Die Betroffene Kerstin erzählt, wie Isolation und Einschränkungen durch Corona ihren Alltag verändert haben und wie sie es geschafft hat, das Positive im Blick zu behalten. Dr. Meger-David gibt als Psychoonkologin Einblicke und Hilfestellungen aus fachlicher Sicht.
(EM-112470)
Der Weg von Frau Dr. med. Meger-David führte über die Gynäkologie hin zur Psychoonkologie. Nach ihrem Studium der Humanmedizin und ihrer anschließenden Promotion in Wien, begann sie ihre ärztliche Tätigkeit im Bereich der Frauenheilkunde und kam dabei mit zahlreichen onkologischen Patientenfällen in Kontakt. Sie selbst sagt heute, dass sie gern schon früher in ihrer Ausbildung den richtigen Umgang mit schweren Diagnosen erlernt hätte. Neben ihrer langjährigen Tätigkeit als Oberärztin verfügt sie mittlerweile über zahlreiche Zusatzausbildungen in Bereichen wie der Psychoonkologie, der systemischen Familientherapie sowie der fachgebundenen Psychotherapie (i.A.). Mit ihrer Tätigkeit als Psychoonkologin möchte sie ihren Patient:innen helfen, einen eigenen Weg im Umgang mit der Erkrankung zu finden. Im Rahmen des Podcasts teilt sie wertvolle Tipps aus ihrer langjährigen Erfahrung zum Umgang mit Krebs und klärt psychologische Hintergründe näher auf.
(00:00 – 00:23) Anmoderation der Folge.
(00:23 – 01:10) Kurze Vorstellung und Begrüßung der beiden Gäste.
(01:10 – 03:46) Kerstin stellt sich vor und erzählt von ihrer Diagnose und dem bisherigen Verlauf ihrer Erkrankung.
(03:46 – 04:31) Die Psychoonkologin Frau Dr. Meger-David stellt sich vor.
(04:31 – 08:10) Kerstin berichtet von ihrem Alltag mit der Erkrankung vor Corona.
(08:10 – 08:38) Veränderung des eigenen Krankheitsbewusstseins durch den ersten Lockdown.
(08:38 – 10:48) Kerstin über ihre Angst vor Ansteckung und das Alleinsein, aber auch positive Erfahrungen während des Lockdowns.
(10:48 – 14:57) Dr. Meger-David erklärt die psychische Wirkung von Isolation auf Körper und Geist.
(14:57 – 19:48) Die Wichtigkeit von Selbsthilfegruppen und persönlichem Austausch.
(19:48 – 20:21) Maske tragen gibt Kerstin ein großes Gefühl von Sicherheit.
(20:21 – 24:29) Stärkerer Zulauf auf Psychoonkologie: Halt geben durch Präsenz.
(24:29 – 27:16) Nach 2,5 Jahren Pandemie: Kerstin geht die Dinge langsamer an.
(27:16 – 33:34) Innere Widerstandskraft und Umgang mit der Isolation: Empfehlungen der Psychoonkologin.
(33:34 – 35:55) Kerstins Tipps für andere Betroffene.
(35:55 – 38:16) Prioritäten setzen und Wünsche umsetzen: „Auf zu neuen Ufern“.
(38:16 – 39:28) Abmoderation der Folge.
Lars [00:00:01] Herzlich Willkommen zu „Mein Krebsratgeber zum Hören“. Mein Name ist Lars Schmidtke und gemeinsam mit meinen Gästen sprechen wir offen und ehrlich über Krebs und das Leben mit Krebs. Hören Sie rein, wenn Sie persönliche Geschichten, aber auch Expertenrat zum Umgang mit der Erkrankung erfahren möchten. Unser Podcast ist ein Podcast mit Betroffenen für Betroffene.
Lars [00:00:23] In der heutigen Folge geht es um die Herausforderungen, denen sich Krebserkrankte in der Coronapandemie stellen mussten, wie es war, als man im Lockdown kaum vor die Tür gehen konnte und wie es den Behandlungsablauf beeinträchtigt hat. Und genau hierzu habe ich zwei Gäste eingeladen. Zum einen ist es Kerstin, die an Knochenmarkkrebs, dem Multiplen Myelom, erkrankt ist. Und genau von ihr möchte ich erfahren, wie sie ihre Erkrankung in der Pandemie wahrgenommen hat und wie sie mit Isolation und dem Gefühl von Machtlosigkeit umgegangen ist. Und außerdem ist Frau Dr. Daniela Meger-David hier, die uns als Psychoonkologin aus fachlicher Sicht zum Thema zur Seite steht. Hallo Kerstin und hallo Frau Dr. Meger-David.
Kerstin [00:01:08] Ja, hallo zurück.
Dr. Meger-David [00:01:09] Hallo.
Lars [00:01:10] Schön, dass Sie da sind. Kerstin, als allererstes möchten wir Sie natürlich ein wenig kennenlernen. Sie haben Knochenmarkkrebs. Das ist eine Erkrankung, die man den Betroffenen nicht unbedingt sofort anmerkt oder ansieht. Bitte stellen Sie sich doch unseren Zuhörerinnen und Zuhörern einmal vor. Und da wir heute über das Thema Isolation und Lockdown sprechen, möchte ich Sie bitten, dass Sie uns neben einem kurzen Überblick über Ihren Krankheitsverlauf auch einen kurzen Einblick zu Ihrer Wohnsituation geben, Kerstin.
Kerstin [00:01:42] Das mache ich doch gerne. Ich bin 45 Jahre alt, Familienstand ledig, keine Kinder. Ich bin voll berufstätig in einer Kommunalverwaltung, normalerweise im Büro, seit zweieinhalb Jahren, jetzt durch Corona halt, im Homeoffice vollständig. Wohnen tue ich in einem Einfamilienhaus, jetzt mit meiner Mama zusammen, bis letztes Jahr Mai auch noch mit meinem Vater, den wir zu Hause gepflegt haben.
Lars [00:02:11] Also das heißt, Sie wohnen oben und die Mutter wohnt unten?
Kerstin [00:02:13] Genauso ist es und ergänzt sich alles wunderbar. Wir verstehen uns prima, zum Glück. Ja, die Diagnose Multiples Myelom habe ich mit 37 Jahren durch einen Zufallsbefund erhalten. Eigentlich wollte ich Stammzellen spenden, durfte ich dann aber aufgrund dessen nicht.
Lars [00:02:32] Das erste Mal? Also das erste Mal gespendet?
Kerstin [00:02:36] Ja, und dann eben zum Onkologen halt hin, das Typische untersucht alles so. Erst hieß es MGUS, aber dann war ich schon eine Stufe weiter, Multiples Myelom halt, allerdings noch nicht therapiebedürftig. Dann war ich einige Jahre eben einfach nur halt vierteljährlich zur Kontrolle, hatte auch, oder habe bis heute auch das Glück, keine Folgen zu haben, sei es an den Knochen oder irgendwelchen Organen. Und habe dann vor zwei Jahren mit einer Therapie angefangen, mit einer Dauertherapie, die glücklicherweise auch gut anschlägt, dass die Werte sich stabil halten. Mir geht es so weit gut damit, außer eben halt, das, logisch, durch die Therapie und Erkrankung selber, das geschwächte Immunsystem.
Lars [00:03:23] Also das heißt müde, bisschen abgeschlafft?
Kerstin [00:03:26] Ja, das kann manchmal vorkommen, so schnelle Schlappheit, aber alles für mich nicht so gravierend. Also kann ich gut mit leben. Es gibt immer noch was Schlimmeres.
Lars [00:03:38] Und sonst geht es eigentlich ganz gut?
Kerstin [00:03:42] Ja, also ohne Corona könnte ich theoretisch ein völlig normales Leben führen.
Lars [00:03:46] Ja, danke Kerstin erstmal bis hier. Wir haben heute ja auch Frau Dr. Meger-David dabei. Frau Dr. Meger-David, Sie sind unter anderem in der Psychoonkologie tätig und wir haben uns ja schon mal in unseren ersten Podcastfolgen gehört. Aber da das schon eine ganze Zeit her ist, möchte ich Sie auch noch mal bitten, sich kurz vorzustellen.
Dr. Meger-David [00:04:06] Ja, das mache ich sehr gerne. Ich bin Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe und arbeite oberärztlich in einer onkologischen Rehaklinik im Bergischen Land. Zusätzlich habe ich eine psychoonkologische und psychotherapeutische Privatpraxis in Köln, in der ich auf Basis der systemischen Familientherapie arbeite.
Lars [00:04:26] Also Sie sind eine richtige Fachexpertin.
Dr. Meger-David [00:04:29] Ja, ich denke schon.
Lars [00:04:31] Kerstin, die Diagnose Multiples Myelom beziehungsweise Knochenmarkkrebs haben Sie 2014 erhalten und leben daher ja schon länger mit dieser Erkrankung. Und Ende 2019 Anfang 2020 kam Corona. Geben Sie uns doch mal einen Einblick, wie Ihr Alltag vor der Pandemie ausgesehen hat und welche Rolle Ihre Erkrankung gespielt hat vor Corona.
Kerstin [00:04:57] Also eigentlich eine sehr untergeordnete Rolle. Es war ja, es war da, ich wusste es, habe mich da aber nicht großartig mit beschäftigt, einfach weil es mir gut ging, ich keine gravierenden Beschwerden hatte, keine Tabletten nehmen musste, außer eben zu den Terminen der Kontrolluntersuchung war man halt ein bisschen nervös, „wie sind die Werte, wie haben sie sich entwickelt“, aber ansonsten ein völlig normales Leben. Man war unterwegs. Ich bin ganz normal arbeiten gegangen ins Büro, habe mich mit Freunden getroffen, Sport gemacht, war unterwegs, also keine großartigen Einschränkungen. Wie jeder andere auch halt.
Lars [00:05:36] Also fast würde man sagen, also keine Maske getragen oder sowas oder besonders vorsichtig gewesen?
Kerstin [00:05:44] Nein, also außer so kleine, ich sag mal, wenn Grippesaison war, nicht den Türgriff anfassen. Solche typischen Dinge, aber ansonsten keine Maske, keine Abstände und auch nicht so diese Isolation, oder so. Ganz normal gelebt.
Lars [00:06:00] Also ein ganz normaler Alltag, so wie die meisten von uns. Und hat sich das dann verändert, als die Kontaktbeschränkungen kamen und der erste Lockdown verhängt wurde?
Kerstin [00:06:09] Ja, das war massiv dann natürlich die Veränderungen. Ich wurde auch sofort, also wo das dann hier losging Mitte März 2020, nach Hause geschickt, durfte nicht mehr ins Büro. Ich habe dann eben für zuhause auch die Ausstattung und alles bekommen, dass ich da arbeiten kann. Klappt auch alles wunderbar. Zum Glück wussten auch meine Vorgesetzten davon und ich musste nicht dann erst noch mich offenbaren sozusagen, weil ich von Anfang an…
Lars [00:06:37] Mit offenen Karten gespielt hast.
Kerstin [00:06:39] Genau, weil ich mir einfach gesagt habe, man hat auch mal einen schlechten Tag dazwischen, oder eben wenn diese Untersuchungen anstanden, damit auch dann die direkten Kollegen auch wussten, alles klar, sie hat einen Termin, ist ein bisschen nervös, wenn man dann mal anders reagiert hat als normalerweise oder sicher auch mal anders reagiert hat. Ja, aber eben dann kam der Lockdown. Da brauchte ich dann so eine Nacht drüber, nachdem der Anruf dann kam, mich zu sortieren. Ich bin dann aber ein Mensch, der eigentlich versucht, immer das Positive rauszuziehen. Ich hatte dann erstmal zwangsfrei sozusagen.
Lars [00:07:16] Der Anruf, der kam vom Vorgesetzten, vom Chef?
Kerstin [00:07:19] Ja genau, eben die Info halt dann, weil sich dann unsere Chefriege zusammengesetzt hatte und das war dann auf dem Samstag und dann kam halt die Info, ich brauchte am Montag erstmal nicht kommen. Ja, ich bin dann Montag kurzerhand mal einkaufen gefahren und habe dann meinen Renovierungsplan, den ich für den Sommer hatte, halt dann vorgezogen, sodass ich dadurch diesen ersten Lockdown gar nicht so richtig mitgekriegt habe, weil ich einfach beschäftigt war. Also ich bin so ein Mensch, ich suche mir dann auch eine Ablenkung. Ich konnte es ja auch nicht ändern. Es war, wie es war und ist, wie es ist. Aber wirklich im Nachhinein, es war wirklich auch absolut die richtige Entscheidung so, mich nach Hause zu schicken, weil ja keiner wusste, „was kommt da auf uns zu, wie lange dauert das“. Ich glaube keiner hat auch gedacht, dass das so lange anhält.
Kerstin [00:08:10] Ja, es war natürlich auch, dann habe ich mich auch mehr damit beschäftigt, weil plötzlich war meine Erkrankung nicht nur irgendwo nebenbei, sondern plötzlich war es für mich so richtig bewusst, wie krank ich eigentlich bin. Das war mir vorher eben, ja, was heißt, habe es nicht wahrhaben wollen, aber ich habe mich damit nicht so auseinandergesetzt, so in dem Sinne sage ich mal so. Und da war es halt sehr massiv eben bewusst geworden, wie schwer krank ich bin.
Lars [00:08:38] Die Krankheit hatte dann plötzlich diesen Fokus bekommen.
Kerstin [00:08:40] Ja. Also man hatte natürlich auch, bis heute habe ich eine große Angst, mich anzustecken, weil ich immer ja noch nicht weiß, was passiert mit mir gezielt dann, wenn das passiert. Ich bin deswegen auch immer noch sehr vorsichtig. Und ja, was natürlich ist dieses von 100 auf 0, auch die ganzen sozialen Kontakte so, Telefon ersetzt nicht alles, kann man gewisse Sachen, aber es ist natürlich doch ein Unterschied, ob man sich persönlich trifft oder nur mal telefoniert. Was ich allerdings auch sehr positiv empfunden habe, damals seiner Zeit, war diese Entschleunigung.
Lars [00:09:15] Ja, dass man sich zurückziehen musste und zu Hause blieb und alles ein bisschen ruhiger.
Kerstin [00:09:21] Genau, man hatte diesen Alltagsstress nicht so. Ja, ich habe dann zwar auch zu Hause gearbeitet, aber das ist ja ein ganz anderes Arbeiten, als wenn ich im Büro sitze. Und das habe ich als sehr, sehr positiv empfunden und versuche, mir das auch bis heute und auch für die Zukunft noch zu bewahren.
Lars [00:09:37] Aber dieses Zwischenmenschliche hat dann aber schon gelitten?
Kerstin [00:09:41] Ja, ja, auf jeden Fall.
Lars [00:09:42] Also es gab dann keinen großen Besuch zu Hause oder so?
Kerstin [00:09:46] Nein. Also das war wirklich, wenn nur auch mal oder als Videokonferenz dann so, dass man sich ausgetauscht hat oder halt telefoniert. Sport fiel von jetzt auf gleich sofort komplett weg, wo man auch immer viele Leute getroffen hat. Das war halt eine Umstellung. Nun bin ich jetzt auch glücklicherweise ein Mensch, der nicht jeden Tag eine Riesenhorde Menschen um sich herum haben muss. Das macht es mir natürlich einfacher, damit klarzukommen, als wenn man jetzt so, ich muss Leute um mich rum haben, damit ich eben nicht unglücklich bin und so. Ich kann auch gut und gerne mal eine gewisse Zeit lang für mich sein und genieße das auch manchmal sehr.
Lars [00:10:31] Und das heißt, in der Zeit wurde die ganze Wohnung renoviert oder was ist passiert, tapeziert?
Kerstin [00:10:38] Laminat habe ich neu verlegt.
Lars [00:10:39] Ah, selbst ist die Frau.
Kerstin [00:10:42] Genau, die große Renovierung das war damals bei der Diagnose, da wurde komplett umgebaut.
Lars [00:10:48] Frau Dr. Meger-David, wir nutzen diesen Begriff Isolation. Können Sie für uns einmal einordnen, was Isolation durch Anordnung, denn das ist die Art der Isolation, die uns durch die Pandemie begegnet ist, was das bedeutet und was das für eine psychische Wirkung gerade mit Blick auf eine Krebserkrankung haben kann.
Dr. Meger-David [00:11:07] Ja klar. Also das ist ja im Grunde nichts anderes, als wenn man jemanden oder eine Gruppe absondert von der Umgebung. Das ist das, was Isolation sozusagen eigentlich definiert.
Lars [00:11:19] Aber um andere zu schützen? Um sich und andere zu schützen?
Dr. Meger-David [00:11:21] Die Gründe können ganz unterschiedlich sein. Es gibt ja auch die Einzelhaft, zum Beispiel im Gefängnis, das ist auch eine Isolation im weitesten Sinne, und da wird zum Beispiel von den Menschenrechtsorganisationen das auch schon als Folter gewertet. Also insofern ist Isolation unterschiedlich motiviert, religiös, politisch, als Erziehungsmaßnahme zum Beispiel.
Lars [00:11:42] Und was für eine psychische Wirkung hat Isolation?
Dr. Meger-David [00:11:47] Das ist ganz interessant. Da gab es eben verschiedene Untersuchungen jetzt dazu, zu gesunden Menschen, also einerseits einmal zu Kindern und Jugendlichen. Und das kennen wir ja alle, dass wir dann eben Zukunftsängste entwickeln können, wir haben Leistungsdruck auf einmal, Vereinsamung ganz, ganz wichtig und im weiteren Verlauf ist dann eben auch bei den Jugendlichen vermehrter Medienkonsum zum Beispiel aufgetreten, Computerspiele, die konnten sich ja dadurch auch noch vernetzen mit ihren Freunden, die zocken ja oft dann auch gemeinsam zum Beispiel, und dadurch natürlich wiederum Bewegungsmangel, falsche Ernährung.
Lars [00:12:26] Zu dünn? Zu dick?
Dr. Meger-David [00:12:27] Absolut. Und dann halt auch dadurch die, wie sagt man, Übergewicht, Untergewicht, je nachdem wie sie sich ernährt haben. Und dann dadurch auch körperliche und vor allen Dingen auch geistige Erkrankungen.
Lars [00:12:39] Und wie war das mit älteren Menschen?
Dr. Meger-David [00:12:41] Auch das ist ganz gut untersucht worden mittlerweile. Und da hat man eben rausgefunden, dass das natürlich auch schädigend ist auf deren Leben, dass es die Lebenszeit auch tatsächlich verkürzen kann.
Lars [00:12:54] Allein zu sein, abgenabelt von den anderen und vielleicht nicht die technischen Möglichkeiten zu haben?
Dr. Meger-David [00:12:59] Gerade auch bei älteren Menschen ist es ja so, dass die ja auch oft sich so ihre Strukturen im Alltag vorher selbst organisiert hatten. Was weiß ich, wo sie sich am Abend irgendwo getroffen haben und das ist dann alles weggefallen. Das heißt also, die haben dadurch auch natürlich einen großen Schaden erlitten, sowohl an der geistigen als auch an der körperlichen Gesundheit und auch an ihrer Lebensqualität.
Lars [00:13:22] Also das heißt, der Seniorennachmittag, also das Kaffeetrinken, der Skatabend, das brach ja alles weg.
Dr. Meger-David [00:13:28] Ja. Ich habe jetzt genickt, weil das natürlich dem alles entspricht und die dann ganz allein auf sich eingestellt waren und dann eben auch zurechtkommen mussten. Und natürlich ist auch untersucht worden, wie kann man dem entgegenwirken. Das ist einerseits ganz klar der persönliche Kontakt, das Pflegen von Freundschaften, aber man hat auch festgestellt, dass durch gerade auch digitale Interventionen wie zum Beispiel kognitive Verhaltenstherapie oder aber auch ein soziales Kompetenztraining, dass da etwas entgegengewirkt werden kann.
Lars [00:14:02] Und wenn wir über Krebs sprechen, wie ist das mit Krebspatienten?
Dr. Meger-David [00:14:08] Ja, mit Krebs ist es ja auch eine Sache, dass man da ja prinzipiell schon eine gewisse Stigmatisierung in unserer Gesellschaft erleben kann. Das heißt, Menschen mit einer Krebserkrankung werden unter Umständen auch gemieden oder eben wird denen auch aus dem Weg gegangen. Das hat das alles schon vor der Pandemie gegeben.
Lars [00:14:29] Aber eher aus Angst, oder?
Dr. Meger-David [00:14:30] Aus Angst, ja. Aus Angst, weil Menschen damit nicht umgehen können. Vielleicht haben sie selber auch eine schlechte Erfahrung durch eine Krebserkrankung eines anderen Menschen in ihrer Umgebung gehabt, eines engen Verwandten zum Beispiel oder per se einfach auch Angst davor. Und das ist ja alles irrational, diese Ängste. Und jetzt kam dann in der Pandemie, in dem Lockdown, alles zusammen, also zum einen die Krebserkrankung und dann natürlich auch noch diese Vereinsamung, und das war dann oft schwer auszuhalten.
Lars [00:14:57] Kerstin, erkennen Sie darin Gedanken oder Sorgen wieder an dem, was Frau Dr. Meger-David gesagt hat?
Kerstin [00:15:03] Ja, auf jeden Fall.
Lars [00:15:04] Hat sich Ihr Umgang mit der Erkrankung verändert?
Kerstin [00:15:07] Ja, also doch. Es ist mir jetzt deutlich bewusster. Und ich setze mich auch mehr damit auseinander, was ich vorher nicht so getan habe, auch tiefer mit Therapiemöglichkeiten zum Beispiel. Oder ich bin dann auch kurz vor dem Lockdown, habe ich angefangen, auch in eine Selbsthilfegruppe zu gehen, was ich vorher auch nicht gemacht habe und zwangsläufig dadurch auch mit anderen Schicksalen auseinandersetzen. Also, das auf jeden Fall.
Lars [00:15:36] Okay, das war vor der Pandemie. Also da gab es so eine Gruppe, die hat sich getroffen, und da sind Sie hingefahren. Und in der Pandemie, als es dann nicht mehr ging mit dem Treffen?
Kerstin [00:15:47] Eine Zeit lang war Pause und dann haben wir angefangen, das online zu machen. Es geht auch, aber ist in dem Fall keine Ersatzmöglichkeit, also das persönliche Treffen ist deutlich angenehmer und effektiver auch und besser. Aber lieber ein bisschen treffen als gar nicht treffen, haben wir uns gesagt.
Lars [00:16:06] Und wie war das, das erste Mal nach der, also quasi ihr habt euch lange nicht gesehen und das erste Mal wieder in Person?
Kerstin [00:16:14] Also es war sehr nett, weil auch online ein ganz anderer Kreis war. Es sind sowieso, es sind nicht immer die gleichen Personen da, sind immer mal der eine da, der nächste nicht, dann wieder jemand Neues dabei. Aber online war es eine ganz andere Gruppe, die sonst auch nicht unbedingt so in Präsenz dabei sind, aber es war halt einfach schön, wieder in Präsenz sich austauschen zu können. Und wir hatten auch dann, wenn wo jetzt das Wetter so schön war, konnten wir auch draußen gesessen haben, was dann ja noch mal schöner ist als drinnen in so einem Raum, wenn draußen die Sonne scheint.
Lars [00:16:54] Mit einem Eis und einem Kaltgetränk?
Kerstin [00:16:56] Nur ein Getränk dabei, ein Eis war leider nicht dabei. Aber halt einfach dieser Austausch eben mit den Betroffenen direkt, eben weil das natürlich eine ganz andere Ebene ist. Natürlich kann man auch mit Familie, Freunde und so, aber mit einem Gleichgesinnten, der die gleichen Sorgen und Ängste hat, sich auszutauschen…
Lars [00:17:15] Einem Betroffenen, einer Betroffenen.
Kerstin [00:17:16] Genau, das ist was ganz anderes. Klar kann jeder andere auch versuchen, das zu verstehen. Kennt man von sich selber auch, dass man, wenn man früher auch hörte, schwere Erkrankung so ja, aber wirklich verstehen kann man es nicht, das kann man erst, wenn man selber in so einer Situation ist.
Lars [00:17:36] Und fragt man dann, wie geht es dir?
Kerstin [00:17:39] Ja.
Lars [00:17:40] Was kommt dann?
Kerstin [00:17:41] Unterschiedlich.
Lars [00:17:42] Also ist man da ehrlich?
Kerstin [00:17:44] Ich denke mal schon die meisten, also doch. Also wir sind, muss ich sagen, ein sehr lebensfroher Haufen, sage ich mal so, also das kriegen wir auch, gerade wenn jemand neu dazukommt, der dann eben auch frisch erst die Diagnose hat, da ist ja ganz viel im Kopf, was da dann abläuft, dass wir wirklich diese Bestätigung bekommen und auch dem das sehr gut tut, zu merken, man kann damit eben sehr gut leben mit unserer Erkrankung. Und dieses Positive versuchen wir auch dann immer demjenigen auch mitzugeben.
Lars [00:18:16] Ist dir das ganz wichtig? Ist dir diese Selbsthilfegruppe, ist dir das was Wichtiges?
Kerstin [00:18:21] Ja, auf jeden Fall. Also ich möchte sie nicht missen. Man schafft es nicht immer hin. Aber ich versuche eigentlich immer, dabei zu sein. Weil es auch einfach hilft. Man nimmt auch Neues mit, man hört Tipps, die man bekommt und auch eben zu merken, ja Mensch, denen geht es ähnlich wie mir. Wir sitzen alle im gleichen Boot und dann finden wir doch auch gemeinsam Lösungen. Also es ist einfach schön auch da gewisse Dinge, es gehört zur Verarbeitung der ganzen Geschichte mit dazu, finde ich.
Lars [00:18:55] Also so eine richtige Mannschaft?
Kerstin [00:18:58] Ja. Und auch einfach zu wissen, da sind Gleichgesinnte, wo man sich auch jederzeit mit austauschen kann.
Lars [00:19:06] Auch wenn es einem schlecht geht? Wenn es Ihnen schlecht geht, dann kann man da irgendjemand anrufen?
Kerstin [00:19:12] Ja, ja.
Lars [00:19:15] Einen Freund? Einen Vertrauten?
Kerstin [00:19:15] Ja, auf jeden Fall.
Lars [00:19:17] Okay ja, total wichtig diese Selbsthilfegruppe. Gibt es einen Namen?
Kerstin [00:19:21] Das ist von Hamburg die Selbsthilfegruppe zum Multiplen Myelom. Und eben auch der, der sie leitet, eben auch selber betroffen und bietet es auch an, wenn was ist, dass er auch da ist, oder ich weiß auch, es hat nicht jeder jemanden in seinem Umfeld, der mit zu Arztbesuchen kann, also das wird da auch mit angeboten.
Lars [00:19:45] Organisiert, okay.
Kerstin [00:19:46] Ja.
Lars [00:19:48] Ja, und dieses Maske tragen. Wie war das?
Kerstin [00:19:52] Also da habe ich eigentlich überhaupt kein Problem mit, weil ich einfach weiß, sie schützt mich. Deswegen ist es für mich auch eine Selbstverständlichkeit, wenn ich jetzt vor die Tür gehe, ist die Maske auf, egal auch wenn ich noch mal kurz auf die Tankstelle fahre oder so, ich habe immer die Maske auf, wenn ich sobald ich mein Zuhause verlasse. Insofern, weil es mir eigentlich ein großes Stück von Sicherheit gibt. Es gab auch eben schon Kontakte, wo die Maske eben, behaupte ich, geholfen hat, dass ich mich nicht angesteckt habe.
Lars [00:20:21] Also ein großes Gefühl von Sicherheit. Frau Dr. Meger-David, Sie als unsere Expertin, wie haben Sie die Pandemie als Psychoonkologin erlebt, gab es da mehr Anfragen als vorher und konnten Sie Betroffenen digital Unterstützung anbieten?
Dr. Meger-David [00:20:38] Ja, als Ärztin selber habe ich ja die Isolation so gar nicht gespürt, ich habe ja die ganze Zeit gearbeitet. Aber als Ärztin mit in der Betreuung von Betroffenen, da habe ich natürlich schon sehr, sehr viel mitbekommen und es war einfach auch ganz eindeutig zu sehen, wenn dann krebserkrankte Menschen zur Befundbesprechung kommen mussten ohne ihre vertraute Person, jemanden, mit dem sie das gerne teilen würden und man ist aufgeregt und man ist dann auch ganz froh, wenn da einer sitzt. Ich sage auch immer vier Ohren hören mehr als zwei Ohren. Man kriegt nicht alles mit und vor allen Dingen kann man dann hinterher auch sagen, „Mensch, was hast du denn jetzt gehört und was sollte das eigentlich jetzt, hast du es genauso verstanden wie ich“. Und das war ja eben nicht nur bei den Befundbesprechungen, wo es eben auch um eine lebensbedrohende Diagnose ging, sondern das gab es auch beim stationären Aufenthalt oder bei ambulanten Therapien. Da ist dann eindeutig das Verbot ausgesprochen worden, dass eine Begleitperson mitgehen darf, was vorher durchaus der Fall war. Und das hat dann auch, gerade auch bei älteren Menschen oder Menschen, die nicht gut gehen konnten oder sonst wie eingeschränkt waren, auch zu großen Kummer geführt, weil die dann einfach da auch sich nicht mehr gut und wohlgefühlt haben und auch zum Teil das gar nicht machen konnten alleine.
Lars [00:21:56] Gab es mehr Anfragen? Hatten Sie Anrufe? Hat man Sie um Hilfe gebeten? Wie hat sich das dargestellt?
Dr. Meger-David [00:22:04] Ja, tatsächlich, das war auch so. Also ich hatte nicht nur in dem psychoonkologischen Kontext mehr Anfragen, sondern tatsächlich auch Menschen, die dann unter Depressionen oder auch Angststörungen und Verhaltensauffälligkeiten litten, die haben sich häufiger gemeldet und natürlich auch das Ganze kann man ja auch als akute Belastungsstörung sehen. Es sind in dem Familienzusammenhalt familiäre Situationen, aber auch die ganzen Sachen, die passiert sind durch die Pandemiemaßnahmen beziehungsweise auch der Wegfall der Arbeit. Ja, da müssen Sie sich vorstellen, da fehlt ihnen Ihr täglicher Gang zur Arbeit, das gebraucht werden.
Lars [00:22:43] Das Restaurant blieb zu.
Dr. Meger-David [00:22:44] Genau, man dann auf einmal in einem luftleeren Raum, das hat natürlich sehr viel Veränderungen auch in der Psyche gemacht dieser Menschen und die haben sich auch alle gemeldet.
Lars [00:22:53] Und wie haben Sie das, wie sind Sie dann da dran gegangen? Das war ja für Sie auch das erste Mal.
Dr. Meger-David [00:22:58] Ja, das stimmt. Also ich habe, solange es irgendwie möglich war, Live-Sitzungen gehabt, das heißt, vor Ort habe ich mich mit den Leuten ausgetauscht, Präsenzmeeting kann man sagen. Und erst als es gar nicht mehr ging, haben wir dann digitale Formate auch eingeführt. Also nicht nur ich, sondern eben auch meine ganzen Kollegen und Kolleginnen. Das kann man machen. Es ist schon so, dass diese digitalen Formate, dieses Feeling nicht so rüberbringen, wie wenn man da sich im Angesicht zu Angesicht gegenüber sitzt. Man hat oft mit den Gefühlsregungen, man muss da besonders aktiv zuhören, ja auch noch mal nachfragen, auch sagen, „ich sehe jetzt, dass Sie sehr aufgewühlt sind. Gibt es da was? Wie kann ich Ihnen helfen?“ oder dass man da auch versucht, in die Tiefe zu gehen, was man ja auch machen würde, wenn man da einfach denjenigen bei sich sitzen hätte. Ja, also es ist allerdings so, dass ich der Meinung bin, dass Live-Sitzungen meiner Meinung nach deutlich den digitalen Formaten überlegen sind und dass eben digitale Formate eigentlich nur beschränkt hilfreich sein können.
Lars [00:24:09] Also quasi eine Ergänzung?
Dr. Meger-David [00:24:12] Ja. Frau Seemann hatte das ja auch ganz schön vorhin erwähnt, dass sie gesagt hat, die digitalen Selbsthilfegruppetreffen, die waren schön, aber natürlich ist es was anderes, wenn man sich dann schon einfach von Angesicht zu Angesicht sieht.
Lars [00:24:26] Der absolute Mehrwert.
Dr. Meger-David [00:24:26] Ja, absolut. Ja.
Lars [00:24:29] Kerstin, jetzt sind deutlich über zwei Jahre Pandemie vergangen. Wie gehen Sie heute mit Ihrer Erkrankung um, fühlen Sie sich immer noch isoliert oder haben Sie Wege für sich gefunden, damit umzugehen?
Kerstin [00:24:42] Also, wie ich ja schon sagte, dass ich eben bewusster auch damit umgehe, sprich auch mehr auf meinen Körper höre. Und wenn mein Körper sagt, er braucht eine Pause, dann bekommt er sie auch. Früher war ich dann eher so, ach, mache erstmal weiter, aber natürlich auch bedingt durch die Therapie gewisse Nebenwirkungen, wo man dann eher nochmal eine Pause macht.
Lars [00:25:04] Wie sieht so eine Pause dann aus, Kerstin?
Kerstin [00:25:07] Ja, auch einfach auch in meinem Alter, sag ich mal, einfach mal ein Mittagstündchen machen.
Lars [00:25:11] Okay.
Kerstin [00:25:13] Manchmal langen auch diese berühmten zehn Minuten. Das reicht schon manchmal aus, oder wenn Feierabend ist auch mal kurz einfach nur auf die Couch legen, Augen bisschen zu, bisschen dösen. Sonst war man dann ja in dem hektischen Alltag, macht gleich den nächsten Termin hintenan. Es ist nicht immer unbedingt gut von einem Termin zum anderen hetzen. Dass ich da wirklich auch was für mich eben auch zu dieser Entschleunigung gehört, so bisschen sanfter den Tag, eben nicht so vollgepackt mit Terminen und dann auch lieber sagen, „nein, heute nicht, lieber morgen, weil heute habe ich schon zwei Termine“ oder so. Da dann die Entschleunigung fortführen. Man hat ja nur einen Körper. Ja, und mit der Isolierung, also ja, dadurch dass ich immer noch sehr vorsichtig bin, bin ich natürlich immer noch isoliert im Vergleich zu gewissen, hängt natürlich auch immer von der gerade aktuellen Entwicklung so ab, wie die Zeiten sind, dass man sich mal mit ein oder zwei Freunden vielleicht trifft, aber eben nicht in diesem großen Rahmen oder irgendwo groß hingeht oder so wie es sonst denn auch mal passiert ist.
Lars [00:26:21] Aber jetzt sind ja zwei Jahre vergangen und die Maßnahmen wurden gelockert und die Coronazahlen sind relativ weit unten. Wo fand das erste Treffen wieder statt? Gab es irgendwo eine Currywurst? Hat man sich mit Freunden draußen getroffen, wie sah das aus?
Kerstin [00:26:37] Das war bei einer Freundin zum Kaffee trinken, auf der Terrasse.
Lars [00:26:43] Okay, aber dann mit Maske dahin, oder?
Kerstin [00:26:46] Ja. Und dann eben hatten wir draußen gesessen und dann mit Abstand. Dann habe ich sie dann auch mal abgenommen, weil ich auch weiß, also ich guck auch schon, wo ich hingehe, wenn, also ich würde nicht einfach, ich sag jetzt mal, irgendwo auf ein Konzert fahren, das auch mit Maske nicht. Das ist mir alles noch viel zu heikel. Es sind halt viele Dinge, die ich noch nicht so machen kann, wie ich es gerne möchte. Wie viele andere es tun, so muss auch jeder für sich selber entscheiden. Aber ich für mich habe gesagt, „nein, das ist mir alles noch zu riskant“.
Lars [00:27:16] Frau Dr. Meger-David, Was geben Sie Betroffenen an die Hand, um besser mit der Isolation umzugehen? Also empfehlen Sie Rituale oder ähnliches, was gibt es da für Möglichkeiten?
Dr. Meger-David [00:27:28] Na ja, so grundsätzlich ist es ja schon mal so, dass Menschen unterschiedlich mit ihrer Isolation umgegangen sind. Da hat ja jeder eine andere Toleranzschwelle, wie lange er etwas ertragen kann, bis es auch zu negativen Auswirkungen kommen kann. Und diese Widerstandskraft, von der wir hier sprechen, nennt man eben auch seelische Widerstandskraft oder Resilienz. Und die ist halt bei vielen Menschen unterschiedlich.
Lars [00:27:52] Also Resilienz hat man ja sehr oft gehört, aber das heißt, das ist im Menschen verankert diese Resilienz oder was ist das?
Dr. Meger-David [00:28:03] Das hat eigentlich jeder von uns und je nachdem was oder welchen Situationen wir ausgesetzt sind, desto unterschiedlicher reagieren wir. Das heißt, manche Menschen brauchen seelische Unterstützung und andere brauchen das eben nicht.
Lars [00:28:18] Also heißt, der eine braucht mehr Kontakte, also mehr Freunde und der andere, der kommt auch schon mal gut alleine klar?
Dr. Meger-David [00:28:25] Genauso ist es. Frau Seemann hatte das ja auch gesagt, dass sie zum Beispiel da auch der Typ ist, der ganz gut alleine durch die Pandemie, durch die Isolation auch in gewisser Weise gekommen ist. Und dann gibt es tatsächlich auch Menschen, die wirklich sehr darunter leiden, für die das ganz schwierig ist, wenn sie also nicht shoppen gehen können und keine Freunde treffen, keine Freizeitaktivitäten wahrnehmen können, also quasi auch eine ganze Welt zusammenbrechen kann.
Lars [00:28:48] Also das heißt, diese Einsamkeit ist dann schon schädlich gewesen für einige?
Dr. Meger-David [00:28:55] Ja, absolut muss man sagen, da sind diese Einsamkeit, diese Isolation ist eben für viele Menschen jetzt sehr, sehr unerträglich gewesen und da ist ja nicht nur der engste Kontakt zum Teil mit den Angehörigen weggefallen. Da sind auch eben der Verlust durch besondere Zuwendungen ist weggefallen, die Selbsthilfegruppen, der Reha-Sport, die Reha-Sportgruppe, sämtliche Freizeitaktivitäten, auch in die Kirche nicht oder auch mit dem Pfarrer mal nach der Kirche zu plaudern, das hat ja auch seelsorgerische Betreuung in gewisser Weise, ist auch schon wichtig für manche Menschen, und ja, das ist alles weggefallen.
Lars [00:29:35] Therapien sind weggebrochen, oder?
Dr. Meger-David [00:29:37] Auch das, ganz genau. Also es wurden zum Teil ja auch Sachen abgesetzt. Wir haben zum Beispiel Chemotherapien nicht durchgeführt, orale Therapien wurden ganz ausgesetzt zum Teil, Strahlentherapie hat erstmal nicht stattgefunden, aber auch eben das Absetzen oder Verschieben von Operationen hat stattgefunden. Also alles Sachen, die auch Situationen dann noch schwerer ertragbar machen, wenn man sich denkt, „Mensch, ich müsste doch, es muss doch was gemacht werden, damit das nicht fortschreiten kann“.
Lars [00:30:06] Und wie war es dann also, wenn Patienten gekommen sind, also was haben Sie ihnen geraten?
Dr. Meger-David [00:30:13] Ja, das war ganz unterschiedlich. Also ich habe ja viele, viele Menschen da auch gesehen und gehört. Jeder Mensch ist anders und ich sagte auch immer ganz gerne, der Klient ist der Experte für sich selber oder die Klientin ist die Expertin für sich selber. Das heißt also, unter normalen Umständen wüsste die sehr gut, was ihr gut tut, aber durch die Krebserkrankung ist der Schock so tief, dass sie eben dann doch mitunter einen seelischen Beistand bräuchte. Was hat aber jetzt sozusagen dazu geführt, was ihnen helfen kann? Das war ja das, worüber wir reden wollen. Ja, zum Beispiel Aktivitäten oder auch der Kontakt zur Familie, zu Freunden, zu Schulkollegen, alten Studienkollegen, sei es am Telefon, Videocalls haben zugenommen, dann natürlich das Gespräch am Fenster nach unten auf die Straße, über den Gartenzaun, man hat sich verabredet zum Gassi gehen zum Beispiel. Ich habe auch mal gehört, eine Patientin ist Reiten gegangen und hat sich dann mit ihren Reiterkolleginnen verabredet.
Lars [00:31:17] Aber sie konnte vorher schon reiten?
Dr. Meger-David [00:31:18] Sie konnte vorher schon reiten. Sie hat ein eigenes Pferd gehabt.
Lars [00:31:21] Ah Mensch, toll.
Dr. Meger-David [00:31:22] Genau und ja, was kann man noch machen? Man kann natürlich auch Motivationsboards sich machen, wo zum Beispiel Freunde Karten mit Sprüchen schicken, man kann sich auch selber welche kaufen, man kann Fotos oder Filme anschauen von Orten, wo man sich besonders wohlgefühlt hat. Traumreisen zum Beispiel ist auch so eine Sache, dass man sich dann da hinträumt an solche Orte, wo es einem besonders gut gegangen ist und daraus noch mal Kraft zu zehren.
Lars [00:31:50] Oder durchs Fotoalbum vom letzten schönen Urlaub, die Fernreise.
Dr. Meger-David [00:31:54] Ja, genau das wäre zum Beispiel so etwas, was man sagen könnte. Wichtig zum Beispiel ist auch eine gewisse Routine im Alltag einzuführen, also dass man den Tag strukturiert und vielleicht nicht so herumhängt, das würde auch etwas sein. Nicht, dass man das jetzt irgendwie dogmatisch machen muss, aber einfach so, dass man eine gewisse Struktur hat, um auch ganz gut dann diese Zeit zu überstehen.
Lars [00:32:18] Also das heißt, 08:00 Uhr frühstücken, 12:00 Uhr Mittag essen, 15:00 Uhr einen Kuchen backen und dann Kaffee trinken. Also so feste Zeiten.
Dr. Meger-David [00:32:26] Richtig. Also so in gewisser Weise halt.
Lars [00:32:28] Oder auch mal die Mama anrufen.
Dr. Meger-David [00:32:30] Auch das kann alles drin sein. Also alles, was nicht zu dogmatisch ist und zu rigide ist. Das will ich jetzt nicht empfehlen, aber doch so in einer gewissen Weise, dass man sagt, ich strukturiere meinen Tag und dadurch komme ich dann einfach auch besser durch den Tag.
Lars [00:32:44] Oder auch eine Sprache lernen.
Dr. Meger-David [00:32:46] Auch das, man kann was Neues machen, ganz genau. Also es ist zum Beispiel so, es gibt ja jede Menge auf Youtube, es gibt Youtube-Tutorials, man kann sich Bücher schicken lassen, um was Neues zu lernen, sei es eine Sprache, ein Instrument, man kann auch lernen, ob man dann, wenn man wieder darf, die Platzreife macht beim Golfen zum Beispiel, aber es ist alles möglich. Also da sind ganz viele Sachen, die man da eben machen kann. Digitale Vernetzung hat ja auch stattgefunden, es haben sich Menschen verabredet zum gemeinsamen Musizieren, zu einem Spieleabend online.
Lars [00:33:19] Und das hat geklappt.
Dr. Meger-David [00:33:20] Genau. Diese Sachen sind es, die dann wichtig geworden sind, dass Menschen das besser durchgestanden haben, kann man so sagen.
Lars [00:33:30] Der Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt.
Dr. Meger-David [00:33:33] Das ist richtig.
Lars [00:33:34] Kerstin, nun steht ja der Herbst wieder bevor und es ist erwartbar, dass es verstärkt wieder darum gehen wird, Kontakte zu reduzieren. Haben Sie Empfehlungen für diese Zeit, die Sie anderen Betroffenen mitgeben können aus diesen Erfahrungen der letzten zweieinhalb Jahre?
Kerstin [00:33:51] Ja, also zum Beispiel, ich habe mit Ahnenforschung angefangen.
Lars [00:33:55] Okay.
Kerstin [00:33:56] Ein zeitintensives Hobby, ja, aber ich denke mir einfach, ein Hobby, eine Beschäftigung lenkt auch von diesen Einschränkungen dann ab, weil es bringt mir auch was Positives. Es macht mir ja Spaß, ich sage mir immer, es ist jetzt so, wie es ist. Ich kann die Situation nicht ändern, wenn ich es könnte, würde ich es natürlich tun, aber leider habe ich dazu nicht die Möglichkeiten. Und ich muss jetzt das Beste daraus machen, einfach so. Und deswegen sind auch für mich eben diese, ja für den einen sind es Einschränkungen, für mich sind es Schutzmöglichkeiten, jeder empfindet das anders und ich finde einfach…
Lars [00:34:32] Das sind so kleine Tricks, die man einbaut, dass man es einfach so ins Positive holt.
Kerstin [00:34:36] Genau, und ich finde einfach, wie gesagt, ich sehe es als Schutzmaßnahmen, Abstand einhalten, Maske tragen, Hände waschen. Ich schütze damit mein Leben und auch das Leben der anderen gegebenenfalls, nicht nur meins.
Lars [00:34:49] Kann es da hier und da ein Missverständnis geben, Kerstin? Wenn du irgendwo in der Schlange stehst und dann kommt da jemand zu nah oder so oder gab es da schon mal Erlebnisse?
Kerstin [00:34:58] Ja, doch, solche Situationen habe ich auch gehabt. Ich äußerte auch meinen Unmut, weil es ist mein Körper und mein Leben, da möchte ich schon nach Möglichkeit selbst drüber bestimmen und nicht von anderen gegebenenfalls und auch jetzt, wenn mir jemand zu dicht kommt, dann sage ich das auch. So erlebe ich dann ja mal die wenigen Momente, die ich mal irgendwo bin, aber nichtsdestotrotz versuche ich die Zeit einfach zu genießen, auch wenn sie halt einfach anders ist als man sie, ich sag mal 43 Jahre lang vorher kannte. Ist so und man soll niemals aufgeben und immer eben auch, wie eben schon gesagt, auch nach Lösungen suchen, weil ich denke mal in jedem Leben gibt es irgendwas, was einem Spaß macht, auch um solche schwierigen Zeiten zu überstehen. Und auch eben diese Einschränkung, dass sie nicht für den Einzelnen persönlich so extrem belastend auch einfach sind.
Lars [00:35:55] Also das klingt so, Kerstin, als ob Sie super gut vorbereitet sind auf das, was da im Herbst kommt oder auch nicht kommt. Und wir hoffen, es kommt nicht. Frau Dr. Meger-David, Sie haben schon viele Hilfestellungen gegeben, aber was möchten Sie Betroffenen noch mitgeben, jetzt, zum Schluss des Podcasts?
Dr. Meger-David [00:36:15] Ja, ich denke, dass es also generell kein Fehler ist, sich zu überlegen, was könnte ich denn alles machen, sollte so eine Zeit überhaupt einmal wiederkommen. Und da kann man dann natürlich dann auch in die Tiefe gehen und sich überlegen, was wollte ich denn eigentlich schon immer machen, das wäre eine Bereicherung für mein Leben.
Lars [00:36:33] Eine Wunschliste?
Dr. Meger-David [00:36:34] Ja, so ein bisschen auch so eine Prioritätenliste oder eine Wunschliste. Was habe ich, wenn ich zurückdenke, als ich ein junges Mädchen war mit 20, was habe ich für Wünsche, was habe ich für Vorstellungen, für Ideen gehabt, was ich gerne in meinem Leben machen möchte. Und wie das halt so ist in unserem Leben, da kommt ganz viel dazu. Man hat seinen Beruf, man heiratet, man kriegt Kinder, es sind Sachen, die dann viel wichtiger sind und solche Ideen und Wünsche und gehen dann weit nach hinten. Und da kann man noch mal drüber nachdenken, was war denn das damals, was ich gerne gemacht hätte, und ist es vielleicht ein Instrument, das ich jetzt lernen möchte, irgendetwas Neues, was kann eine Bereicherung für mich jetzt sein. Und ich denke, dass man da immer auch so seine Ziele formulieren sollte, neue Ziele, das ist nie verkehrt und ich habe dadurch auch eine innere Haltung, mit dem englischen Wort wird das durch das Mindset ausgedrückt, und das hat sich gezeigt, das ist ausschlaggebend für ein erfolgreiches und glückliches Leben, also Ziele formulieren. Wie gesagt, das ist eigentlich auch etwas, was sich positiv auswirkt auf psychoneuroimmunologischer Ebene, dass man dann eben doch vom Immunsystem etwas besser aufgestellt ist. Und das ist ja nie verkehrt, gerade in solchen Situationen, und ich ermuntere meine Patientinnen und Patienten immer, dass sie sozusagen sich selbst erforschen und dass sie eben auch Neues und Interessantes in ihr Leben bringen können, was ihnen auch immer nur vorschweben würde. Es ist immer eine gute Sache, zu überlegen, was könnte ich Neues machen.
Lars [00:38:16] „Auf zu neuen Ufern“, das ist ein schönes Schlusswort, Frau Dr. Meger-David. Kerstin, ich danke Ihnen ganz herzlich für Ihre ausführlichen Schilderungen, Ihren persönlichen Einblick und die persönlichen Pandemieerlebnisse und wünsche Ihnen für Ihren weiteren Weg alles Gute. Auch vielen Dank an Sie, Frau Dr. Meger-David, dass Sie uns Einblicke in ihr Fachgebiet gegeben haben und ebenso wertvolle Impulse für Betroffene und ihre Angehörigen gegeben haben.
Kerstin [00:38:44] Ja, vielen herzlichen Dank auch für die Einladung.
Lars [00:38:46] Kerstin, Danke schön.
Dr. Meger-David [00:38:47] Ja, auch vielen herzlichen Dank und auch alles Gute weiterhin und allen anderen auch, die das hören.
Lars [00:38:53] Auch Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, danke ich fürs Dabeisein. Alles Gute für den Herbst und ich freue mich auf die nächste Folge. Tschüss machen Sie's gut und bis bald.
Lars [00:39:06] Vielen Dank, dass Sie heute dabei waren. Wir freuen uns auf Anregungen, Ideen oder Themenvorschläge für „Mein Krebsratgeber zum Hören“. Oder möchten Sie Ihre Geschichte mit uns teilen? Schreiben Sie uns gerne eine E-Mail. Im Beschreibungstext finden Sie alle weiteren Informationen und Adressen.