Eva und Samira sind chronisch krank: Eva erhielt die Diagnose Morbus Crohn, bei Samira wurde Multiple Sklerose festgestellt. In dieser Folge sprechen die beiden über die Parallelen und Unterschiede der beiden Krankheitsbilder und über die Herausforderungen, die ihnen im Alltag begegnen.
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„Mein Name ist Eva. Als ich die Diagnose Morbus Crohn erhalten habe, war das am Anfang wirklich eine Herausforderung für mich. Vieles in meinem Leben hat sich seitdem verändert. Heute kann ich sagen, dass ich gelernt habe, mit dem Morbus Crohn umzugehen und ein erfülltes Leben zu führen. Das war allerdings nicht immer so. Nach meiner Diagnose wusste ich nicht so recht, wie ich kommunizieren soll, dass ich an einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung leide.
Das Schreiben hat mir dabei geholfen, alles zu verarbeiten. Gleichzeitig kann ich anderen dabei helfen, mit der neuen Situation umzugehen, indem ich meine Geschichte öffentlich mache.
Ich möchte über chronisch-entzündliche Darmerkrankungen aufklären und anderen Betroffenen zeigen, dass sie nicht allein sind. Zusammen mit Janssen trete ich für eine offene Kommunikation über CED ein – dafür engagiere ich mich im Rahmen der Aufklärungskampagne ‚Einfach sagen, was dahintersteckt.
"So führen wir beispielsweise regelmäßige Interviews mit Betroffenen, Angehörigen, Ärzt:innen und Psycholog:innen rund um die Colitis ulcerosa und den Morbus Crohn. Wir sprechen aber auch über die Erkrankung selbst und über Ernährung, Sport oder Reisen mit CED – eben alle Themen, die dazugehören. Die Gespräche findest du hier auf der Seite im Podcast- oder Videoformat.
Frei, aktiv und glücklich – Samira ist in der Welt zu Hause, selbstständig, Autorin und zertifizierte Yogalehrerin. Als sie 2013 die Diagnose Multiple Sklerose (MS) erhielt, hat sich ihr Leben schlagartig verändert. Zuerst nahm ihr die Diagnose mit der chronischen Erkrankung das Vertrauen in sich selbst – doch dann besann sie sich auf ihre Lebenswünsche und begann damit, diese in die Tat umzusetzen. So war die MS für sie der Anfang von etwas ganz Neuem. Sie empfindet die MS inzwischen als eingebaute Alarmglocke, die ihr zeigt, wann es Zeit ist, auf ihren Körper zu hören und auf sich zu achten. Dankbar für das, was sie durch die MS lernen durfte, berichtet sie auf Instagram und ihrem Blog unter dem Namen „Chronisch Fabelhaft“ von ihren Erfahrungen mit der MS und ihrem Leben als digitale Nomadin. In unserer Klartext-Folge spricht sie mit Eva über die Parallelen der Erkrankungen Multiple Sklerose und CED.
Instagram
Blog
(00:00:16) Vorstellung von Samira und des aktuellen Themas
(00:01:19) Worum handelt es sich bei Multipler Sklerose und wo liegen Parallelen zur CED?
(00:03:21) Samiras Weg von den Symptomen zur Diagnose MS
(00:05:06) So lief die Aufklärung bei Samira
(00:07:10) Ihr Umgang mit der Diagnose
(00:10:40) Die Erkrankung im Umfeld kommunizieren: Samiras Ratschläge und Evas Erkenntnisse
(00:18:39) Fallstricke, Tipps und Erfahrungen in der Kommunikation mit dem Arzt
(00:23:57) Selbstfürsorge: Das können alle Betroffenen tun, damit es ihnen besser geht
(00:29:30) Abschließende Worte
(00:30:45) Outro
Eva [00:00:00] Willkommen zu „Klartext“ – dem Podcast über CED. Mein Name ist Eva und ich habe Morbus Crohn. In dieser Podcast-Reihe möchte ich euch an meiner Geschichte teilhaben lassen und zeigen, wie ich gelernt habe mit der Erkrankung umzugehen.
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge. Ich habe heute die Samira zugeschaltet und wir machen heute mal etwas anderes, denn Samira hat MS und wir sprechen heute darüber: CED und MS – zwei Erkrankungen mit Parallelen. Hallo Samira, schön, dass du da bist.
Samira [00:00:32] Hallo Eva. Schön, dass ich dabei sein darf.
Eva [00:00:35] Sehr cool. Magst du dich vielleicht für die Hörer mal kurz vorstellen?
Samira [00:00:38] Gerne. Ich bin Samira. Ich bin 32 Jahre alt, Berlinerin und ich lebe seit 2013 mit schubförmiger Multipler Sklerose.
Eva [00:00:47] Ja, danke schön. Jetzt wird man sich erst mal fragen, obwohl du schon einen Tipp gegeben hast 'mit Schub', warum wir heute miteinander sprechen. Also da denkt man erst: „Okay, es sind zwei Krankheitsbilder“, aber eigentlich gibt es da doch die eine oder andere Parallele. Da wollen wir heute drüber sprechen und vor allen Dingen auch schauen, was wir vielleicht auch für ähnliche Herausforderungen im Alltag haben und inwiefern wir vielleicht gegenseitig auch voneinander lernen und uns bestärken können? Aber dazu vielleicht einmal kurz noch ein bisschen was zum Krankheitsbild selbst. Magst du mal kurz erzählen, was es mit der MS überhaupt auf sich hat?
Samira [00:01:23] Sehr, sehr gerne. Also ich habe schubförmige Multiple Sklerose, das ist eine Form der MS. Es gibt verschiedene Formen der MS. Das ist eine chronische Erkrankung des Nervensystems, auch eine Autoimmunerkrankung. Und MS funktioniert so, dass unser Körper, unser Immunsystem, die Nervenzellen nicht mehr als körpereigene Strukturen erkennt und diese Nervenzellen dann angreifen kann. Man kann sich das so vorstellen, dass unsere Nervenstränge wie ein Kabel umhüllt sind von einer schützenden Schicht, der Myelinschicht und eben diese wird angegriffen und zerstört. Dann kann es sein, dass die Nerven Befehle nicht mehr so gut weiterleiten können und nach diesen Entzündungen auch vernarben. Und dann hat man eben verschiedenste neurologische Einschränkungen. Das kann wirklich den ganzen Körper betreffen. Und was bei MS noch wichtig ist zu wissen, ist, dass es wirklich jeden Menschen ganz unterschiedlich betrifft. Also manche Menschen sind davon weniger eingeschränkt in ihrem Alltag. Andere Menschen sind zum Beispiel gehbehindert. Ganz typische Symptome sind auch Fatigue, also chronische Erschöpfung, Inkontinenz, verschiedenste Blasenstörungen, Spastiken oder kognitive Probleme. Augenprobleme sind auch ganz häufig. Also es ist quasi ein Füllhorn von verschiedensten Einschränkungen, die man haben kann, aber auch nicht haben muss durch die MS. Also es ist wirklich bei jeder Person ganz anders.
Eva [00:02:46] Okay, ich erkenne wirklich einige Parallelen. Also wenn man sich jetzt die chronisch entzündliche Darmerkrankung anschaut, dann ist es da ja auch so, dass die sehr, sehr viele Gesichter hat - je nachdem, welchen Patienten oder welchen Menschen man sich mit der Erkrankung anschaut. Also auch, dass es nicht immer nur den Bauch betrifft, sondern eben auch den ganzen Körper, dass die Symptome sehr vielseitig sein können und eben auch in diesem schubweisen Verlauf die Leidenslast auch wirklich sehr individuell ist. Die Erkrankung wird auch nicht immer direkt so erkannt, eben weil sie so viele Gesichter hat und unterschiedliche Symptome. Wie war das bei dir? Wie hast du da so deinen Prozess persönlich erlebt? Beziehungsweise wie kam es dazu, dass du irgendwie gemerkt hast: „Na ja, da stimmt was nicht mit mir“? Auch als die ersten Symptome kamen. Konntest du das einordnen? War für dich MS vielleicht vorher auch schon ein Begriff?
Samira [00:03:40] Also ich hatte davor mit MS gar nichts zu tun. Das gibt es auch in meiner Familie nicht. Es ist auch gar keine klassische Erbkrankheit. Und ich kannte davor niemanden mit MS und bei mir... Also im Rückblick denke ich jetzt, die ersten Symptome waren schon davor da, aber diagnostiziert wurde es als ich in einer extrem stressigen Phase damals in meiner Prüfung zur Veranstaltungskauffrau vor 100 Jahren steckte. So gefühlt. Und ich konnte dann in der Berufsschule plötzlich nicht mehr lesen, was an der Tafel stand und ging dann zum Augenarzt, weil ich auch extreme Schmerzen hatte hinter den Augen. Die Augenärztin schickte mich dann relativ schnell weiter zum Neurologen, der mich dann relativ schnell weiter schickte ins Krankenhaus und da wurde ich dann durch alle möglichen Röhren geschoben und alle möglichen Nadeln in mich geschoben. Irgendwie war dann am Ende 2013 der Erstverdacht MS und ein Jahr später gab es dann den zweiten Schub und da war die Diagnose quasi auch gesichert, dass es MS ist. Das war natürlich erst mal ein riesiger Schock, weil ich hatte überhaupt gar keine Ahnung, wie gesagt, was das jetzt ist und habe dann natürlich erstmal sofort gegoogelt. Ja, und dann ist mir echt erst mal schwarz vor Augen geworden, weil das ist ja schrecklich. Wenn man dann denkt: „Oh Gott, das wird mich jetzt alles betreffen. In den nächsten zwei Monaten ist mein Leben vorbei“. Das dachte ich damals. Nein, das war schon echt ein ganz schöner Schock.
Eva [00:05:02] Ja, und Googeln ist wie immer gefährlich. Hört man häufig. Das heißt aber in dem Moment, als dir die Diagnose kommuniziert wurde, hast du dich da aufgeklärt gefühlt? Wenn ich jetzt höre, dass du das googelst. Ich meine, das ist manchmal die erste Reaktion, Informationen beschaffen zu wollen. Wie hast du das erlebt, also hast du dich da gut aufgehoben gefühlt oder eher nicht so?
Samira [00:05:26] Ja, ich war leider in einem Krankenhaus, wo ich in meinem Leben nie wieder hinwill, weil das war wirklich kein schönes Krankenhaus. Ich glaube, die Ärzte und Ärztinnen, die da so arbeiten, auf so einer Neurologie-Station, für die ist das wirklich täglich Brot. Also ich glaube, die konnten sich gar nicht vorstellen, dass jemand nicht weiß, was MS ist und da überhaupt gar keinen Schimmer von hat. Und deswegen wurde ich eigentlich gar nicht wirklich aufgeklärt. Ich bekam dann irgendwie so ein paar Pharmabroschüren mit lauter lachenden, fröhlichen Menschen drauf und durfte mir dann irgendwie 'Poison of my Choice' aussuchen. Also dachte ich damals, mittlerweile denke ich da auch ein bisschen anders drüber, aber damals hatte ich so das Gefühl, eigentlich werden mir hier nur Hausaufgaben gegeben und dann mach mal. Ich hätte eigentlich in dem Moment jemanden gebraucht, der mir auch irgendwie erklärt: „Alles kann, nichts muss und jeder geht da seinen ganz eigenen Weg.“ Und das war ja dann auch so der Grund, warum ich später meinen Blog gestartet habe: Weil ich mir dachte, in dem Moment, wo jemand so verzweifelt im Krankenhaus googelt, will ich, dass er auch jemanden findet, der gut mit der Erkrankung leben kann. Weil die gibt es ja auch, diese Menschen.
Eva [00:06:34] Ja, aber das ist genau so, wie ich das auch bei der CED erlebe. Dass leider nicht genug aufgeklärt wird, halt direkt zu Beginn. Klar, das kann natürlich auch überfordern, aber ich finde, man muss irgendwie Angebote bieten für diejenigen, damit man so ein bisschen aufgefangen wird und auch vielleicht im besten Falle begleitet wird auf seinem Weg. Ich finde es total schade, dass du da auch ähnliche Erfahrungen gemacht hast, wie ich sie damals machen musste. Dass man sich so, ja, eigentlich selber drum kümmern muss, wie man damit umgeht und wo man Informationen herbekommt. Wie war das so von der Diagnosestellung bei dir? Also wann hast du angefangen das wirklich auch aufzunehmen und das auch zu verarbeiten?
Samira [00:07:21] Also es hat schon eine ganze Weile gedauert, würde ich sagen. Ich habe mich in den ersten zwei, drei Jahren gar nicht großartig damit auseinandergesetzt und wollte das auch alles nicht so genau wissen und habe auch meinen Lebensstil überhaupt nicht geändert. Ich muss auch dazu sagen, es wurde mir nicht näher gelegt, meinen Lebensstil zu ändern. Also da wurde eigentlich gar nicht so in die Richtung gefragt: „Wie sieht's denn mit – keine Ahnung – Rauchen, Ernährung, Achtsamkeit, Arbeitspensum aus?“ Da wurde gar nicht gefragt in die Richtung, was ich bei einer Autoimmunerkrankung mittlerweile auch fast schon fahrlässig finde, die Leute da gar nicht drauf anzusprechen. Und dann hat es wirklich eine ganze Weile gedauert, bis ich so gemerkt habe: „Okay, krass, das passiert ja jetzt. Also ich bin ja jetzt nicht sofort stark behindert“, weil ich hatte total damit gerechnet: „Jetzt ist sowieso alles egal und jetzt feiere ich den Untergang“, irgendwie so. Dann ist das aber gar nicht passiert und da war gar kein Untergang. Und ja, ich hatte Schübe, aber irgendwie waren die dann alle, sag ich mal, aushaltbar. Also es war vor allem mein Gleichgewichtssinn betroffen und ich hatte auch so Missempfindungen in der linken Seite. Ich hatte auch ständig links und rechts Sehnerventzündungen. Aber das sind alles Sachen, irgendwie konnte ich die schon in meinen Alltag integrieren und irgendwann habe ich dann eben gemerkt: „Okay, naja, wenn es jetzt doch gar nicht vorbei ist, dann sollte ich mir vielleicht doch mal Gedanken machen, wie ein Leben mit MS aussehen kann.“ Also eines, in dem ich das quasi als einen Teil meines Lebens integriere und damit und nicht dagegen lebe. Weil ich habe sehr lange dagegen gelebt, gegen die MS, gegen den Feind in meinem Körper und da leben wir dann letztendlich auch immer gegen uns selbst. Also wir können ja nicht gegen unseren Körper leben, wir stecken ja da drin in unserem Körper. Ich weiß nicht, ob du auch teilweise mal solche Anwandlungen hattest?
Eva [00:09:11] Also, wenn du jetzt ein Video hättest, würdest du meinen Kopf nicken sehen. Also wirklich, ich glaube es ist vielleicht sogar eine ganz typische Phase von Akzeptanz, dass man erst mal in diesem Ignorieren ist, weil man es auch gar nicht greifen kann und irgendwie meint, man kann so weitermachen wie vorher, wie du auch gesagt hast. Oder auch so ein bisschen mit dem Kopf durch die Wand, weil man hat ja irgendwie auch Pläne. Und wann nimmt man sich denn schon vor, dass eine Krankheit irgendwo auf so einer Agenda steht? Nicht. Dass man da einfach noch mehr Zeit braucht, um sich wirklich drauf einzulassen. Nicht so dieses tapfer dagegen ankämpfen, sondern eben mit der Erkrankung irgendwie in so einen, ich nenne es ganz gerne „Flow“, zu kommen, dass du halt irgendwie ganz gut das Gleichgewicht hältst, zwischen: Ich möchte der Erkrankung den Raum geben, den sie braucht, damit es nicht schlimmer wird und damit man es gut im Griff hat. Aber dass ich selber halt auch meine anderen Bedürfnisse im Blick habe und ich nicht nur in dieser Krankheit bin. Also ich glaube, das ist sowas, was ich über meine Reise im Prinzip mit der CED so gelernt habe und wo ich auch immer mal wieder Stolpersteine habe, es mal irgendwie schlimmer wird oder neue Themen dazukommen, bei denen es dann schwierig wird, das neu auszutarieren. Aber es ist auf jeden Fall immer ein 'mit' seit einiger Zeit, wenn man so die ersten... Ja, ich glaube wirklich, die ersten zwei Jahre habe ich mich sehr schwer damit getan, da überhaupt in den Tritt zu kommen. Für mich war das auch so ein Faktor – ich weiß nicht, ob das für dich ähnlich war – , dass man ja selber damit umgehen muss, aber das Umfeld ja auch irgendwie lernen muss damit umzugehen und ich finde das gerade immer so eine Sache mit Erkrankungen, die man einem nicht ansieht. Und die vielleicht auch gar nicht so bekannt sind – War das bei dir auch ein Thema?
Samira [00:11:04] Also mein Umfeld hat eigentlich ganz gut reagiert, sage ich mal, sehr unterstützend, was meine Familie angeht. Ich habe jetzt auch nicht so die riesige Familie und meine engsten Freunde haben auch ganz gut reagiert. Die waren halt genauso, sage ich mal, betroffen und hilflos wie ich. Aber das ist vielleicht gar nicht so die schlechteste Reaktion. Das ist mir eigentlich lieber, als wenn jemand kommt und so eine Heilmission da am Start hat und mich völlig umkrempeln möchte. Also das war schon okay, wie die reagiert haben und sie waren auch sehr nachsichtig mit mir, aber ich war halt auch nicht so krass eingeschränkt. Also letztendlich weiß ich ja auch nicht, wie sie reagiert hätten, wäre ich jetzt zum Beispiel gehbehindert gewesen durch meinen Schub. Das kann ich ja nicht sagen und ich weiß einfach von ganz vielen Menschen aus der MS-Community, dass die Reaktionen im Umfeld teilweise auch wirklich sehr unbeholfen, sehr verletzend sind, weil die Menschen es eben nicht besser wissen. Und ich selber habe auch in meinem langen Social Media-Dasein gelernt, wie man richtig behutsam mit chronisch erkrankten Menschen umgeht. Nur weil ich chronisch krank war, heißt es nicht, dass ich gleichzeitig auch weiß, wie man wirklich behutsam mit anderen Menschen umgeht, die selber chronisch krank sind. Also das lerne ich immer noch und es war ein 5-jähriger Lernprozess. Insofern nehme ich das auch mittlerweile den Leuten nicht mehr ganz so übel, wenn sie nicht den perfekten Umgang mit mir haben, weil wenn ich mal ganz ehrlich bin, dann sieht es auch jeden Tag ein bisschen anders aus, was ich mir von den Leuten wünsche. Ich habe mal so einen Spruch gelesen: „Chronisch krank zu sein heißt, die Hälfte der Zeit den Leuten verklickern zu wollen, dass man krank ist und die andere Hälfte der Zeit, den Leuten verklickern zu wollen, dass man nicht zu krank ist.“.
Eva [00:12:46] Ja, sehr passend.
Samira [00:12:47] Und genau das ist es irgendwie, weil ich möchte natürlich nicht so behandelt werden, als müsste man mich jetzt in Watte packen und andererseits möchte ich auch nicht das an mich dieselben Anforderungen gestellt werden, wie an gesunde Menschen, weil ich die einfach nicht erfüllen kann. Und das sind Nuancen, die sich jeden Tag auch je nach Verfassung ändern. Insofern bin ich einfach nur dankbar dafür, wie mein Umfeld damit umgeht. Es ist, glaube ich in der Partnerschaft mit am herausforderndsten, weil das ja Leute sind, die sage ich mal sich aussuchen können, ob sie mit mir zusammen sein wollen oder nicht. Und da ist es finde ich noch mal eine andere Herausforderung als jetzt so bei meiner Mama: Ja, die wird mich eh nicht mehr los.
Eva [00:13:28] Ganz spannend. Ich finde das auch schön, dass du sagst, dass du das auch so erlebt hast und da ganz viel mitnehmen konntest, auch für dich. Ich finde, man hat auch noch mal ein ganz anderes Maß an Empathie und Rücksichtnahme gelernt durch die eigenen Erfahrungen, die man gemacht hat. Und man denkt immer so: „Ja, die kennen das gar nicht.“ Ich glaube aber auch, dass nicht jeder jedes Krankheitsbild kennen und vollständig greifen kann, sondern, dass es mehr um diese Nuancen geht und man einfach ein bisschen respektvoller miteinander umgeht und kommuniziert. Ich glaube, da gibt es halt so viele Unterschiede, ein bisschen wie 'der Ton macht die Musik'. Und wie du auch schon zu Beginn sagtest, wie man dann irgendwie auf einen zukommt, das macht einen großen, großen Unterschied. Und hast du irgendwelche Tricks? Wenn du sagst: „Na ja, ich möchte jetzt eigentlich nicht die MS komplett umfänglich jemanden erklären und noch eine medizinische PowerPoint dazunehmen“, sondern es dir viel mehr darum geht, zu transportieren, dass dein Alltag einfach ein bisschen anders aussieht und dass du gewissen Herausforderungen gestellt bist. Hast du da irgendwelche Tricks oder so, die du vielleicht den Hörern mitgeben kannst? Wenn man sagt: „Das hilft mir, da für Verständnis zu sorgen, aber jetzt nicht übermäßig tief ins Krankheitsbild reingehen zu müssen.“
Samira [00:14:42] Also wie gerne ich das erklären möchte, kommt halt auch immer darauf an, wie präsent die Person in meinem Leben ist, mit der ich mich unterhalte. Also was mir ganz wichtig ist immer in diesem Erklären, ist wirklich zu erklären, dass ich jeden Tag anders bin, sozusagen. Ich kann nicht jeden Tag das Gleiche leisten, mir geht es nicht jeden Tag gleich gut und ich kann nie vorhersehen, wie es mir am nächsten Tag geht. Das sind so ein bisschen die drei Grundregeln, die ich den Leuten schon mal vorher mitgebe. Und ich glaube, das sind so die einzigen Tipps. Es kommt ja auch immer darauf an: Wie offen ist jetzt die Person, mit der ich mich unterhalte? Wie interessiert ist sie? Meistens habe ich das Gefühl, die anderen Leute sind eigentlich sehr interessiert und fragen. Dann bin ich da irgendwie, keine Ahnung, unterwegs und gerade völlig woanders mit meinem Kopf. Und dann wollen die mit mir über MS reden und ich denke dann manchmal auch so: „Gerade nicht, ich will gerade einfach nicht.“ So, das ist ja auch noch mein Beruf, deswegen rede ich darüber wirklich viel und manchmal will ich eben auch einfach nur über die Nachbarskatze reden oder so, aber generell, so die Kurzversion: Es ist bei jedem anders. Es ist bei mir so. Es ist bei mir heute so und morgen kann es auch schon wieder ganz anders aussehen.
Eva [00:15:49] Ja, ich glaube, das ist ein bisschen so, dass man da halt auch einen guten Umgang oder Rhythmus findet und in der Freundschaft oder Partnerschaft auch irgendwie Regeln aufstellt, wann man wie und vielleicht auch in welchem Umfang darüber spricht. Aber auch der Partner gerade das Anrecht hat, auch zu wissen, wie es einem geht, aber dann auch weiß: „Na ja, wie verhalte ich mich denn jetzt, in Anführungsstrichen, adäquat?“ Ich glaube, das muss man gemeinsam lernen. Ist wahrscheinlich ein Prozess, genauso wie man selbst mit der Erkrankung lernen muss umzugehen, muss man, glaube ich, auch in der Partnerschaft oder in der Familie, in der Freundschaft, lernen, dass die Erkrankung jetzt ein Teil dieser ist.
Samira [00:16:24] Ja, und da muss man gleichzeitig irgendwie dieses Zwischenmaß finden, weil ich finde, zum einen musste ich selber meine Grenzen definieren, wann bin auch ich ansprechbar zu dem Thema für Menschen, weil sonst werde ich wirklich teilweise so hart voll getextet von jemandem, dessen Tante und dessen Onkel hat auch MS und dann denke ich mir schon so: „Nee, ich will da jetzt grad gar nichts drüber wissen.“ Nicht weil mich die Erkrankung nicht interessiert, aber weil ich auch Zeiten definiere, in denen es halt Raum einnehmen darf. Und dann nimmt es sich sowieso noch mal extra Zeit, in der es das einfach macht. Wenn ich es aber manchmal schon selber bestimmen kann und es mir gut geht in diesen Momenten, möchte ich damit vielleicht auch nicht die ganze Zeit konfrontiert werden. Gleichzeitig ist es natürlich auch wichtig: Mein Partner, meine Partnerin, das sind auch Menschen, die haben genauso Bedürfnisse und ich kann nicht nur mit meiner Erkrankung dann Raum einnehmen in unserem Austausch. Das möchte ich auch nicht. Ich möchte nicht, dass es immer nur darum geht. Und da muss ich drauf achten, dass es nicht immer nur darum geht, sondern dass auch die Probleme meines Partners, meiner Partnerin, Relevanz haben und auch Platz einnehmen dürfen in der Beziehung. Und auch wenn ich müder bin, weil ich Fatigue habe und Fatigue ein anderes müde ist als erschöpft, möchte ich trotzdem ernst nehmen, dass mein Partner durch eine anstrengende Arbeitswoche erschöpft ist.
Eva [00:17:39] Ja.
Samira [00:17:40] Weißt du? Das finde ich ganz schwierig.
Eva [00:17:44] Ich glaube auch, es ist ganz wichtig, dass man das irgendwie hinkriegt... Genau. Ich hatte auch mal so Situationen, wo mein Partner sagt: „Ja, ich bin halt auch mal krank“, und ich sage: „Ja“ und man merkt, dass es für die auch eine enorme Belastung ist und dass die dann manchmal das Gefühl hatten – na ja, das hört man ja auch leider häufiger bei uns in der Gesellschaft, das Gefühl „Stell dich mal nicht so an, anderen geht es schlechter“, aber für ihn ist es im Moment dann auch einfach super anstrengend gewesen. Man merkt aber, dass er da extrem vorsichtig geworden ist, weil er eben auch teilweise merkt, wie belastet ich durch den Alltag gehe und manchmal das Gefühl hat, er will sich das gar nicht rausnehmen, zu sagen, dass er auch mal einen schlechten Tag hat. Also es ist schon faszinierend, was es teilweise dann doch auch mit einem macht und das ist halt enorm wichtig, wie immer, einfach auch das Gespräch zu suchen und zu sagen: „Hey, das ist aber auch nicht richtig. Das heißt jetzt nicht, dass du hier gar keine Emotionen oder gar nichts, auch nicht mal jammern darfst über einen schlechten Tag.“ Also das kann es auch nicht sein. Wie sieht das aus so in Richtung Arzt-Patienten-Kommunikation, wie hast du das erlebt? Erlebst du da auch Herausforderungen im Umgang mit der Erkrankung oder sind das Dinge, wo du sagst: „Na ja, das ist jetzt, bis auf das Klinikerlebnis, von dem du eben schon berichtet hast, etwas, wo du eigentlich gute Erfahrungen gesammelt hast?“
Samira [00:18:58] Also etwas, was du sicherlich auch kennst und viele Menschen mit CED ist einfach der Zeitfaktor. Also wie viel Zeit es in Anspruch nimmt, je nach Intensität der Erkrankung Fulltime oder zumindest Parttime-Job, sich um seine Erkrankung zu kümmern und diese ganzen Arzttermine wahrzunehmen. Also das ist erst einmal ein Faktor, der generell nervt, egal wie gut oder schlecht, sag ich jetzt mal, diese Gespräche oder die Ergebnisse dieser Gespräche dann sind. Und was ich auch oft erlebe ist, dass wenn ich einen regulären Kontrolltermin habe und zu dem Termin gerade geht es mir gut, dass ich dann so ein bisschen vergesse, selber über die Sachen zu sprechen, die nicht so gut sind, weil die in dem Moment für mich gar keine große Priorität haben. Und deswegen bereite ich mich da auch echt vor und in schlechten Momenten führe ich dann irgendwie Symptomtagebuch oder schreibe mir zumindest auf, was mich da beschäftigt, weil sonst ist es vielleicht an dem Tag, wo ich den Arzttermin habe, gerade gar nicht so schlecht. Und Gott sei Dank weiß mein behandelnder Arzt genug über MS oder Autoimmunerkrankungen, um zu wissen: „Okay, das ist nicht jeden Tag gleich und nur weil es ihr heute gut geht, heißt es nicht, dass sie jetzt irgendwie gesund ist.“ Also das ist etwas, was mir sehr aufgefallen ist. Und ansonsten... Ach, na ja, natürlich wird man auch oft einfach abgewiesen und abgetan. Und was ich auch krass merke ist, dass man zum Beispiel, wenn man jetzt nicht MS-bezogen zum Arzt geht, sondern was weiß ich, irgendwie wegen HNO-Beschwerden, die jetzt bei MS vielleicht nicht so häufig auftreten, dass ich dann manchmal das Gefühl habe, ich werde gar nicht mehr richtig untersucht, weil ich MS habe. Und die Ärzte und Ärztinnen versuchen dann immer sofort alles auf die MS zu schieben. Und ganz ehrlich, ich habe mir da manchmal jetzt auch abgewöhnt, bei einem neuen Arzt sofort zu sagen: „Ich habe MS“. Gerade so Orthopäden oder so, wenn ich dahingehe und Schmerzen habe, dann sage ich denen nicht, ich habe MS, weil wenn ich dem sage oder ihr sage: „Ich habe MS“, dann ist es sofort die MS, egal was ich habe. Und ich werde gar nicht mehr richtig angeguckt. Kennst du das?
Eva [00:20:54] Ja, ich kenne das leider auch. Also, dass da vieles einfach in den Kontext gebracht wird und ich manchmal auch denke: „Ja, aber vielleicht kann das auch einfach mal was anderes sein.“ In dem einen oder anderen Fall ist das auch einfach mal so gewesen, dass dann etwas nicht erkannt wurde und worauf man vielleicht auch hätte, eher reagieren können, weil es auch schön ins Schema passte.
Samira [00:21:14] Eben.
Eva [00:21:14] Ja, das ist gar nicht so leicht, dann zu sagen: „Okay, ich bin da deutlich einfordernder geworden“, wenn nicht vielleicht manchmal sogar ein bisschen nervig. Ich bin dann auch so, wenn ich das Gefühl habe, ich komme an der Stelle jetzt nicht weiter, dass ich dann auch einfach stumpf irgendwo anders einen Termin gemacht habe, weil ich wünsche mir ja nicht irgendwas zu haben. Aber wenn ich spüre und ich glaube, was wir wirklich sagen können: Man entwickelt mit chronischen Erkrankungen einfach ein super gutes Körpergefühl. Wenn ich das Gefühl habe, dass da irgendwas einfach mal anders, nicht richtig ist, dann glaube ich mir da mehr und fordere entsprechend auch ein, dass da Dinge untersucht werden.
Samira [00:21:50] Ja, das mit dem Körpergefühl stimmt wirklich. Also mittlerweile ist es bei mir so fein, dass ich mir manchmal so ein Regler wünsche und es gerne auch mal wieder ein bisschen runterdrehen würde ehrlich gesagt, weil ich sofort jeden kleinsten Müh irgendwie an Veränderung in meinem Körper merke. Und das hält mich dann so davon ab, über meine Grenzen zu gehen, was natürlich total gut ist. Aber manchmal, wünschte ich mir, ich könnte auch einfach mal den Arsch zusammenkneifen auf gut Deutsch und sagen: „Ich zieh das jetzt einfach durch“ und merke in dem Moment nicht, was ich meinem Körper damit antue. Aber ich merke es leider immer, was ich meinem Körper damit antue.
Eva [00:22:26] Ja, das stimmt. Manchmal würde man sich ganz gerne einfach mal so ein bisschen stumpfer oder dumpfer schalten. Was glaubst du jetzt, auch noch mal beim Arzt, so auch aus Patientenperspektive – worauf sollte man als Betroffener auch achten? Weil ich meine, klar, natürlich hat man manchmal so dieses, dass man es vielleicht nicht erzählt, weil man glaubt, dass da vielleicht noch andere Themen sind. Auf der anderen Seite ist es natürlich schon wichtig, mit den Ärzten relativ genau zu kommunizieren, was man für eine Erkrankung hat, was man vielleicht auch für Medikamente einnimmt. Was sind da so Themen, bei denen du sagst, das sollte man auf jeden Fall irgendwie im Auge haben?
Samira [00:23:06] Ja, ganz klar, wenn es darum geht, dass eben eine weitere Diagnose gestellt wird oder so. Dann halte ich da natürlich auch nicht mehr hinterm Busch mit meiner MS-Diagnose. Irgendwann erwähne ich das dann schon im Verlaufe des Arztgespräches so 'on the side'. Ich wünschte mir, das wünschen wir uns ja alle, unsere Ärzte und Ärztinnen würden einfach besser zusammenarbeiten und es gäbe zum Beispiel ein System, wo die sehen könnten, welche Medikamente ich bereits nehme. Denn Medikamente können ja wirklich miteinander ganz krasse Interaktionen und auch Nebenwirkungen haben. Und das haben viele Ärzte und Ärztinnen gar nicht auf dem Schirm. Also ich weiß nicht, wie viele von den Zuhörenden hier überhaupt schon mal gefragt wurden, als es ein neues extra Medikament gab, was man denn sonst noch so einnimmt. Denn das fragen die allerwenigsten Ärzte und Ärztinnen und das wäre etwas, was ich mir sehr wünschen würde, was wirklich sehr wichtig ist, einfach mal aufzuschreiben, was man genau einnimmt. Und dann gibt es natürlich auch Verhaltensweisen, sage ich mal, die bei keiner Erkrankung eine schlechte Idee sind. Also das sind Sachen, die ich auch immer so gerne empfehle, wenn Leute mich fragen: „Was soll ich jetzt machen?“, weil das Dinge sind, die schaden niemandem. Und da fällt eben eine gewisse Achtsamkeit, ein gewisses Körperbewusstsein total rein für mich und auch einfach eine Auseinandersetzung mit unserer Psyche, eine Auseinandersetzung mit unserem Seelenleben. Nicht, Achtung, nicht, weil wir uns Sachen einreden, nicht weil wir uns Sachen einbilden. Psychosomatik heißt nicht, dass wir uns etwas einbilden, aber es heißt, dass ihr auf körperlicher Ebene etwas manifestiert, was auf psychischer Ebene einen Ursprung haben kann. Und deswegen ist es nie eine schlechte Idee, sich anzugucken: „In welchen Momenten gerät denn mein Nervensystem unter Stress?“, denn das kann dann wiederum tatsächlich bei MS einen Schub auslösen. Das bilde ich mir ja nicht ein, dass es den Schub auslöst. Das ist schon wirklich so. Aber vielleicht kann ich ja gucken, ob ich selber etwas tun kann, damit eben diese Stressauslöser in meinem Umfeld geringer werden bzw. ich geringer auf diese Stressoren reagiere. Das kann man zum Beispiel mit Psychotherapie machen und so kann es dann auch die körperliche Gesundheit positiv beeinflussen in manchen Fällen.
Eva [00:25:15] Ja, super wichtiger Aspekt. Also, dass man sagt – natürlich neben der wichtigen Therapie, medikamentös und der Betreuung von Ärzten und Fachpersonal – dass man sich auch einfach noch mal die anderen Elemente des Alltags anguckt: Habe ich Dinge, die mir vielleicht auf Dauer einfach nicht guttun, die mir vielleicht auch als gesunder Mensch nicht guttun und mich irgendwann krank machen würden? Oder eben auch einfach diese Dinge, die vielleicht nicht so verträglich sind mit den Symptomen. Und ich glaube, da ist es ganz cool, einfach auch mal – wie du auch schon sagtest, dass man nicht gegen, sondern eben mit der Krankheit lebt und ich glaube, dann hat man irgendwie ein neues Kriterium, was mit einspielt in den Alltag. Dass man da halt auch neu bewertet: Was sind denn jetzt Dinge, die man jetzt einfach mal losgelöst betrachtet. Vielleicht sagt man auch auf einem weißen Blatt: Okay, ich sortiere mich mal neu und versuche Dinge zu etablieren oder zu festigen, wo ich das Gefühl habe, dass sie mir guttun, und probiere vielleicht auch mal neue Dinge aus, bei denen ich vielleicht auch skeptisch gegenüber eingestellt war, um zu sehen, was das mit mir macht. Wenn mir das im Zweifelsfall guttut, wäre es ja blöd, das nicht zu tun. Und ich glaube, das ist so ein bisschen dieses: Man muss es irgendwie ausloten. Vielleicht kannst du kurz sagen, wie du das bei dir erlebt hast? Ich habe am Anfang echt ein Thema damit gehabt... Man ist ja auch echt gestresst durch die Erkrankung, gerade am Anfang, wenn man das noch gar nicht so greifen kann. Und es verunsichert einen, dann ist generell dieser Stresspegel schon recht hoch. Und die Verunsicherung, wenn dann jemand kommt und sagen würde: „Jetzt mach doch mal Yoga und ernähre dich mal gesund.“ Das Ohr war da zu Beginn nicht ganz so groß und offen dafür bei mir. Es hat einfach gedauert, bis man sich gewissen Dingen auch geöffnet hat und gemerkt hat: „Ne, ist eigentlich cool. Ohne diese Dinge will ich gar nicht mehr und kann ich auch eigentlich gar nicht mehr, weil es mir sehr viel Kraft spendet über den Tag.“
Samira [00:27:05] Ja. Mich kontaktieren auch so viele Leute über Social Media, die gerade frisch ihre Diagnose bekommen haben und die sagen: „So Samira, ich habe mir jetzt schon alle deine Bücher gekauft. Ich fange jetzt an, meine Ernährung umzustellen und ab morgen mach ich jeden Tag Yoga.“ Und dann denke ich mir auch so: „Ey, Leute, lasst euch auch ein bisschen Zeit, um irgendwie damit klarzukommen.“ Und so eine Phase der Rebellion gegen die Erkrankung, also da darf auch mal alles einfach nur richtig, richtig doof sein. Es darf auch einfach mal alles richtig unfair sein und man darf auch weinen und man darf auch trauern um die eigene Gesundheit und man kann und muss nicht alles sofort richtig machen. Also ich mache nach neun Jahren MS auch immer noch nicht alles in Anführungszeichen „richtig“ oder alles so, wie ich mir das für mich selbst im Idealfall wünschen würde. Das gehört einfach dazu. Also ich glaube nichts im Leben machen wir nur so, wie wir uns es wünschen würden und wie das irgendwie im Buche steht, sondern it's part of the game, dass man auch einfach mal Fehler macht, dass man stolpert, dass man hinfällt, dass man sich im Bett vergräbt und dass man die ganze Welt verflucht, weil sie gegen einen ist. Auch diese Phasen gehören ja zur Bewältigung von so einer Krankheit mit dazu, und die kommen auch immer wieder. Die dürfen auch immer wiederkommen. Und wie gesagt, bei mir hat es drei Jahre gedauert, bis ich überhaupt mal so den Teppich hochgehoben habe und geguckt habe: Warum bin ich denn jetzt krank? Was ist denn überhaupt los? Was ist das überhaupt? Und man muss da jetzt vielleicht nicht drei Jahre für brauchen, aber es dauert halt genau so lange, wie es dauert.
Eva [00:28:36] Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Dass man sich nicht stresst, in die Akzeptanz zu kommen oder dass man sich nicht stresst die Dinge in den Griff zu kriegen. Ich glaube, das wäre einfach sehr kontraproduktiv. Ja, also ich entdecke und bin sehr fasziniert davon, wie viele Parallelen es doch tatsächlich gibt, weil ich glaube, was hier wichtig ist, ist, dass man sich mit seiner Erkrankung beschäftigen sollte. Dass man sich das Wissen aufbaut, was einem hilft, die Dinge auch richtig zu deuten und zu verstehen. Und dann eben auch schaut, dass man sich so, wie so eine Art Toolset zusammenlegt von Strategien und Dingen, die einem vielleicht auch in Notsituationen oder in einer sehr schweren Phase einfach guttun, um sich auch schneller wieder in Anführungsstrichen „zu stabilisieren“, glaube ich. Darum geht es so ein bisschen, dass man für sich selbst individuell schaut: Was ist denn meine Art, wie ich mit der Erkrankung gut leben kann? Vielen lieben Dank Samira, für deine Offenheit. Ich will dich ganz gerne zum Abschluss nochmal bitten, zu sagen, was du vielleicht dem einen oder anderen, der vielleicht gerade noch frisch auf seinem Weg ist oder gerade sich so ein bisschen sortieren muss, empfehlen würdest. Ich glaube, sowohl für CED-Patienten als auch für MS-Patienten. Was würdest du denen gerne mitgeben wollen auf diese Weise?
Samira [00:29:57] Also ich kann wirklich für alle Autoimmunerkrankungen oder zumindest alle – also ich habe ja wirklich mit vielen Leuten mit verschiedensten Krankheitsbildern auch zu tun, deswegen habe ich wirklich bei allen Menschen feststellen können, wie wichtig eben diese psychische Komponente ist. Also das möchte ich wirklich nochmal betonen, zu sagen: Es ist okay, da Hilfe zu brauchen. Es ist okay und wichtig, sich da auch Hilfe zu nehmen auf dem Feld. Du kannst und du musst nicht alles richtig machen von Anfang an. Halte die Leute nahe bei dir, die dir guttun und die Leute, die dir nicht guttun, von denen darfst du dich auch verabschieden. Und fang an, dich selbst zu behandeln wie einen Menschen, den du liebst. Das wäre glaube ich mein allerwichtigster Tipp.
Eva [00:30:38] Enorm wichtig diese Perspektive einzunehmen. Super, sehr schön, Samira. Ich danke dir recht herzlich, dass du mit dabei warst. Und hoffe, dass es den Zuhörern Spaß gemacht hat zuzuhören. Ich sage vielen Dank und bis zum nächsten Mal.
Samira [00:30:54] Danke, liebe Eva. Ja, ich hoffe auch, dass es für die CED-Community spannend ist, das zu hören. Ich denke schon, dass es da eben viele Parallelen gibt. Und ja, vielen lieben Dank, dass ihr mich eingeladen habt! Super cool.
Eva [00:31:08] Schön, dass ihr wieder mit dabei wart und zugehört habt. Habt ihr vielleicht Themen, Wünsche oder Anregungen für uns, für diesen Podcast? Dann schaut in die Podcast-Beschreibung. Dort findet ihr eine Info, wie ihr uns kontaktieren könnt. Oder schaut bei Facebook bei CEDlife vorbei!