Marcus Töpp ist psychologischer Berater und selbst an einer Colitis ulcerosa erkrankt. In dieser Folge spricht er mit Eva darüber, was ihn zur Beratung inspiriert hat und warum man Bauch und Kopf nicht trennen sollte. Wie er helfen kann, besser mit der CED im Alltag umzugehen, erfährst du in dieser Folge.
(EM-79120)
„Mein Name ist Eva. Als ich die Diagnose Morbus Crohn erhalten habe, war das am Anfang wirklich eine Herausforderung für mich. Vieles in meinem Leben hat sich seitdem verändert. Heute kann ich sagen, dass ich gelernt habe, mit dem Morbus Crohn umzugehen und ein erfülltes Leben zu führen. Das war allerdings nicht immer so. Nach meiner Diagnose wusste ich nicht so recht, wie ich kommunizieren soll, dass ich an einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung leide.
Das Schreiben hat mir dabei geholfen, alles zu verarbeiten. Gleichzeitig kann ich anderen dabei helfen, mit der neuen Situation umzugehen, indem ich meine Geschichte öffentlich mache.
Ich möchte über chronisch-entzündliche Darmerkrankungen aufklären und anderen Betroffenen zeigen, dass sie nicht allein sind. Zusammen mit Janssen trete ich für eine offene Kommunikation über CED ein – dafür engagiere ich mich im Rahmen der Aufklärungskampagne ‚Einfach sagen, was dahintersteckt.
"So führen wir beispielsweise regelmäßige Interviews mit Betroffenen, Angehörigen, Ärzt:innen und Psycholog:innen rund um die Colitis ulcerosa und den Morbus Crohn. Wir sprechen aber auch über die Erkrankung selbst und über Ernährung, Sport oder Reisen mit CED – eben alle Themen, die dazugehören. Die Gespräche findest du hier auf der Seite im Podcast- oder Videoformat.
2008 erhielt Marcus die Diagnose Colitis ulcerosa. Während seiner eigenen Diagnosestellung fühlte er sich allein gelassen, es fehlte ihm Beistand und psychische Beratung. Daher dachte er: „Mensch Marcus, mach doch aus deiner Not eine Tugend“ und entschied sich für eine Ausbildung zum psychologischen Berater und spezialisierte sich auf CED-Patient:innen. Mit seiner Tätigkeit in der eigenen Praxis möchte er anderen CED-Patient:innen helfen, besser mit der Erkrankung umzugehen. Er steht ihnen ermutigend und verständnisvoll zur Seite. Und er ist sich sicher, dass man auch mit einer CED ein erfülltes Leben führen kann. Für ihn gilt: „Hinfallen ist keine Schande, nur Liegenbleiben“.
(00:00:20) Der „Personal Trainer“ für die Psyche – Vorstellung des Gastes Marcus Töpp.
(00:01:40) Wie kam Marcus zu seinem Beruf und warum hat er sich auf CED-Betroffene spezialisiert?
(00:03:58) Mit der Rucksacktechnik zurück ins Leben finden – Strategien für CED im Alltag.
(00:05:01) Mit welchen Sorgen kommen die Menschen zu Marcus und wie versucht er, ihnen zu helfen?
(00:07:33) Wie sich die Menschen, die bei Marcus Hilfe suchen, unterscheiden und warum er sich mehr Initiative der Ärzt:innen wünschen würde.
(00:09:57) „Nur sprechenden Menschen kann geholfen werden“ – Warum über die eigenen Befindlichkeiten zu reden essenziell ist.
(00:15:00) Über das Haushalten mit der eigenen Energie und Strategien für den Umgang mit der CED.
(00:21:05) Über das “sich nicht unterkriegen lassen” und Marcus To-Do für Deinen nächsten Besuch beim Gastroenterologen.
(23:10) Outro.
Eva [00:00:00] Willkommen zu „Klartext“ – dem Podcast über CED. Mein Name ist Eva und ich habe Morbus Crohn. In dieser Podcast-Reihe möchte ich euch an meiner Geschichte teilhaben lassen und zeigen, wie ich gelernt habe mit der Erkrankung umzugehen.
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge. Ich habe heute den Markus Töpp hier zu Besuch und wir werden über das Thema „Psyche und CED“ sprechen. Hallo Markus, schön, dass du da bist.
Markus [00:00:28] Hallo Eva. Danke, dass ich hier sein darf.
Eva [00:00:29] Wärst du so lieb, dich vielleicht kurz vorzustellen?
Markus [00:00:31] Ja, hallo! Ich bin Markus, 49 Jahre alt und ich habe 2008 die Diagnose „Colitis ulcerosa“ bekommen. Und jetzt arbeite ich als psychologischer Berater, speziell für Menschen mit CED.
Eva [00:00:43] Sehr schön. Wie kann ich mir denn deine Tätigkeit als Berater vorstellen?
Markus [00:00:48] Du stellst dir das ungefähr so vor: Viele Menschen leisten sich ja einen Personal Trainer, um körperlich fit zu bleiben und meine Arbeit geht auf die mentale Ebene. Denn insbesondere CED-Patienten stehen ja vor vielen Herausforderungen und manchmal braucht man einen kleinen, ja, einen kleinen Anstupser, Hilfe, die zeigt, wie es weitergehen kann, obwohl man sich gerade sehr belastet fühlt. Meistens kommen Menschen zu mir, die sich gerade in einer akuten Belastungssituation befinden: Diagnose neu oder die Therapie geht nicht weiter.
Eva [00:01:20] Fand ich jetzt eine sehr schöne Analogie, weil ich glaube, dieses Selbstverständnis der eigenen Psyche oder dieses „sich mentale Hilfe suchen“ ist leider noch nicht so da, obwohl es einfach einen enormen Stellenwert hat. Und das ist auch ein wichtiger Hebel im Leben mit der CED. Was war denn für dich so ausschlaggebend, dass du dich auf CED-Klienten spezialisiert hast?
Markus [00:01:47] Eigentlich mein eigenes Schicksal. Als ich die Diagnose bekommen habe, wusste ich damit nichts anzufangen und ich habe es eigentlich nur auf nachhaken beim Arzt erfahren, dass ich eine Krankheit habe, die nicht heilbar und nur therapierbar ist. Das war für mich ein großer Schlag ins Gesicht. Ich war immer total fit, Sportler, und dann kam das und mir fehlte so ein bisschen die seelische Begleitung, die psychische Begleitung. Ich habe mir dann Hilfe gesucht bei einer Therapeutin, die kannte zwar das Krankheitsbild, aber so richtig etwas damit anfangen, konnte sie nicht. Und sie konnte mir jetzt auch nicht die Hilfestellung geben, die ich mir gewünscht hätte. Ich hatte damals ein Gespräch mit einer guten Freundin, die Heilpraktikerin für Psychotherapie ist, und sie sagte: „Mensch, Markus, macht doch aus der Not eine Tugend. Du kannst das, du bist pädagogisch vorgebildet, mach doch die Ausbildung zum psychologischen Berater und vielleicht auch zum Therapeuten.“ Und so kam das zustande. Und während der Ausbildung habe ich dann auch tatsächlich CED-Klienten kennengelernt, die mit mir die Ausbildung gemacht haben. Da sind wir ins Gespräch gekommen. Und so ist das Ganze entstanden und ich hatte schon während der Ausbildung ein, zwei Klientinnen, mit denen ich dann arbeiten durfte. Das war sehr spannend und hat mir und ihnen auch sehr gutgetan.
Eva [00:02:59] Sehr schön! Das ist auf jeden Fall etwas, das ich damals auch gern gehabt hätte, begleitend und als Hilfe, weil ich leider auch, wie viele andere, die Erfahrung gemacht habe, dass das Thema Psyche auch nicht immer so angesprochen und so ernst genommen wird. Ich bin damals wirklich mit einem Negativbeispiel schlechthin konfrontiert worden, als ich zu meinem Arzt sagte: „Ich habe das Gefühl, ich bin doch stark belastet durch die Diagnose, auch emotional und ich fühle mich überfordert“. Und dann kam, mehr oder weniger, lapidar so ein: „Ja, Sie haben ja eine Darmerkrankung, nichts am Kopf“.
Markus [00:03:35] Das habe ich auch gehört. Ja, den gleichen Spruch!
Eva [00:03:38] Und das ist irgendwie einfach traurig. Und deswegen finde ich es superschön, dass Du einfach diese Energie oder das, was du auf deinem Weg gelernt hast, so weitergeben kannst.
Markus [00:03:49] Ja, das hat mir selber tatsächlich viel geholfen, weil ich meine Erfahrungen teilen konnte und in den Gesprächen festgestellt habe, dass es vielen anderen auch so geht. Daraus habe ich halt einen Ansatz entwickelt. Ich habe verschiedene Techniken kreiert, zum Beispiel die Rucksack-Technik: Das heißt, viele von uns leiden darunter, dass sie während eines Schubs das Haus nicht mehr verlassen können und gefesselt sind. Und da habe ich mir angeeignet, dass ich einen Rucksack an der Tür stehen habe, mit Hygieneartikeln und einer Hose zum Wechseln. Und wenn ich meine, ich kann eine Stunde vor die Tür gehen, dann nehme ich diesen Rucksack als Fallschirm mit, damit ich ein Backup habe und ich kann trotzdem raus. Das sind so Kleinigkeiten, die dabei helfen, vor die Tür und vielleicht auch wieder in soziale Interaktionen zu kommen. Das war ja auch bei Covid ein großes Thema. Und dann noch Leute, die CED haben und Covid – das war eine Doppelbelastung, die viele Menschen an den Rand des Belastbaren gebracht hat. Das stelle ich immer wieder fest. Und da hilft einfach reden und der Austausch mit jemandem, der selber betroffen ist, der weiß, wie es sich anfühlt, mal einen ganzen Tag auf dem WC zu verbringen.
Eva [00:04:57] Würdest du sagen, du kannst das so ein bisschen in gewisse Gruppen einteilen? Haben die Menschen, die zu dir kommen, ähnliche Herausforderungen, vor denen sie stehen? Sind das häufig Patienten, die mehr nach der Diagnosestellung kommen oder ist das sehr divers?
Markus [00:05:16] Es sind eigentlich zwei Gruppen: Die eine Gruppe, die tatsächlich nach Diagnosestellung kommt und sagt: „Was fange ich denn da jetzt mit an?“ Die wollen einen Antrieb haben und sagen: „Damit finde ich mich nicht ab. Und ich will leben.“ Das sind natürlich die Menschen, mit denen man gut zusammenarbeiten kann, weil ein Antrieb da ist. Und dann gibt es die zweite Gruppe, die, sag ich mal, so eine erlernte Hilflosigkeit an den Tag legt. Die haben die Diagnose vor Jahren bekommen. Die erste Therapieform hat nicht geholfen, die Zweite auch nicht und sie sind eigentlich austherapiert und sind kurz davor, ins nächste Krankheitsbild abzurutschen. Dann kriegen sie den Hinweis von extern, von Familienangehörigen oder bestenfalls vielleicht vom Arzt: „Mensch, versuchen wir doch noch mal was anderes, Sie erst mal seelisch aufzubauen, damit wir wieder an die nächste Therapieform denken können. Vielleicht greift das ja dann.“ Und diese Menschen sind dann etwas schwieriger zu erreichen. Man muss eine Tür öffnen, einen Spalt aufmachen, indem man sagt: „Hey, ich weiß, wovon du redest, weil es mir 2013 auch sehr schlecht ging und ich konnte auch 10 Wochen das Haus nicht verlassen.“ Und so erreicht man, dass man den Gesprächsfaden wieder aufnimmt, indem man sagt: „Komm, versuchen wir es noch mal und schauen uns das Ganze von einer anderen Seite an, denn du hast es immerhin geschafft hier anzurufen. Das ist ja schon mal eine Leistung, denn obwohl es dir so schlecht geht, willst du nochmal etwas machen.“ Und das setzt schon Energie frei. Die Energie, noch mal aktiv zu werden. Das ist immer sehr beeindruckend, was man damit schaffen kann. Gemeinsam.
Eva [00:06:42] Da steckt jetzt sehr, sehr viel drin. Diese erste Gruppe von Menschen, die zu dir kommt, da ist natürlich ein ganz wesentlicher Entscheidungsfaktor, dass diese Krankheitsakzeptanz schon irgendwie stattgefunden hat, um selber ins Handeln zu kommen. Oder ist das ein Thema, was ihr gemeinsam erarbeitet, um einen guten Umgang mit der Erkrankung selbst zu finden, was für mich damals auch eine Herausforderung war, zu sagen: „Okay, ich nehme das für mich an, dass ich chronisch krank bin. Aber ich nehme für mich selbst nicht an, dass es mir immer so schlecht gehen muss, wie es mir gerade geht.“
Markus [00:07:27] Das hast du super dargestellt. Das ist tatsächlich der häufigste Fall. Wir arbeiten bei der Diagnosestellung oder nach der Diagnosestellung erstmal daran: Was ist Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn. Hat man dich als Klienten richtig aufgeklärt? Hast du nachgefragt? Es ist dein gutes Recht zu erfahren, wie es jetzt weitergeht. Lass dich dann noch mal genau beraten, wie es aussieht. Und akzeptiere, versuche zu akzeptieren, dass du eine Diagnose bekommen hast, die bedeutet, dass du zwar die Krankheit nicht mehr loswirst, aber bestenfalls sehr lange krankheitsfreie Phasen hast. Diese erste Akzeptanz, diese Konfrontation mit der Diagnose. Ich würde mir wünschen, dass die Ärzte direkt sagen: „Nehmen Sie sich einen Therapeuten!“ Wobei ein Therapeut ist, glaube ich, auch zu überqualifiziert, weil man da eigentlich ein psychisches Krankheitsbild haben muss, damit man kassenärztlich beraten werden darf. Also besser: „Nehmen Sie sich einen Coach, der sie begleitet, der selber die Erfahrung hat, der sie an die Hand nimmt und sagt: ‚Komm, jetzt gehen wir erst mal gemeinsam durch die ersten drei Monate.‘“ Das wäre sehr hilfreich, aber das wird kaum vermittelt und deswegen auch noch seltener in Anspruch genommen. Bei der zweiten Gruppe ist es so ein letzter Versuch. Und das ist auch für den Berater stellenweise belastend. Weil Menschen, die den zweiten Versuch wagen, auch manchmal sagen: „Das ist mein letzter Versuch.“ Und dann habe ich im Hinterkopf immer: „Na ja, wenn es der letzte Versuch ist, dann muss ich hier sehr viel Gas geben und gucken, dass ich das Ruder rumreiße.“ Ich muss dann aber auch dabei sagen, dass der nächste Schritt wahrscheinlich wirklich eine Psychotherapie ist, eine Verhaltenstherapie oder vielleicht sogar eine tiefenpsychologische Therapie. Aber das sind Fälle, da steckt auch noch vieles andere dahinter. Da ist die CED manchmal nur noch das i-Tüpfelchen auf einem großen anderen Krankheitsbild.
Eva [00:09:19] Und das ist natürlich etwas, was die CED auch wieder triggert, wenn da irgendwo noch Baustellen sind, die nicht bearbeitet sind. Aber dahingehend wäre es ja trotzdem gut, diesen Schritt zu gehen, um dann gegebenenfalls durch dich noch mal daraufhin sensibilisiert zu werden, wenn das vielleicht noch Themen sind, derer man sich selber gar nicht bewusst war. Ich erlebe das manchmal auch bei mir, wenn etwas unbequem ist oder man denkt: „Eigentlich müsste ich mich mit dem Thema auseinandersetzen, aber es belastet mich.“ Es ist ja manchmal so, auch wenn es ungesund ist, dass man etwas ein bisschen vor sich hinschiebt.
Markus [00:09:54] Ja, auch da hast du vollkommen recht. Ich habe selbst die Erfahrung gemacht, dass man unangenehme Themen wegdrückt. Die sind aber trotzdem nicht weg. Sie gären wie ein Hefepilz und irgendwann sprengen sie den Deckel und dann wird es noch schlimmer. Deswegen: Reden hilft immer. Für viele ist es immer noch mit Scham behaftet, über Krankheiten zu sprechen, insbesondere über Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa, weil sie in den Augen vieler auch schamhaft sind. Die Betroffenen selbst stoßen häufig auf viel Unverständnis bei den Mitbetroffenen, also Familie, Freunde, soziales Umfeld, Arbeitswelt. Nichtsdestotrotz ist es wichtig zu sagen: „Hey, ich bin da, ich habe hier eine Krankheit. Bitte nehmt das ernst. Ich versuche am Leben teilzunehmen, helft mir dabei.“ Und da ist es wichtig, aktiv zu bleiben, auch als Betroffener selbst und nicht im Stillstand zu verharren und zu gucken, was jetzt kommt. Ich versuche diese Ressourcen immer zu aktivieren, zu sagen: „Hey, machst du Sport? Hast du irgendwelche Hobbys? Gibt es da eine Toilette in der Nähe? Kommst du da schnell hin? Kannst du irgendwie deine Freunde aktivieren, dass sie ihre Freizeitaktivitäten in deine Nähe verlegen oder dich öfter besuchen als gedacht?“ Das sind so Kleinigkeiten.
Eva [00:11:11] Ich finde diesen Aspekt „darüber zu reden“, schon sehr wichtig. Auch wenn man nicht weiß, wen man damit noch belasten kann. Ich habe das selbst bei mir gemerkt, dass es mir gutgetan hat, mit jemandem „Neutralen“ darüber zu sprechen, weil ich versucht habe, gerade im Kreise der Lieben, mich zusammenzureißen, weil ich sie nicht noch weiter emotional belasten wollte. Ich erlebe sehr häufig bei CED-Patienten, dass dieses „Stark sein“ und „ich muss jetzt tapfer sein“ als eigene Schwäche angesehen wird und das Selbstbewusstsein dadurch so ein bisschen kleiner wird. Und, dass es da einfach enorm wichtig und auch wohltuend ist, darüber zu sprechen, aber auch gespiegelt zu bekommen: „Das ist vollkommen in Ordnung, diese Emotionen zu haben. Es ist auch vollkommen in Ordnung, dass du nicht jeden Tag stark bist und vollkommen in Ordnung, dass man da mal dem Tritt kommt, wenn so eine Diagnose gestellt wird und man vor solchen Herausforderungen steht, wie du gerade.“ Ich glaube, das ist allein schon etwas, was einem dazu verhelfen kann, besser mit der Erkrankung umzugehen.
Markus [00:12:27] Vollkommen richtig. Wir sind ja alle Produkte unserer Erfahrungen und Erziehung. Zum Beispiel bin ich mit dem Spruch groß geworden: „Hinfallen ist keine Schande, nur liegenbleiben ist eine.“ Und der zweite Spruch: „Man kann auch mit dem Kopf unterm Arm arbeiten gehen.“ Hinfallen ist keine Schande. Manchmal muss man aber auch einfach liegenbleiben, um Kraft zu schöpfen, sich zu orientieren, zu erholen und dann weiterzumachen. Und beim Weitermachen hilft, dass man sofort sagt: „Lieber Partner, liebe Partnerin, liebe Familie, so sieht es bei mir aus. Das sind nicht nur Bauchschmerzen, es ist nicht nur eine Befindlichkeitsstörung. Ich habe da was Ernstes, lasst uns darüber reden und seid für mich da und dann bin ich auch wieder für euch da.“ Man kann das gar nicht dick genug unterstreichen. Das Reden hilft, ob es mit einer neutralen Person ist oder mit der Familie. Die neutrale Person betrachtet dich natürlich wertfreier und aus einem anderen Blickwinkel. Sie spiegelt dich anders. Das ist natürlich noch mal hilfreicher im Anschluss. Wichtig ist erst Aufklärung im sozialen Umfeld und sich dann jemanden zu suchen und zu sagen: „Hey, ich fühl mich nicht richtig verstanden. Ich muss mal mit jemandem über meine Themen reden, der weiß, was es bedeutet.“ Und da komme ich dann ins Spiel.
Eva [00:13:43] Ich glaube, das ist eine sehr große Hilfe. Weil man ja gerade bei der Familie dann noch ein Stück weit emotionaler ist und vielleicht so eingefahren ist in gewissen Verhaltensmustern, dass das sehr hilfreich sein kann. Wie du auch sagtest, am Beispiel dieser Methode mit dem Rucksack, dass man vielleicht auch ein gewisses Werkzeug bei dir erlernt, was es in dieser Situation leichter macht, den richtigen Umgang zu finden oder auch zu adressieren. Hast du in dem Zusammenhang auch Methoden, die helfen können, um vielleicht irgendwo eine Mitte zu finden? Ich finde, man hat als Betroffener häufig die Situation, dass irgendwelche Feiern, irgendwelche Dinge draußen, einen schon in eine Stresssituation bringen, wenn man das vielleicht körperlich gerade nicht kann oder man nicht weiß, ob da Toiletten in der Nähe sind. Und dann fängt es schon an und man ist von dem ganzen Gedankenchaos schon so ermüdet, dass man nachher, wenn die Veranstaltung anfängt, auf Deutsch gesagt „im Sack“ ist. Dass man vielleicht gemeinsam irgendwas hat, wo man sagt, man spricht mit der Familie und schaut, ob man das Konstrukt so schafft, dass es für einen weniger stressig und dann doch eben schön machbar ist.
Markus [00:14:57] Da sind zwei Sachen wichtig. Ich kenn das selber, durch meine Erfahrungen auf Hochzeiten, an denen ich teilgenommen habe – während eines Schubs. Ich habe zwei Sachen gemacht: Ich habe mein Selbstbewusstsein gestärkt, ich bin nicht als Opfer hingegangen, sondern als eingeladener Gast, der ein Problem hat. Und ich habe dann gesagt: „Hey, denk daran, ich brauche eine Toilette in der Nähe und wenn ich mal gerade nicht da bin, dann liegt es nicht daran, dass das Programm so langweilig ist, sondern dann muss ich mal eben kurz wohin.“ Und ich habe mich dann auch immer so eingerichtet, wenn ich über Nacht dort war, dass das Hotelzimmer in der Nähe war, dass ich meine Medikamente dabei hatte, dass ich meinen Rucksack tatsächlich im Auto hatte, um zu sagen: „Hey, wenn ein Malheur passiert, ich bin in der Nähe“. Aber ich wollte daran teilnehmen, damit ich nicht fernab des Lebens bleibe. Und die zweite Sache ist ganz einfach, ich wollte diese Opferhaltung verlassen. Das fängt schon beim Arzt an. Der Arzt ist eigentlich mein Dienstleister. Ich gebe ihm einen Auftrag: „Hey, ich habe hier eine Diagnose. Bitte helfen Sie mir und Sie werden dafür bezahlt. Ich bin nicht Ihr Patient, ich bin Ihr Klient oder Ihr Mandant. Aber ich bin keine kleine Maus, die hier reinkommt und sagt: ‚Bitte helfen Sie mir‘“, das macht groß. Das fängt schon damit an, zu sagen: „Ich bin hier Auftraggeber.“ Und wenn ich auf Familienfeiern oder große Veranstaltungen komme, sage ich: „Ich bin da, obwohl ich eine Einschränkung habe, obwohl ich nicht weiß, ob ich den Abend hier so lange durchhalte, wie ich mir das wünsche. Aber ich bin da!“ Und das macht auch groß. Und wenn es statt drei Stunden nur zwei Stunden sind, sind es aber zwei Stunden unter Menschen und nicht zwei Stunden zu Hause, in denen man hadert und sagt: „Na ja, hätte ich keine Colitis oder keinen Chron, hätte ich an der Feier teilnehmen können.“ Und diese Rucksack-Technik ist mein Fallschirm gewesen, zu wissen: „Hey, ich habe ein Backup bei.“
Eva [00:16:51] So ein bisschen wie der Regenschirm. Und meistens regnet es nicht, weil man ja die Sicherheit hat...
Markus [00:16:57] Ja, das ist auch so ein Phänomen, was ich dann beobachte. Wo ich dann sage: „Jetzt hast du dir so eine Mühe gemacht, alles einzupacken, und jetzt brauchst du das gar nicht“, aber im Endeffekt bin ich ja froh.
Eva [00:17:04] Ja, ja, aber es erfordert natürlich die Auseinandersetzung, und dass man darüber spricht, weil ich glaube, dass viele diese Hürde einfach nicht nehmen oder es ihnen schwerfällt. Aber das ist einfach der Schlüssel dazu, wie es funktionieren kann. Weil ich glaube, auch für das Umfeld ist es schwer, wenn man in dieser Opferrolle bleibt. Und ich finde es total schön, wie du das dargestellt hast. Es ist schon eine Frage der Perspektive, ein bisschen auch der Erziehung des Umfelds. Diese Erfahrung habe ich selber gemacht Manchmal kommt dann sowas wie: „Ach, gehst du schon?“, und ich sage dann: „Ja, ich gehe. Und ich fand es schön, dass ich hier sein konnte.“ Und das war Arbeit und das war auch nicht leicht für mich, weil das eine oder andere Mal bin ich dann auch wirklich heulend abgezogen, weil ich gedacht habe: „Warum siehst du denn jetzt nur ‚Die geht schon nach Hause‘ anstatt ‚Ey, die hat sich aufgerafft, obwohl es ihr echt schwerfiel oder sie vielleicht echt viel Mut gekostet hat, jetzt hier hinzukommen‘“.
Markus [00:18:03] Also da ein kleiner Tipp, auch wenn es schwerfällt: Ich habe immer so zwei Zauberwörter in meinem Kasten. Das eine ist „Distanz“, das andere „Abstand“. Ich habe gelernt, mich von Menschen zu distanzieren, die Energiefresser sind, die dann sagen: „Hey, gehst du schon? Fängt doch gerade erst an.“ Brauche ich nicht. Ich brauche Menschen, die sagen: „Hey, schön, dass du da warst. Klasse, dass du zwei Stunden hier sein konntest, obwohl...“, die Menschen brauchen wir. Alle anderen brauchen wir nicht. Und „Abstand“ bedeutet auch, Abstand von belastenden Situationen zu nehmen. Wenn ich zum Beispiel weiß, dass ich zu einer Beerdigung eingeladen bin – das war ich auch. Ich habe nach der Beerdigung meines Bruders – ist jetzt sehr privat – einen sehr starken Schub bekommen, aber ich habe mich verpflichtet gefühlt, das in die Hand zu nehmen, das zu managen. Ich habe aber gemerkt, das war ein ganz großer Fehler, weil Tage später ging postwendend ein ganz entsetzlicher Schub los, der mich 10 Wochen außer Gefecht gesetzt hat. Auch wenn es hart ist: Man sollte unbedingt Abstand nehmen von belastenden, seelischen Situationen. Man kann sich vielem aussetzen, man muss es aber nicht. Man muss auch nicht jeden Konflikt eingehen. Genau überlegen: Ist dieser Konflikt, zum Beispiel mit meinem Arbeitskollegen, das jetzt wert, ausgefochten zu werden? Oder sage ich einfach: „Komm, Toilettendeckel drüber und weg“. Genau schauen: Was bin ich bereit zu geben? Was kann ich überhaupt leisten? Mit Energie umgehen lernen.
Eva [00:19:30] Ja, ein ganz, ganz wichtiger Aspekt. Das habe ich auch immer. Manche Leute können sich ja über das Wetter schon aufregen. Aber man lernt einfach in gewissen Situationen abzuwägen. Das habe ich auch gelernt. Ist es jetzt eine Situation, in der ich mich gerne erklären möchte, um langfristig ein Verständnis zu bekommen? Oder ist es eine Situation, in der es eher in einer Rechtfertigung ausartet und man diesen Menschen es eh nicht recht machen kann?
Markus [00:19:58] Ja, ein wichtiger Punkt. Wir haben es einfach nicht nötig, uns zu rechtfertigen. Es ist, wie es ist, das ist ein großer Prozess. Aber sobald ich mich rechtfertigen muss, bin ich wieder in der Defensive. Lass uns doch in die Offensive gehen und sagen: „Hey, wir sind hier, obwohl wir die und die Einschränkung haben.“ Und aus meiner persönlichen Erfahrung mal einen Punkt: Ich bin irgendwann mal aufgewacht, völlig erschöpft, weil ich keine Kraft mehr hatte zu kämpfen und habe gesagt: „Dann ist es halt, wie es ist.“ Und dieser Moment hat mir dabei geholfen, Frieden mit meinem Alien im Bauch zu machen. Ich habe mir immer gedacht, da kommt ein Alien aus dem Bauch heraus. Und seitdem war es etwas ruhiger. Ich hatte so ein bisschen mehr inneren Frieden und dann ging es auch bergauf. Dann wirkten die Medikamente besser. Und ich war gestern noch bei meinem Gastroenterologen, der sagte: „Mensch, Herr Töpp, wen haben Sie denn jetzt wieder vorbeigeschickt, um die Blutproben abzugeben? Wir finden ja gar nichts.“ Ich denke aber, die Spiegelung sagt wieder was anderes: eine kleine Entzündung. Dann sagte er: „Sehen Sie es von der Seite: auch eine Blutprobe kann sich mal irren, aber sie sind ja wirklich fit.“ Dieser innere Frieden, dieses nicht Hadern mit dem Schicksal. Es gibt zwei große Dinge, die die Menschen verrückt machen: Das ist Hadern mit dem Schicksal und eine Kränkung, die nicht überwunden wird. Und Colitis und Crohn sind Kränkungen, die wir erfahren. Menschen werden durch diese Krankheiten mitten aus dem Leben gerissen und hadern mit dem Schicksal: „Warum ich? Warum muss ich diese Krankheit kriegen? Ich bin ein guter Mensch. Ich habe zwei Kinder, die ich ernähre. Warum ich?“ Weiß ich nicht. Kann ich nicht beantworten. Aber ich kann daran zugrunde gehen, dagegen anzukämpfen. Oder ich sage einfach: „Es ist, wie es ist. Und irgendwie geht es weiter.“ Es geht auch meistens weiter. Nicht immer – das weiß ich auch. Man muss auch mal liegenbleiben für eine Zeit. Aber meistens geht es nach einer Zeit weiter.
Eva [00:21:54] Ich weiß gar nicht, was ich danach noch sagen soll. Ich hätte nämlich jetzt eigentlich gefragt: „Was möchtest du, nachdem wir beide dieses Thema „Psyche“ und „mentale Beratung“ für so wichtig halten, noch sagen?“ Aber ich wüsste gar nicht, wie du das, was du gesagt hast, jetzt noch toppen könntest.
Markus [00:22:15] Oh, Danke!
Eva [00:22:15] Nein, wirklich! Ich fühl mich da selber sehr abgeholt. Ich muss mich wirklich konzentrieren, dass ich hier nicht losheule, weil es ja wirklich eine sehr emotionale Thematik ist und man sich da einfach auch wiedererkennt. Und ich glaube, dass du da eine sehr, sehr wichtige Aufgabe machst und einfach durch das selbst Erlebte, dem noch mal mehr Nachdruck verleihen kannst. Und ich bin dir sehr dankbar, dass du das tust. Ich merke selber einfach, dass es immer wieder bereichernd ist. Auch das Gespräch fand ich sehr bereichernd und ich gebe dir natürlich gerne nochmal die Chance, etwas hinzuzufügen, falls du unseren Hörern noch was mit auf den Weg geben möchtest. Ansonsten bedanke ich mich recht herzlich.
Markus [00:22:51] Ein Tipp noch für euch: Wenn ihr zu eurem Gastroenterologen geht, dann macht mal folgende Übung: Stellt euch vor die Tür, Brust raus, Schulter nach hinten, Kopf hoch, reingehen und sagen: „Hallo, hier ist ihr Auftraggeber“, und dann habt ihr schon eine andere Perspektive. Danke, dass ich hier sein durfte.
Eva [00:23:07] Schön, dass ihr wieder mit dabei wart und zugehört habt. Habt ihr vielleicht Themen, Wünsche oder Anregungen für uns für diesen Podcast? Dann schaut in die Podcast-Beschreibung. Dort findet ihr eine Info, wie ihr uns kontaktieren könnt. Oder schaut bei Facebook bei CEDlife vorbei!