Folge 5: Mit der Erkrankung lieben – der Umgang mit Partner:in und Familie

Mit der Erkrankung lieben – der Umgang mit Partner:in und Familie

Für die meisten Menschen sind Partner:innen und Kinder die engsten Bezugspersonen. Doch wie geht man in einer Partnerschaft mit der CED um? Was antwortet man, wenn der Nachwuchs merkt, dass bei Mama oder Papa plötzlich etwas anders ist? Darüber sprechen Eva und Holger in unserem Podcast zum Thema Beziehung und Familie.
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Teilnehmer:innen

Eva

„Mein Name ist Eva. Als ich die Diagnose Morbus Crohn erhalten habe, war das am Anfang wirklich eine Herausforderung für mich. Vieles in meinem Leben hat sich seitdem verändert. Heute kann ich sagen, dass ich gelernt habe, mit dem Morbus Crohn umzugehen und ein erfülltes Leben zu führen. Das war allerdings nicht immer so. Nach meiner Diagnose wusste ich nicht so recht, wie ich kommunizieren soll, dass ich an einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung leide.

Das Schreiben hat mir dabei geholfen, alles zu verarbeiten. Gleichzeitig kann ich anderen dabei helfen, mit der neuen Situation umzugehen, indem ich meine Geschichte öffentlich mache.

Ich möchte über chronisch-entzündliche Darmerkrankungen aufklären und anderen Betroffenen zeigen, dass sie nicht allein sind. Zusammen mit Janssen trete ich für eine offene Kommunikation über CED ein – dafür engagiere ich mich im Rahmen der Aufklärungskampagne ‚Einfach sagen, was dahintersteckt.

"So führen wir beispielsweise regelmäßige Interviews mit Betroffenen, Angehörigen, Ärzt:innen und Psycholog:innen rund um die Colitis ulcerosa und den Morbus Crohn. Wir sprechen aber auch über die Erkrankung selbst und über Ernährung, Sport oder Reisen mit CED – eben alle Themen, die dazugehören. Die Gespräche findest du hier auf der Seite im Podcast- oder Videoformat.

Holger

Industriekaufmann Holger erhielt die Diagnose Morbus Crohn erst mit 30 Jahren – und hat schon einige Operationen hinter sich. Für den Familienvater ist Kommunikation der Schlüssel zum Erfolg und er findet es besonders wichtig, sich mit anderen auszutauschen, sich gegenseitig zu unterstützen und das Thema CED aus der Tabuzone zu holen. Deswegen hat er den Verein „Lila Hoffnung – CED und Darmkrebshilfe e. V.“ gegründet. Ziel ist es, über Morbus Crohn und Colitis ulcerosa aufzuklären und auf Darmkrebsvorsorge aufmerksam zu machen. Der Verein veranstaltet regelmäßige Spendenaktionen wie etwa Charity Runs, um anderen Betroffenen Herzenswünsche zu erfüllen und Aufklärungsarbeit zu leisten. In der Vergangenheit fuhr Holger dafür beispielsweise in 7 Tagen rund 700 Kilometer mit dem Fahrrad.

Webseite Lila Hoffnung e.V.

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Über den Podcast

Inhaltsverzeichnis

(00:00:30) Vorstellung des heutigen Gastes: Holger
(00:01:02) Wie hat Holger seiner Partnerin von der Erkrankung erzählt?
(00:02:29) Ängste, Sorgen und Bedenken: Alles ganz normal!
(00:08:46) Feier dich selbst! Routinen und Tipps für das Familienleben mit CED
(00:12:19) Alltag mit CED: Über Verständnis, Akzeptanz und Kommunikation
(00:15:39) Mit der Familie und den Kindern darüber sprechen: Warum eine klare offene Kommunikation wichtig ist
(00:21:50) Das Leben macht Spaß - auch mit CED
(00:23:01) Outro

Transkript Folge 5:
Mit der Erkrankung lieben – der Umgang mit Partner:in und Familie


Eva [00:00:00] Willkommen zu „Klartext“ – dem Podcast über CED. Mein Name ist Eva und ich habe Morbus Crohn. In dieser Podcast-Reihe möchte ich euch an meiner Geschichte teilhaben lassen und zeigen, wie ich gelernt habe mit der Erkrankung umzugehen.

Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von „Klartext“. Heute habe ich den Holger dazu geschaltet und wir werden uns darüber unterhalten: Wie sage ich dem Partner und der Familie, dass ich eine CED habe? Aber bevor wir loslegen, erst einmal: Hallo Holger und schön, dass du mit dabei bist.

Holger [00:00:20] Hallo Eva, ich freue mich heute dabei zu sein.

Eva [00:00:22] Wärst du so lieb, es kennt dich ja nicht jeder, dich kurz vorzustellen, damit wir wissen, mit wem wir heute sprechen?

Holger [00:00:29] Ja klar, ich bin der Holger. Ich bin 40 Jahre alt. Ich bin verheiratet, habe zwei wundervolle Kinder, bin gelernter Industriekaufmann und ich habe seit ungefähr 10 Jahren Morbus Crohn. Ich habe 3 Operationen hinter mir und freue mich heute ein bisschen von meinen Erfahrungen berichten zu können.

Eva [00:00:46] Ja, superschön, dass du mit dabei bist. Ich freue mich schon sehr auf das Gespräch. Wir haben ja schon das eine oder andere Mal, auch persönlich, den Austausch gehabt. Es freut mich sehr, dass du jetzt deine Erfahrungen über den Podcast auch teilen möchtest. Das Thema im Fokus soll heute sein: Wie sage ich’s dem Partner und wie sage ich’s der Familie? Wie war das damals bei dir, konkret vor dieser Entscheidung? Hattest du das Gefühl: „Ich muss das jetzt mal in der Partnerschaft ansprechen.“ Wie war das bei dir, als du die Diagnose bekamst oder die ersten Beschwerden auftraten?

Holger [00:01:18] Also bei mir war es in der Vergangenheit so: Ich muss noch vorwegsagen, meine Frau, mit der ich heute verheiratet bin, ist im Grunde meine Jugendliebe. Wir kennen uns schon sehr, sehr lange und insofern war dieses Gefühl der Scham nicht so groß, als die Probleme auftraten, denn man kannte sich schon lange. Natürlich ist dieses Thema Durchfall, Blutungen immer etwas, das man ungern anspricht. So ging es mir selbst auch. Ich war auch komplett verunsichert. So waren anfangs meine Erfahrungen damit. Wobei ich schon glaube, wenn man einen frischen Partner hat, dann ist das noch mal eine ganz andere Situation.

Eva [00:02:04] Natürlich, genau, wenn ihr das gemeinsam erlebt habt und sowieso einen recht offenen Umgang miteinander hattet, war das natürlich ein anderes Thema. Ich denke aber schon, dass, wie du sagst, man gerade in so einer Kennenlernphase häufig Angst hat, das Thema anzusprechen. Auch, wenn man die Diagnose vielleicht schon länger hat. Wenn man aber dann vor der Entscheidung steht, was glaubst du – oder vielleicht hast du den einen oder anderen Betroffenenaustausch schon mitbekommen –, sind da häufig Ängste und Schwierigkeiten, die es in so einem Gespräch typischerweise gibt?

Holger [00:02:34] Natürlich Verlustängste, die hat man möglicherweise. Und dann hat man natürlich auch die Angst nicht verstanden zu werden. Also ich selbst habe letztlich erst mit jemandem gesprochen, der ein gutes Jahr mit jemandem zusammen war. Und derjenige hatte einfach auch Angst darüber zu sprechen: A, weil es ihm peinlich war. Es ist Durchfall, da redet man nicht gerne drüber und B, es kamen noch Ängste dazu: Wie versteht es mein Partner? Ist es ihm vielleicht so unangenehm, dass er mit mir da gar nicht drüber sprechen möchte? Ja, es gibt ganz viele, die einfach auch diese Hürde erst mal überspringen müssen, um da diesen Mut zusammenzufassen und offen auf den Partner zuzugehen.

Eva [00:03:18] Ich glaube, auch dieses Schamgefühl vor allen Dingen. Ich finde, wenn man selbst frisch die Diagnose hat, weiß man die Krankheit selbst nicht so recht einzuordnen und weiß auch nicht, wie viel Einfluss sie auf das tatsächliche Leben und auf die Partnerschaft haben wird. Bei mir war es so, dass ich meinen Mann damals noch nicht so lange kannte und der tatsächliche Ausbruch der Erkrankung dann kam, als ich ein Wochenende bei ihm verbracht habe, an dem es besonders schlimm war. Das war für mich eine Extremsituation, als ich dort dann quasi in seinem Badezimmer eingesperrt war, mehr oder weniger, und das zu haben. Da hatte ich natürlich nicht die Wahl selbst zu entscheiden, wann ich es ihm erzähle, denn es war ja vollkommen klar, dass da irgendwas nicht in Ordnung war. Wir haben das dann irgendwie gemeinsam durchlebt. Aber ich erlebe schon häufig, dass viele enorme Hemmungen haben, vor allem, wenn es darum geht, wie spreche ich es an und wann spreche ich es an, besonders, wenn man gerade dabei ist, jemanden kennenzulernen. Aber ich glaube, was wir beide festhalten können, ist, dass es enorm wichtig ist, dass man darüber spricht und es nicht verheimlicht. Für mich persönlich wäre es eine viel größere Belastung, wenn ich versuchen würde, es zu vertuschen und das fände ich dem Partner gegenüber nicht fair.

Holger [00:04:47] Definitiv. Das sehe ich auch so. Ein ehrlicher Umgang hilft beiden Seiten. Zum einen hilft er einem selbst. Dabei muss es gar nicht immer nur um die Krankheit gehen. Wenn jemanden etwas belastet – in unserem Fall ist es dann die chronisch-entzündliche Darmerkrankung –, dann fühlt sich das an, wie Steine im Bauch zu haben, zum Teil auch noch mal zusätzlich. Man hat ein schlechtes Gefühl. Man fragt sich selbst: „Wie soll ich damit umgehen?“ Ängste bauen sich auf und man kommt in so einen Teufelskreis. Man verheimlicht Dinge, man findet möglicherweise auch Ausreden, warum man sich beispielsweise nicht treffen kann. Da würde sicherlich auch ein offener Umgang mit den Problemen helfen. Wobei man natürlich in den Vordergrund stellen muss, dass Ängste auch hier eine Rolle spielen. Man ist ja selbst in der gleichen Situation, dass man gerade frisch diagnostiziert wurde, und sagt sich: „Ich weiß ja gar nicht, wie es weitergeht. Was steckt denn überhaupt hinter Morbus Crohn und hinter Colitis ulcerosa?“ Und das ist schon ein großes Päckchen, was man dann mit sich trägt.

Eva [00:05:52] Auf jeden Fall habe ich gemerkt, dass es mir persönlich guttat, mich zu überwinden und diese Ängste vor meinem Partner offen anzusprechen und zu sagen: „Hey, wenn du möchtest, dann geh.“ Weil ich selbst so überfordert war. Ich hatte keine Ahnung, was das jetzt mit mir machen würde und was das für mich und mein Leben bedeuten würde. Mein Partner kannte mich erst ein paar Monate und ich sagte zu ihm, dass ich es vollkommen verstehen könnte, wenn er den Weg nicht mit mir gehen würde. Und da hat er mich komisch angegrinst und sagte: „Ich gehe da jetzt mit!“ Und ich glaube, dass das enorm wichtig war, dass ich diese Angst auch geäußert habe. Es war ja eigentlich die Angst davor, dass ich das selbst vielleicht nicht hinkriege und ich wusste nicht, ob er mich dann noch so mögen würde, was eigentlich ein total verrückter Gedanke war. Aber im Endeffekt war ich froh, dass ich diese Angst und auch andere Ängste dann einfach offen kommuniziert habe.

Holger [00:06:58] Das stimmt, man fühlt sich selbst auch ein Stück weit als Belastung. Ich meine, wenn man beispielsweise mit Bauchkrämpfen im Bett liegt, und man hat sich wieder was vorgenommen, man möchte zu einer Party gehen oder sich mit Freunden treffen oder unterstützen im Haushalt – und dann geht das wieder nicht. In unserem Fall sind es halt auch die Kinder – wenn dann alles an meiner Frau hängenbleibt, ist es einfach auch doof. Für mich total und für sie auch, weil das natürlich für sie eine Mehrbelastung ist und für mich vom Gefühl her einfach schlecht, weil ich eigentlich helfen möchte, aber in dem Moment nicht kann. In solchen Situationen ist man komplett dankbar, dass man einen tollen Partner an seiner Seite hat, der das unterstützt und versteht, aber auch mal sagt: „Ich habe jetzt einfach auch mal keine Lust mehr! Mir geht das gerade auf den Keks, dass jetzt alles an mir kleben bleibt.“ Und das ist in einer Partnerschaft total wichtig, beidseitig ehrlich zu sein und einfach mal zu sagen: „Das schmeckt mir jetzt nicht, können wir da irgendwie eine Lösung finden, wie wir diese Schwierigkeiten aus dem Weg schaffen?“ Schwierig ist generell, wenn man im Schub ist, Eva du weißt das selbst auch, dann geht in aller Regel nicht viel bei uns. Insofern ist man dann schon sehr, sehr dankbar, wenn man einen Partner hat, der das versteht und auch unterstützt.

Eva [00:08:22] Du hast gerade angesprochen, dass man sich ja manchmal als Belastung fühlt und vielleicht nicht so richtig einschätzen kann, was das für den Partner bedeutet. So wie du redest und auch so, wie ich dich, euch erlebe, habe ich das Gefühl, dass ihr das sehr, sehr gut im Griff habt und ihr eine sehr harmonische, erfüllende Partnerschaft habt. Habt ihr bewusst Routinen eingeführt, die euch helfen oder sprecht ihr konkret darüber? Ihr seid wahrscheinlich auch gemeinsam diesen Prozess gegangen, wo es darum geht, die Erkrankung anzunehmen und im Alltag damit zurechtzukommen. Hast du für die Hörer einen Tipp oder kannst du deine Erfahrungen teilen, besonders hinsichtlich der Frage: Wie kann man für den Partner gewisse Dinge einfacher gestalten? Was hilft dem Partner in so einer Situation?

Holger [00:09:20] Ja, ich hatte 2016 eine große Operation, in der man bei mir 30 Zentimeter Darm entfernt hat. Danach war ich fünf Wochen in der Reha und habe dort auch mit Psychologen gesprochen, was ich sehr gut fand, weil ich natürlich auch erst sehr frisch die Diagnose hatte. Ich hatte über 10 Jahre Beschwerden und erhielt tatsächlich nach der OP erst die Diagnose. Ich habe da natürlich auch Strategien für mich entwickelt, den Alltag zu gestalten. Ich sitze jeden Sonntag an meinem Computer, schreibe mir einen Wochenplan auf und strukturiere meinen Tag komplett durch. Da steht dann tatsächlich drin: „Fünf Uhr aufstehen“ oder „bis 20 Uhr Zubettgehen“ oder 21 Uhr. Und so kann ich immer mal schauen, wie ich Tanja auch unterstützen kann. Ich trage dann die Dinge, die im Haushalt zu erledigen sind, ein, zum Beispiel Staubsaugen oder Geschirrspüler ausräumen, das versuche ich auch in diesen Tagesablauf mit einzubringen, damit ich einfach nicht in Stress komme. Ich habe dann meinen strukturierten Plan. Da sind Zeitfenster dabei, bei denen ich sage: „Hier habe ich jetzt mal Zeit für mich und auch die Möglichkeit, Dinge im Alltag mal so ein bisschen zu schieben.“ Aber es hilft Tanja natürlich zu sehen, dass das so funktioniert, weil sie eben im Nachtdienst arbeitet und ich in Vollzeit arbeite. Das nimmt ihr den Druck, dass sie zum Beispiel noch staubsaugen, den Geschirrspüler ausräumen oder Wäsche machen muss. Sie muss sich dann nachmittags um Hausaufgaben, Einkaufen und solche Dinge kümmern. Das teilen wir uns ganz gut auf. Dafür ist so ein strukturierter Tages- oder Wochenplan eine gute Lösung – für beide Seiten. Wobei das natürlich, wenn man wieder vermehrt Beschwerden hat, dann nicht einzuhalten ist. Das muss man auch ganz klar sagen. Aber für den Alltag an sich ist das eine gute Lösung, um die Aufgaben zu verteilen, sodass jeder ein gutes Gefühl hat. Ich als Erkrankter unterstütze meine Frau. Und aus der Sicht meiner Frau, ist es so, dass sie weiß, dass jemand da ist, der ihr hilft und sie auch nicht alleinlässt.

Eva [00:11:27] Ja, wenn ich das jetzt mal auf mich beziehe, habe ich manchmal das Gefühl, ich müsste eigentlich noch dieses und jenes und welches machen. Ich glaube, wenn du was abgesteckt hast, kann man dann einfach sagen: „Wow, ich kann jetzt endlich einen Haken daransetzen!“ Und dann gibt es dir vielleicht auch wieder den Raum zu sagen: „Okay, das habe ich jetzt gemacht und nun ist auch gut. Es war abgestimmt, aber jetzt lasse ich mir auch den Raum, um mich zu erholen von dem Tag und von den Dingen.“

Holger [00:11:55] Genau, vor allem hat man dann auch mal Zeit, sich selbst zu feiern. An deinem Plan, der in der Küche hängt, machst du mal Haken und sagst: „Ich habe hier Staubsaugen, Geschirrspüler und Müll rausbringen auf meinem Plan stehen, und ich habe es geschafft!“ Das ist dann für mich auch eine Motivation, dass ich diese Erkrankung habe, ich das aber alles trotzdem geschafft habe. Das ist schon für den eigenen Kopf ein echt gutes Gefühl.

Eva [00:12:18] Wie ist es denn – da wir gerade beim Thema Kopf und Mentales sind: Sprecht ihr offen darüber, was im Prinzip der Zustand akut gerade mit einem macht? Ich erlebe es bei meinem Partner häufig, dass das so zeitverzögert passiert. Wenn ich eine relativ harte Phase habe, ist er enorm taff, ist auch einfach da und „funktioniert“. Und wenn ich das Gefühl habe, dass alles schon wieder super ist, ich durchstarten kann und denke, dass wir gestärkt aus der Sache herausgegangen sind, muss er das meist danach nochmal für sich verdauen. In der Anfangsphase hat er das stark verschwiegen und ich dachte immer, wir hätten irgendwie andere Probleme, bis man das irgendwann mal wirklich besprochen hat. Er hat das im Prinzip einfach erst danach verarbeitet. Dann kam dieses: „Wow, das war doch krass. Da bist du mit dem Krankenwagen abgeholt worden. Das hat mir enorm Angst gemacht.“ Das fand ich damals für uns sehr wichtig, das auch anzusprechen, aber es halt nicht stetig zu einem Thema zu machen. Dass es einfach nicht zu viel Raum einnimmt, aber so viel Raum, wie nötig, um Dinge verarbeiten zu können und quasi Regeln für die Partnerschaft zu finden, die einem gegenseitig einfach guttun.

Holger [00:13:39] Also bei uns ist es tatsächlich so, dass wir mit der Erkrankung leben. Das ist schon, wenn ich mal so darüber nachdenke, immer mal wieder ein Thema und ich glaube einfach auch, dass uns das beiden hilft. Wie gesagt, wir hatten tatsächlich auch Situationen, die nicht einfach waren. Du hast es gerade schon einmal angesprochen: Ich wurde vor 4… mit dem Krankenwagen abgeholt und das war ein einschneidendes Erlebnis. Da bin ich in dem Tod von der Schippe gesprungen. Das muss man schon ganz klar sagen. Und wenn du dann zwei Kinder hast, die zu dem Zeitpunkt noch deutlich jünger waren, macht das etwas mit einem. Das merke ich auf jeden Fall auch schon im Alltag mit meinem Sohn. Der war zu der Zeit fünf und meine Tochter war neun. Das sind Situationen, die vergisst man nicht und als Kind schon mal gar nicht, wenn der Papa abgeholt wird im Krankenwagen. Das macht Angst. Es fällt mir auch immer wieder schwer, darüber zu sprechen. In so einer Situation kommen viele, viele Gedanken wieder hoch. Und auch, wenn es mir wieder schlechter geht, merkt man, dass das etwas mit der Familie macht, gerade mit den Kindern. Felix beispielsweise hat dann gleich wieder Ängste und fragt: „Papa, musst du ins Krankenhaus?“ Es ist, glaube ich, für uns ein guter Weg, dass das immer mal wieder ein Thema ist. Ich bin seit der OP nie richtig beschwerdefrei. Mir geht es gut, ich habe mich damit arrangiert. Aber dennoch ist es eigentlich immer präsent. Das ist so der Weg, den wir für uns auch gefunden haben, wo Tanja dann auch sagt: „Es nervt mich nicht. Das gehört zu uns!“ Akzeptanz ist da ein ganz, ganz großes Stichwort in der ganzen Geschichte.

Eva [00:15:28] Ich glaube, es ist nochmal eine Herausforderung, mit Kindern oder generell mit Familie, auch im weiteren Sinne. Wie war das denn bei den Kindern? Wie hast du ihnen das begreiflich gemacht? Sprecht ihr da in den Situationen drüber? Oder wie ist es gelaufen, beziehungsweise was hilft euch da gut?

Holger [00:15:52] Also das ist natürlich ein sensibles Thema. Wenn du eine Erkrankung hast, und du merkst, es stimmt etwas nicht mit dir, und hast dann Kinder im Alter von 5 und 9 Jahren, ist es ein schmaler Grat. Was erzählst du den Kindern? Wie bindest du die Kinder ein? Bei uns war das aber gar nicht mehr zu verheimlichen, weil ich mich dann zum Teil ganz oft übergeben habe. Da waren die Kinder aber auch schon in einem gewissen Alter und fragten mich: „Papa, was stimmt denn mit dir nicht?“ Dadurch, dass ich es selbst nicht wusste, war das eine ganz, ganz schwierige Situation für uns alle. Wir sind aus der Situation stärker herausgegangen. Denn Tanja und ich als Eltern, aber auch als Partner, sehen das Reden als ganz wichtiges Element in einer Beziehung, in einer Familie. Wenn man Probleme hat, sollte man darüber sprechen und das hat mein Papa mir mit auf den Weg gegeben bei unserer Hochzeit: „Wenn ihr Probleme habt, sprecht darüber.“ Und das ist, glaube ich, die grundsätzliche Basis für eine gut funktionierende Partnerschaft. Dass man über Probleme und Schwierigkeiten spricht, auch wenn es unangenehm ist.

Eva [00:17:15] Auf jeden Fall. Was würdest du jemandem mitgeben, der vielleicht vor dieser Entscheidung steht, jemandem, der seinen Partner eingeweiht hat, aber sich sonst noch nicht so sicher ist. Hast du da für dich eine Faustregel, bis wohin du was erzählst? Manchen Eltern steht diese Entscheidung ja sicherlich noch bevor: „Soll ich das jetzt meiner ganzen Familie erzählen oder bleibt das lieber bei uns im Haushalt?“ Welchen Rat würdest du dem Hörer mitgeben?

Holger [00:17:45] Ich glaube, grundsätzlich muss das jeder für sich selbst entscheiden. Wie groß ist die Familie? Wie ist die Beziehung zum Familienumfeld? Zu meiner Zeit war das so, dass, dadurch, dass wir eine sehr offene Familie sind, im Grunde fast alle davon wussten. Aber das ist jetzt auch nicht der Maßstab. Ich glaube, man sollte immer zu den wichtigsten Bezugspersonen gehen. Meistens sind es dann eben die Eltern, vielleicht auch noch Geschwister. Wenn man ein gutes Verhältnis, eine gute Beziehung zu den Geschwistern hat, kann das ja auch helfen. Ich würde den Kreis erst mal ein bisschen kleiner halten und mich ein bisschen herantasten und mich fragen: „Was kommt denn da überhaupt für ein Echo zurück?“ Ich kenne auch Erzählungen von Betroffenen, wo die Angehörigen dann gesagt haben: „Das ist nur so ein bisschen Durchfall.“ Das ist natürlich eine Katastrophe für jemanden, der vielleicht gerade erst frisch diagnostiziert ist. Ich glaube, man sollte sich einfach ein bisschen herantasten, zuerst an engste Verwandte und dann einfach mal gucken, wie sich das über die Zukunft, dann vielleicht auch in Gesprächen mit anderen Verwandten, wie Onkels, Tanten und möglicherweise Großeltern, entwickelt.

Eva [00:19:02] Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt, was du sagst. Es hängt natürlich stark davon ab, wie sehr einen die Erkrankung gerade beeinflusst. Vielleicht gibt es da auch Leute, die sagen: „Okay, ich habe das, aber ich brauche nicht darüber reden.“ Aber ich finde, sofern es so ist, dass es einen persönlich in eine komische Situation bringt oder ein ungutes Gefühl macht, muss man das auch nicht. Ich habe leider auch mal von Leuten gehört, die sich dann in Lügen verstrickt haben, nur um nicht darüber reden zu müssen. Ich glaube, das kann auf Dauer einfach nicht gesund sein. Um mal in Richtung des Fazits der Folge zu kommen: Ich glaube, es ist ganz klar, wie du auch sagst, man sollte den Fokus wirklich auf offene Kommunikation legen. Sodass man selbst erkennt, dass, wenn man sich verstellt oder sich für sich selbst schämt, kann irgendwas nicht richtig sein. Und dann muss man vielleicht wirklich überlegen, wem man davon erzählt und in welchem Umfang.

Holger [00:20:07] ...und sich aber auch Hilfe holen, oder?

Eva [00:20:09] Ja, genau. Ich glaube auch, dass dieser Aspekt wichtig ist. Also bei mir war das ein großer Aspekt, weil, man wollte irgendwie auch reden, aber man wollte auch niemanden zusätzlich belasten. Davon hattest du ja auch schon gesprochen, von diesem Gefühl, vielleicht auch eine Belastung zu sein. Mir hat das enorm geholfen, dort durch eine neutrale Instanz, in Form der Psychotherapie, von jemandem reflektiert zu werden, der auch meine Gedanken sortiert hat. Ich glaube, wenn man ansatzweise das Gefühl hat, nicht gut allein mit der Situation klarzukommen, ist es, das sagtest du ja auch schon, enorm wichtig, sich unterstützen zu lassen.

Holger [00:20:56] Definitiv. Das war bei mir auch so. Nach der Reha war es für mich ein guter Auftakt, den ersten Kontakt zu Psychologen zu haben und eine weiterführende Therapie zu machen. An zwei Terminen, in denen auch einfach mal über Ängste gesprochen wurde, war Tanja auch mit dabei. Ich glaube, keiner sollte sich dafür schämen, sich Hilfe zu holen, das ist völlig normal. Dafür gibt es Psychologen und das ist, glaube ich, ein ganz, ganz wichtiges Element, auch im Umgang mit der Erkrankung, um das ganze Ding rund zu machen. Man hat das und muss irgendwie versuchen sich damit zu arrangieren und zurechtzukommen. Dazu gehört es dann auch, sich auch einfach Hilfe von außerhalb zu holen.

Eva [00:21:43] Sehr schön! Holger, ich glaube, dann haben wir schon die wichtigsten Dinge zusammengefasst. Magst du noch einen „Top-Tipp von Holger“ zum Ende abgeben?

Holger [00:21:58] Ja, ich kann nur an meine Worte von eben anknüpfen. Versucht so offen wie möglich über das Thema zu sprechen, besonders mit eurem Partner. Offenheit, ehrliche Worte, klare Worte, helfen im Umgang mit der Erkrankung, im Umgang mit der Partnerschaft, im Umgang mit der Familie. Mein persönlicher Leitsatz ist eigentlich immer: „Du kannst auch mit einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung glücklich sein, weil das Leben Spaß macht.“ Ich glaube, darum geht es uns doch allen im Leben, ums „Spaß haben“.

Eva [00:22:35] Ich glaube, einen schöneren Abschluss können wir für die Folge nicht finden. Holger, ich danke dir auch für deine Offenheit. Sicherlich, das hat man auch an einigen Stellen gemerkt, war es nicht einfach, die Themen so anzusprechen. Ich glaube aber, dass es gerade deshalb auch einen enormen Mehrwert für die Zuhörer hat. Super, ich danke dir Holger!

Holger [00:22:55] Vielen, vielen Dank! Ich danke auch, tschüss!

Eva [00:22:57] Vielen Dank fürs Zuhören, tschüss!

Schön, dass ihr wieder mit dabei wart und zugehört habt. Habt ihr vielleicht Themen, Wünsche oder Anregungen für uns für diesen Podcast? Dann schaut in die Podcast-Beschreibung. Dort findet ihr eine Info, wie ihr uns kontaktieren könnt. Oder schaut bei Facebook bei CEDlife vorbei!