagt dann: „Ah ja, ich habe eine Freundin da und kenne jemanden dort.“ Ich, nur mit meinem WhatsApp, denke mir dann immer nur: „Okay“. Es ist ein bisschen skurril, dass die eigene Mutter im Internet „berühmt“ ist, oder in den MS-Kreisen zumindest so richtig unterwegs ist. Ich sehe es ja an meinem eigenen Leben, dass es möglich ist. Ich kenne auf YouTube einige Kanäle und es ist ein bisschen verrückt, das Ganze auch von der anderen Seite zu kennen. Dann ist mal eine Kamera für ein Foto im Wohnzimmer aufgebaut oder so und dann merkt man, dass wieder etwas fotografiert wurde. Man sieht die ersten Cover-Entwürfe für ein Buch oder man sieht, dass wieder am Buch gearbeitet wurde. Das ist schon ein bisschen skurril, das kann man nicht anders sagen.
Angy [00:46:24] Das heißt, solltest du irgendwann noch einmal auf Instagram aktiv sein wollen, kannst du dann in dem Fall deine Mutter nach Tipps und Tricks fragen?
Joel [00:46:31] Ja, auf jeden Fall. Was mir meine Mutter schon alles über Instagram beigebracht hat... Ich wusste dann immer: „Okay, das werde ich mir merken, aber ich werde es wahrscheinlich nicht brauchen.“ Es ist wirklich verrückt.
Angy [00:46:43] Dann sind wir auch fast schon am Schluss unserer heutigen Folge. Deswegen möchte ich dich als allererstes fragen, Joel: Gibt es noch irgendetwas, das unsere Zuhörer:innen unbedingt noch wissen sollten beziehungsweise, was du ihnen zum Schluss noch mit auf den Weg geben möchtest?
Joel [00:47:01] Versucht immer positiv zu bleiben und vorwärts zu gehen, denn meiner Erfahrung nach, wird es immer besser. Es sah früher an manchen Tagen wirklich düster aus, was meine Mutter anging. Aber ich kann nur sagen: Es wird besser! Man muss versuchen vorwärtszukommen und hoffnungsvoll zu bleiben.
Angy [00:47:21] Caro, was möchtest du noch unbedingt mit unseren Zuhörer:innen teilen?
Caro [00:47:27] Wenn man die Diagnose frisch bekommen hat, muss man sich unbedingt Zeit geben. Man sollte nicht verzweifeln oder von heute auf morgen versuchen, alles zu ändern. Der eine braucht Monate, der andere Jahre, um die Krankheit zu akzeptieren. Es ist dann natürlich jedem selbst überlassen, ob er offen mit seiner Krankheit umgeht. Mit Hinblick auf den Beruf kann man sich beispielsweise erst informieren, ob man wirklich allen von seiner Krankheit erzählen sollte. Oder man kann erst später, wenn die Verschlechterungen durch die MS sichtbar werden, anfangen darüber zu sprechen. Und wie ich eben schon gesagt habe: Mit der MS ist man auf eine andere Art und Weise gesund. Es ist nicht das Ende. Es kann für viele einen Neubeginn bedeuten. Für mich hat es leider das Ende vom Beruf bedeutet. Ich vermisse meinen Beruf, aber ich habe neue Chancen bekommen. Ich bin zum Bücherschreiben gekommen, bin heute Bloggerin – Influencerin. Ich bin im Behindertenbeirat. Da sind nicht nur behinderte Menschen dabei, es ist nur eine Person mit Behinderung im Beirat, glaube ich. Ansonsten auch der Bürgermeister und ganz hohe Tiere! Und da erfährt man immer, was hinter den Kulissen von Landau, da wo ich herkomme, passiert. Die Selbsthilfegruppe, ist auch toll, weil man eng mit dem Landesverband – ich gehöre zu Rheinland-Pfalz – zusammenarbeitet. Man lernt neue Menschen kennen, bekommt neuen Input und man hat einfach das Gefühl, dass man etwas wert ist, dass man gebraucht wird. Diese Bestätigung bekommt man oft durch den Beruf und wenn der wegbricht, hat man durch solche Alternativen einfach einen guten Ausgleich und man lernt außerdem noch viel dazu. Auch die sozialen Netzwerke: Bis ich bei Pinterest mal durchgeblickt habe, hat es etwas gedauert, aber mittlerweile mache ich das im Schlaf. Twitter nutze ich weniger, aber ich habe auch da einen Account. Facebook habe ich auch schon jahrelang. Instagram liebe ich, ich bin fast süchtig danach, um ehrlich zu sein. Da lachen meine Kinder immer: „Schon wieder ein Bild auf Instagram. Das darf doch nicht wahr sein!“ Ich bin da reingerutscht und fühle mich in dem Metier einfach wohl. Wie gesagt, sollte man sich für die Krankheit Zeit nehmen und auch keine Angst vor Hilfsmitteln haben. Sie können die Lebensqualität erhöhen. Und man sollte die Kinder kindgerecht mit einbeziehen und ihnen einfach erklären, was los ist. Außerdem sollte man sich immer jemanden im Hintergrund halten, der einem im Notfall hilft – bei der Kinderbetreuung, bei der Pflege oder beim Einkaufen. Also keine Angst vor der MS! Es kann für einige auch ein totaler Neubeginn oder eine Neuorientierung im Leben sein. Und das wünsche ich jedem von Herzen.
Angy [00:50:00] Ach, das ist so ein schöner Schlusssatz und dennoch möchte ich dich bitten, dass du uns einmal sagst, wie dein Blog heißt, weil ich glaube, dass er für sehr viele Menschen sehr inspirierend und motivierend sein kann. Also auch für mich, die ja keine MS hat, ist es total inspirierend mit dir zu sprechen und zu sehen, wie du die Dinge siehst. Also sag uns doch gerne noch, wie deine Seite heißt.
Caro [00:50:23] Meinen Blog findet man unter dem Link „FrauenpowertrotzMS.de“. Den habe ich so benannt, weil mein erstes Buch so hieß. Dort können die Leser alles rund um das Thema Multiple Sklerose finden: Wie man damit umgeht, gesunde Rezepte, Ernährung, Reisen mit Handicap. Außerdem habe ich dort all meine Bücher aufgelistet. Was für mich vor fünf Jahren eine ganz große Herausforderung war: Ich habe eine Gruppe mit Handicap gegründet, mit anderen Betroffenen. Wir klettern, obwohl sogar zwei Mitglieder der Gruppe im Rollstuhl sitzen oder den Rollator brauchen. Es ist ein anderes Sichern. Es ist ein anderes Klettern. Aber es ist möglich! Es macht uns unwahrscheinlich viel Spaß und verbessert unsere Gesundheit. Und hier ist auch jeder willkommen. Schaut einfach mal vorbei bei Frauenpower trotz MS!
Angy [00:51:20] Joel, deine Mutter ist für mich auf jeden Fall eine echte Powerfrau. Bist du denn stolz auf deine Mutter und auf all das, was sie da so leistet und errichtet?
Joel [00:51:29] Ja, auf jeden Fall in ganzer Länge, weil es unglaublich ist. Andere hätten vielleicht schon längst aufgegeben – mit so einer schweren Diagnose, wie sie meine Mutter bekommen hat, und den ganzen Lebensumständen, die damit einhergingen. Aber meine Mutter macht einfach immer weiter. Es gibt für sie kein Nein, kein Stopp. Und was sie geschafft hat, allein, als sie krank war... Ich habe ja alles mitbekommen und es ist so ein Haufen von Dingen, dass ich mich nicht mal mehr an alles davon erinnern kann. Es ist unglaublich und deswegen kann ich nichts anderes sagen als: Meine Mutter ist eines meiner Vorbilder und sie treibt mich immer voran, weil sie mir gezeigt hat, dass es immer vorwärts geht und man immer weitermachen kann.
Angy [00:52:08] Sehr schön, weil ich finde es total wichtig, falls gerade jemand zuhört, der oder die sich vielleicht noch nicht traut oder gerne mit jemandem sprechen möchte, der die Krankheit auch hat. Da bist du glaube ich eine ganz gute Anlaufstelle, Caro.
Caro [00:52:18] Ja, ich bemühe mich auch jede E-Mail zu beantworten. Man kann mich gerne anschreiben. Ich habe auch oft schon mit Menschen telefoniert, wenn sie in Not sind. Also es macht mir einfach Freude, weil ich vieles von meinen Lesern und Followern zurückbekomme, da sie mir in mancher Not auch schon geholfen haben.
Angy [00:52:36] Ich danke euch beiden ganz, ganz herzlich, dass ihr heute Teil unseres Podcast wart. Es hat mir sehr viel Freude bereitet, vielen Dank! Ich verabschiede mich an dieser Stelle schon mal von dir, Joel.
Joel [00:52:48] Danke, dass ich hier sein konnte. Es war wirklich eine interessante Erfahrung.
Angy [00:52:51] Und danke dir, Caro! Es war wirklich ganz spannend. Ich wünsch dir alles Gute auf deinem weiteren Weg.
Caro [00:52:56] Dankeschön! Es war ein fantastisches Interview. Ich bin auch sehr berührt von den Dingen, die mein Sohn hier geteilt hat. Ich habe manche Sachen erfahren, die ich sonst vielleicht nicht so erfahren hätte und ich bin froh, dass es ihm heute so geht mit meiner Erkrankung, mit meinem Alltag und es war wirklich eine sehr tolle Erfahrung, heute mit euch zu sprechen!
Angy [00:53:19] Vielen Dank an euch beide und vielen Dank auch fürs Zuhören! Wir hoffen, dass euch diese Folge gefallen hat und ihr einige Tipps mitnehmen konntet und vielleicht auch ein bisschen Inspiration und Motivation. Wir freuen uns, wenn ihr bei der nächsten Folge wieder dabei seid.
Vielen Dank, dass du uns zugehört hast. Du hast Anregungen, Themenvorschläge oder möchtest selbst Teil des Podcasts werden und deine Geschichte mit uns teilen? Dann schreib uns per E-Mail oder direkt auf Instagram. Im Beschreibungstext findest du alle weiteren Informationen und Adressen. Wir freuen uns auf dich.