Plötzlich ist der Krebs da und auf einmal ist alles anders. Wie gehe ich damit um? Kann ich mir selbst helfen oder brauche ich Hilfe? Wer versteht und begleitet mich? Die Psychoonkologin Dr. Daniela Meger-David beschreibt den Moment, der alles verändert. Sie erläutert fünf mögliche Phasen nach dem Schock und teilt ihre Sichtweisen aus der seelischen Begleitung mit Patient:innen – ehrlich und lebensbejahend.
(EM-136122)
Der Weg von Frau Dr. med. Meger-David führte über die Gynäkologie hin zur Psychoonkologie. Nach ihrem Studium der Humanmedizin und ihrer anschließenden Promotion in Wien, begann sie ihre ärztliche Tätigkeit im Bereich der Frauenheilkunde und kam dabei mit zahlreichen onkologischen Patientenfällen in Kontakt. Sie selbst sagt heute, dass sie gern schon früher in ihrer Ausbildung den richtigen Umgang mit schweren Diagnosen erlernt hätte. Neben ihrer langjährigen Tätigkeit als Oberärztin verfügt sie mittlerweile über zahlreiche Zusatzausbildungen in Bereichen wie der Psychoonkologie, der systemischen Familientherapie sowie der fachgebundenen Psychotherapie (i.A.). Mit ihrer Tätigkeit als Psychoonkologin möchte sie ihren Patient:innen helfen, einen eigenen Weg im Umgang mit der Erkrankung zu finden. Im Rahmen des Podcasts teilt sie wertvolle Tipps aus ihrer langjährigen Erfahrung zum Umgang mit Krebs und klärt psychologische Hintergründe näher auf.
(00:00 – 00:39) Worum geht es in der heutigen Folge und wer sind die Gäste?
(00:39 – 02:03) Was macht eine Psychoonkologin? Was waren die Beweggründe, diesen Beruf zu ergreifen?
(02:03 – 03:35) Kommunikation mit Krebspatient:innen: Warum die psychoonkologische Betreuung wichtig ist.
(03:35 – 06:30) Diagnose Krebs: Zufallsbefund oder Arzt-Odyssee? Diagnosewege und Auswirkungen auf die Psyche.
(06:30 – 09:20) Nie Routine: Die Kunst ein gutes Diagnosegespräch zu führen.
(09:20 – 10:46) Nach der Diagnose kommt der Schock. Warum passiert das und welche Symptome können auftreten.
(10:46 – 12:11) Dr. Daniela Meger-David erklärt fünf mögliche Phasen nach dem Schock.
(12:11 – 12:39) Kann der Schock bleibende Schäden verursachen?
(12:39 – 14:03) Wie kann jetzt eine psychoonkologische Beratung helfen und woraus können Betroffene Kraft schöpfen?
(14:03 – 14:59) Krebs und mein Umfeld: Wie kann ich darüber sprechen?
(14:59 – 16:24) Zurück zur „Normalität“ – geht das? Und wenn ja, wie?
(16:24 – 18:20) Ich kann den Krebs nicht mehr verbergen – wie gehe ich damit um?
(18:20 – 21:21) Resilienz: Wie kann ich meine Widerstandsfähigkeit stärken und was hilft mir aus der Krise?
(21:21 – 22:28) Genesen aber voller Ängste: Der Weg zu neuem Lebensmut ist schwer.
(22:28 – 23:44) Wenn der Krebs nicht heilbar ist: die unterschiedlichsten Reaktionen.
(23:44 – 28:08) Abschlussempfehlung: Welche Unterstützungsmöglichkeiten gibt es?
(28:08 – 29:34) Verabschiedung.
Lars [00:00:00] Herzlich Willkommen zu „Mein Krebsratgeber zum Hören“. Mein Name ist Lars Schmidtke und gemeinsam mit meinen Gästen sprechen wir offen und ehrlich über Krebs und das Leben mit Krebs. Hören Sie rein, wenn Sie persönliche Geschichten aber auch Expertenrat zum Umgang mit der Erkrankung erfahren möchten. Unser Podcast ist ein Podcast mit Betroffenen, für Betroffene.
Lars [00:00:24] Heute geht es um das Thema „Diagnose Krebs – Was macht das mit uns?“. Dazu möchte ich heute mit der Psychoonkologin Dr. Daniela Meger-David sprechen. Schön, dass Sie da sind, Frau Dr. Meger-David!
Frau Dr. Meger-David [00:00:37] Herzlichen Dank für die Einladung.
Lars [00:00:39] Frau Dr. Meger-David, jetzt ist meine Frage: was ist eine Psychoonkologin? Sagen Sie mal.
Frau Dr. Meger-David [00:00:46] Nun, eine Psychoonkologin ist eine relativ junge, interdisziplinäre Form der Psychotherapie und der Klinischen Psychologie und beschäftigt sich mit der seelischen Begleitung von Menschen mit einer Krebserkrankung.
Lars [00:01:00] Das ist so kurzgefasst? Wenn ich jetzt gar kein Betroffener bin und Sie auf der Straße beim Kaffee kennenlernen würde, würden Sie mir das genau so sagen?
Frau Dr. Meger-David [00:01:08] Würde ich Ihnen genau so sagen. Ich würde das vielleicht noch ein bisschen erweitern. Ich würde sagen, das kann auch die Angehörigen zum Beispiel einschließen, weil die auch oft Betroffene sind, im zweiten Schritt sozusagen. Ja, das würde ich Ihnen so erzählen.
Lars [00:01:20] Okay, dann werde ich jetzt ein bisschen persönlicher. Wie sind Sie denn Psychoonkologin geworden?
Frau Dr. Meger-David [00:01:27] Das hat sich schon sehr früh in meiner Ausbildung ergeben. Ich bin vom Beruf her eigentlich Gynäkologin, und da haben wir auch mit sehr vielen Krebserkrankungen zu tun. In der Klinik ist es halt so, dass in der Akutmedizin oft sehr wenig Zeit bleibt, um diese seelische Komponente der Patient:innen abzufangen.
Lars [00:01:50] Also das hat Sie interessiert. Es gab Patientinnen und Patienten in der Gynäkologie, in ihrem Job, und da gab es vielleicht eine Krebserkrankung, wo Sie gerne mehr Zeit gehabt hätten, und deswegen haben Sie das gemacht?
Dr. Meger-David [00:02:03] Ich hätte vor allen Dingen auch das nötige Rüstzeug gerne gehabt, weil wir Ärzte werden, zumindest in den Zeiten meiner Ausbildung, gar nicht drauf vorbereitet, wie man mit Menschen mit einer solchen Diagnose umgeht. Das muss jetzt nicht nur die Krebsdiagnose sein, es können auch andere schwerwiegende Diagnosen sein. Aber wie geht man eigentlich mit den Menschen um? Wie redet man mit ihnen? Wie bringt man denen die Diagnose bei?
Lars [00:02:26] Also hat Sie die praktische Erfahrung da hingeführt? Sie wollten eine Basis sein für ihre Patient:innen.
Frau Dr. Meger-David [00:02:38] Ja, ich wollte die gut, beziehungsweise bestmöglichst, betreuen.
Lars [00:02:43] Können Sie kurz sagen, womit sich die Psychoonkologie beschäftigt und was genau ihre Arbeit umfasst?
Frau Dr. Meger-David [00:02:49] Also meine Arbeit besteht darin, dass ich eine Ausbildung zur systemischen Beratung beziehungsweise Psychotherapie habe und noch eine fachgebundene Psychotherapie angeschlossen habe. Aber im Grunde geht es darum, den Menschen mit einer Krebserkrankung seelisch zu begleiten. Nicht jeder braucht das am Anfang bei einer Diagnose. Das kann zu jedem Zeitpunkt sein, bei einem Rezidiv oder wenn es sich chronifiziert. Zu jedem Zeitpunkt dieser Erkrankung kann man eine psychoonkologische Betreuung beziehungsweise Begleitung haben.
Lars [00:03:20] Ein Rezidiv, was ist das?
Frau Dr. Meger-David [00:03:22] Unter einem Rezidiv versteht man, wenn die Erkrankung wiederkommt.
Lars [00:03:27] Also, wenn ich Krebs hatte, es geschafft habe, und der Krebs dann zurückkommt.
Frau Dr. Meger-David [00:03:32] Genau.
Lars [00:03:33] Jeder von uns hofft natürlich, dass der Krebs an einem vorbeigeht und, dass man nie selbst betroffen ist. Aber manchmal kommt es dabei ganz anders und das eigene Leben würde plötzlich Kopf stehen. Nun ist meine Frage, Frau Dr Meger-David, wie unterscheidet sich bei Krebspatientinnen der Weg bis zum endgültigen Befund, beziehungsweise zur Diagnose, und was macht das mit der seelischen Situation?
Frau Dr. Meger-David [00:04:00] Nun, es gibt 2 Möglichkeiten wie sie damit konfrontiert werden. Zum einen kann das eine Zufallsdiagnose sein. In meinem Fachbereich zum Beispiel gehen sie mit einer Zyste am Eierstock in das Krankenhaus, werden operiert und in der Histologie, also in der feingeweblichen Untersuchung, findet sich dann eine krebsartige Veränderung, sodass sie auf einmal als junger, gesunder Mensch eine Krebserkrankung diagnostiziert bekommen.
Lars [00:04:25] Also eine Routineuntersuchung und dann heißt es „Wir haben da was gefunden“.
Frau Dr. Meger-David [00:04:30] Genau, das ist der eine Weg. Das ist sozusagen aus dem heiteren Leben heraus. Der andere Weg wäre, wenn Symptome auftreten, die unspezifisch sind. Das kann Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsabnahme oder Unwohlsein sein. Also so etwas, wo man nicht wirklich greifen kann, und wo man dann unter Umständen von einem Arzt zum anderen geht. Vielleicht sind es auch noch Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, irgendwelche Symptome, die nicht wirklich ganz offensichtlich sind und auf eine Erkrankung hinweisen. Letztendlich hat man dann eine Untersuchung und da kommt das dann heraus.
Lars [00:05:05] Also ein unglaublicher Leidensweg. Man geht von einem zum nächsten Arzt und dann heißt es „Wir haben was gefunden“ nach einem halben Jahr.
Frau Dr. Meger-David [00:05:13] So kann das sein, ja.
Lars [00:05:15] Und wo ist da der Unterschied? Bei der plötzlichen Routineuntersuchung stehe ich unter Schock, das ist das eine. Aber die Patient:innen mit dem Leidensweg, die sind doch bestimmt dann ganz froh, dass das jetzt das Ergebnis ist.
Frau Dr. Meger-David [00:05:31] Naja, froh würde ich nicht sagen.
Lars [00:05:32] Na ja, aber dass man jetzt weiß, dass man Krebs hat und, dass man sich das nicht einbildet.
Frau Dr. Meger-David [00:05:39] Ich glaube, man hofft ja bis zum Schluss, dass man nicht wirklich was Ernsthaftes hat. Natürlich ist es so, wenn Sie die plötzliche Diagnose einer Krebserkrankung bei sich haben, dass das dann ein großer Schock ist, ein krisenhafter Zustand. Der kann unter Umständen Minuten bis Tage dauern, manchmal sogar auch länger und man überlegt und googelt viel. Heutzutage schauen die Menschen immer wieder ins Internet, gucken nach den Symptomen, was kann das sein. Unter Umständen haben sie tatsächlich endlich eine Diagnose oder etwas dafür gefunden, was sie all die Zeit gespürt haben. Insofern kann man sagen, sie haben dann was schriftliches, für all das Leiden, was sie vorher hatten und was irgendwie nicht fassbar war.
Lars [00:06:29] Es gibt dann ja dieses Diagnosegespräch, das mit Sicherheit für die Patient:innen niederschmetternd und erschütternd ist. Ganz sicher fällt das Ärzten und Ärztinnen nicht leicht, das dann durchzuführen, aber was ist das Ziel eines Diagnosegesprächs und wie läuft es üblicherweise ab? Wenn Sie jetzt so ein Gespräch führen würden mit einem Patient oder einer Patientin? Wie fangen Sie da an?
Frau Dr. Meger-David [00:06:54] Also Routine ist es für uns nie. Es ist jedes Mal ein sehr ernstes Gespräch, das wir möglichst konstruktiv führen wollen. Prinzipiell ist das Ziel den Patienten und auch den Angehörigen, die Angehörigen, einerseits einmal über den Krankheitszustand aufzuklären, dann eine vertrauensvolle Beziehung herzustellen, Ängste abzubauen und natürlich auch eine konstruktive Grundlage für eine sinnvolle Kooperation und auch für die Therapie letztendlich zu schaffen.
Lars [00:07:27] Also der Patient oder die Patientin sitzt vor ihnen, eventuell noch der Ehemann, der beste Freund, die Mutter, der Vater?
Frau Dr. Meger-David [00:07:35] Genau. Es gibt einige Grundlagen vom Setting her, die von unserer Seite beachtet werden sollten. Selbstverständlich haben die Patient:innen jederzeit das Recht auf das Setting einzuwirken. Man sollte zum Beispiel eine ruhige, ungestörte Umgebung nehmen und keinen Raum, wo die Tür ständig auf und zu geht. Der Piepser sollte ausgestellt sein und Telefone sollten bestmöglich nicht klingeln. Es sollte eigentlich auch nicht sein, dass wenn noch eine zweite Person mit im Zimmer liegt, dass man da die Diagnose am Krankenbett hören muss. Man ist vielleicht gar nicht vorbereitet, man hat noch Schmerzen von der Operation, man ist nicht aufnahmefähig. Dann kommt oft noch das sprachliche Verständnis dazu. Jemand mit Migrationshintergrund zum Beispiel hat eine andere Auffassungsgabe. Es fängt dabei an, dass sie sich auf das Niveau des Patienten begeben sollten. Das heißt, wenn jemand im Bett liegt, sollte man sich anders setzen. Nicht auf das Bett des Patienten, denn das ist sein eigener Bereich, oft der kleinste Bereich im Krankenhaus, der nur für den Patienten ist, weil da ja auch keine Ruhe ist. Es geht also darum, dass man Ruhe haben sollte. Man sollte mit dem Patienten erst mal abfragen, wo er denn überhaupt steht, ob er sich schon Gedanken gemacht hat, worüber wir jetzt reden könnten. Natürlich auch, dass es einem leid tut und man bis zuletzt gehofft hat, dass vielleicht doch eine andere Diagnose rauskommt, aber man ihm jetzt doch leider mitteilen muss, dass das eben doch das ist und dann einfach immer beim Patienten bleiben. Es ist absolut in Ordnung, wenn der Patient anfängt zu weinen. Dann auch einfach bei ihm bleiben und die Situation aushalten.
Lars [00:09:19] Viele Patient:innen erleben bei diesem Erstgespräch zu ihrer Erkrankung einen sogenannten Schock würde ich sagen. Aber warum? Woher rührt das? Was ist das? Kann man es nicht fassen?
Frau Dr. Meger-David [00:09:36] Na ja, Schock ist nichts anderes als eine akute Belastungsreaktion, wo vorübergehend, meistens für ein paar Minuten bis einige Stunden, manchmal auch für einige Tage, durch ein belastendes Ereignis eine psychische Störung auftritt. So ist es nach der ICD-Diagnose definiert. Die psychische Störung tritt dabei bei einer bislang psychisch unauffälligen Person auf.
Lars [00:10:06] Wie lang kann das dauern?
Frau Dr. Meger-David [00:10:25] Das kann Minuten bis Stunden, wie gesagt bei manchen auch Tage, dauern und es legt sich dann meistens wieder. Es gibt verschiedene Reaktionsmuster, wo verschiedene Symptome auftreten können, die allerdings individuell unterschiedlich sind. Es kann zu Depressionen kommen, zu Ängsten, zu Verzweiflung und zu Überaktivität. Es kann auch zu mechanischen Handlungen, zu Nesteln oder Unruhegefühl, bis auch zu körperlichen Symptomen kommen. Wie das bei einem einzelnen Menschen auftritt, ist so unterschiedlich und individuell, wie jeder Mensch eben auch ist.
Lars [00:10:46] Wie geht es weiter nach dem Schock? Also wenn Sie sagen nach drei bis vier Tagen, ist dann die Realität wieder da?
Frau Dr. Meger-David [00:10:51] Es gibt da verschiedene Phasen. Die Ärztin Elisabeth Kübler-Ross und auch die Psychologin Verena Kast haben uns das wunderbar in verschiedene Phasen eingeteilt. Da gibt es die Phase 1 des „Nicht-Wahrhaben-Wollens“ der Erkrankung, wo man damit hadert, wo man glaubt, man ist verwechselt worden. Es kommt dann der Zorn, der Ärger, warum gerade ich, warum muss mir das jetzt in dieser Lebenssituation passieren. Die dritte Phase ist das „Verhandeln“. Beim Verhandeln akzeptiert man zwar langsam, aber denkt, wenn ich das und das mache, die Therapie oder eine andere Therapie, dann könnte ich doch nochmal ganz gut aussteigen. Dabei ist es nicht so, dass es direkt von einer Phase in die andere weitergehen muss. Es gibt auch noch eine Phase der Depression. Menschen, die nur Minuten oder Tage drinnen bleiben, die schaffen das meistens ganz gut. Je länger man aber nach so einer traumatischen Erfahrung in diesem Schockzustand verharrt, desto eher kann das auch zu Veränderungen am Gehirn, also in der Organstruktur, führen und umso schwieriger ist es dann da wieder rauszukommen.
Lars [00:12:12] Hört sich so ein bisschen wie bleibende Schäden an.
Frau Dr. Meger-David [00:12:13] Nicht bleibende Schäden in dem Sinne, aber dass sich dieses depressive oder auch dieses traurige in gewisser Weise eingräbt, wenn man es ein bisschen lapidar oder umgangssprachlich ausdrückt.
Lars [00:12:29] Das ist quasi eine kurzzeitige, oder dann auch dauerhafte, Veränderung der Psyche. Kann man das so sagen?
Frau Dr. Meger-David [00:12:34] Es kann durchaus sein, dass Sie da nicht mehr von alleine rauskommen.
Lars [00:12:38] Was mache ich dagegen?
Frau Dr. Meger-David [00:12:40] Dann würden Sie eine psychologische oder seelische Begleitung brauchen. Und ja, ich denke, dann ist die Psychoonkologie auch gefragt.
Lars [00:12:50] Dann komme ich quasi zu Ihnen.
Frau Dr. Meger-David [00:12:51] Dann würden Sie kommen, ja.
Lars [00:12:53] Und was raten Sie mir dann?
Frau Dr. Meger-David [00:12:54] Naja, es gibt verschiedenste Möglichkeiten. Es geht darum, dass man schaut, was früher geholfen hat. Also in Situationen, wo man auch schon mal in einer Krise war, die jetzt nicht so dramatisch, so Angst besetzt, wie die jetzige Krebsdiagnose war. Aber man hat im Laufe seines Lebens immer wieder Situationen, wo man sich auch schon mal gedacht hat, also das brauche ich jetzt nicht, und trotzdem hat man es alleine geschafft. Jeder Mensch hat andere Möglichkeiten damit umzugehen und dem einen hilft zum Beispiel ein Waldspaziergang, dem nächsten hilft die Musik, wenn er ins Theater, ins Konzert geht. Andere mögen Gespräche führen, und ja, es ist ganz unterschiedlich, wo jeder seine Stärken hat. Es geht um Ressourcen. Ressourcen ist sozusagen das Zauberwort. Das sind Kraftquellen, die wir in uns tragen und haben, die aber durch diese Diagnose der Krebserkrankung in dem Moment überlagert sind, sodass man da alleine nicht darauf kommt.
Lars [00:14:02] Wenn ich jetzt Krebspatient bin und verheiratet bin, eine Familie habe. Was macht das mit meinem Umfeld, meine Krebserkrankung? Das kann und wird sich auswirken auf den seelischen Zustand meiner Verwandten, meiner Liebsten. Die bringe ich dann mit zu Ihnen, oder?
Frau Dr. Meger-David [00:14:26] Ja, das ist durchaus möglich. Es gibt Menschen, die trauen sich nicht über ihre Erkrankung mit ihren Angehörigen zu sprechen, weil sie Sorge haben, dass sie dem nicht gewachsen sind, wie die Reaktionen zum Beispiel sind. Oder es sind sehr junge Kinder da. Da besteht durchaus die Möglichkeit, dass man dann sagt, man macht ein gemeinsames Gespräch mit dem Partner oder auch mit den Kindern in einer geschützten und vor allen Dingen auch neutralen Umgebung, wo so ein Gespräch auch stattfinden kann.
Lars [00:14:59] Eine Krebsdiagnose ist sehr belastend, das ist gar keine Frage. Aber dennoch wünschen sich die Betroffenen und ihre Familien ein Stück weit Normalität zurück. Ist das Ihrer Erfahrung nach möglich? Kann ich wieder ganz normal leben?
Frau Dr. Meger-David [00:15:15] Normalität ist immer relativ, aber das Ziel ist schon, dass man dahingehend zurückkehrt. Zumindest zu dem psychischen Zustand, in dem man vorher war, und dass man dann dadurch seine Lebensqualität wiedererlangt. Das Mindset ist auch so ein Begriff, von Hal Elrod wurde das damals auch geprägt, die sogenannte „Wunderformel“, der unerschütterliche Glaube und ein unermüdlicher Einsatz führen zu dem gewünschten Ergebnis. Das heißt also, Menschen, die positiv mit so einer Diagnose umgehen und sich auch positiv damit beschäftigen, mitunter auch mit anderen Fragen, die sich dadurch ergeben wie der Sinn des Lebens, die auch Ziele formulieren, die sie selber erreichen wollen, da hat sich herausgestellt, dass die im Zuge dessen oft mit einer Krebserkrankung besser zurechtkommen und da auch positiver gestimmt rangehen.
Lars [00:16:24] Was mache ich oder was ist zu tun, wenn die Krebserkrankung für andere sichtbar wird und ich dann plötzlich behandelt werde wie ein rohes Ei? Also zum Beispiel mir gehen die Haare aus durch die Therapie und die Nachbarn sehen das, die Freunde, und ich bin augenscheinlich jetzt ja krank, obwohl ich mich mit und ohne Haare dann in der Therapie gleich gefühlt habe. Wie gehe ich damit um?
Frau Dr. Meger-David [00:16:48] Je normaler, desto besser, würde ich sagen. Oft ist es so, dass dann die Angehörigen, oder gerade auch im weiteren Umfeld die Bekannten, meistens eigene Unsicherheiten haben, weil sie nicht wissen, wie sollen sie jetzt mit demjenigen oder mit derjenigen umgehen. Je normaler und natürlicher ich als Betroffener auf diese Menschen zugehe, desto mehr kann ich ihnen die Ängste da im Umgang mit mir eigentlich nehmen.
Lars [00:17:12] Beispiel, ich als Krebspatient gehe auf meine Freunde auch mal ohne Perücke zu und sage, es ist jetzt gerade so. Also ich bin da der aktive Part oder nehme Ihnen quasi die Angst?
Frau Dr. Meger-David [00:17:26] Wenn man das als Persönlichkeit schafft, kann das durchaus ein Weg sein. Das muss jetzt nicht für jeden der Weg sein. Ich habe verschiedenste Patient:innen, die das mitunter auch ganz anders zelebriert haben. Wenn Sie gerade den Haarverlust angesprochen haben, dass eben dann zum Beispiel eine Freundin oder der Partner einfach die Haare abrasiert, dass das dann sozusagen so ein offizielles Zeichen ist „Jetzt werden Sie mir ausfallen, ich tue aktiv etwas“ oder andere haben sich eine Cappy Sammlung zugelegt.
Es ist ganz unterschiedlich, wie man damit umgeht. Aber je offener und je klarer man selber ist, desto einfacher ist es im Umgang und bringt einem auch die Normalität wieder zurück.
Lars [00:18:13] Ich habe es quasi in der Hand mein Umfeld zu sensibilisieren dafür?
Frau Dr. Meger-David [00:18:18] Im weitesten ja.
Lars [00:18:20] Dann sind wir auch so ein bisschen wieder bei der Resilienz. Es gibt ja die heilbaren und unheilbaren Krebserkrankungen und darüber hinaus können auch überwundene Krebserkrankungen rezidivieren, also quasi zurückkommen, zurückkehren. Deshalb würde ich gerne noch mal auf das Thema Resilienz zurückkommen, dass die psychische Widerstandskraft beschreibt, diese Resilienz. Was hat es mit der menschlichen Resilienz auf sich und ist sie beeinflussbar? Kann ich auf sie einwirken, kann ich sie stark machen?
Frau Dr. Meger-David [00:18:50] In der Tat, das gibt es. Da gibt es eine Studie, eine sehr schöne Studienuntersuchung mit ich glaube 22 Studien, die untersucht worden sind. Das ist auch veröffentlicht worden in dem Ärzteblatt und man hat festgestellt, dass eben unterschiedliche Maßnahmen dazu führen, dass die Widerstandsfähigkeit dadurch gesteigert werden kann. Prinzipiell geht es darum, dass man Ressourcen sucht, also Kraftquellen, sei es zum Beispiel etwas, was schon in anderen krisenhaften Situationen einem Menschen geholfen hat diese besser durchzustehen.
Lars [00:19:33] Also wenn ich schon mal was schlimmes hatte, wie einen schlimmen Autounfall, und mir ist nichts passiert oder mein Bein war gebrochen oder sagen wir mal so, ich hatte ganz viele Knochenbrüche und habe das aber innerhalb eines Jahres komplett wieder hinbekommen.
Frau Dr. Meger-David [00:19:49] Genau. Also das ist zum Beispiel schon eher extrem, aber es gibt ja manchmal so Sachen, sei es früher, wenn man im Studium war, oder man hat irgendwie eine Einstellungsprüfung oder irgendetwas. Fangen wir mal eher mit was Kleinerem an, das andere ist jetzt schon sehr krass finde ich mit den Kochenbrüchen. Aber wie gesagt, sowas eher wo man eben denkt, das muss ich jetzt irgendwie bestehen, das ist für mich jetzt eine Krise schon irgendwie auch. Oder es gibt Reibereien mit dem Partner und es steht vielleicht eine Trennung zuvor. Was hat mir damals geholfen? Oft ist es so, dass wenn sich das eben doch wieder hinbiegt, dass die Menschen dann aufgrund ihrer Erfahrung wissen, was tut mir eigentlich gut. Im Rahmen einer Krebserkrankung kann das oft sein, dass das total verschütt gegangen ist. Also dieses was hat mir früher gutgetan, was habe ich für Kraftquellen in mir, in meiner Umgebung. Das kann ja auch ganz unterschiedlich sein. Der eine geht gerne ins Konzert, ins Theater und kann aus der Musik ganz viel herausholen und anderen nutzt es oder hilft es wiederum, wenn sie mit Freunden diskutieren oder lange Wanderungen unternehmen.
Lars [00:20:52] Der lange Waldspaziergang oder der Spaziergang am Meer?
Frau Dr. Meger-David [00:20:56] Genau oder man macht eine Auszeit, ja, man fährt einfach wohin mit einem lieben Menschen und sagt ich gehe jetzt in die Berge oder sowas oder ich gehe ins Kloster und mache eine Woche Stille. Also es ist ganz unterschiedlich und es muss auch nicht Großes sein. Es kann auch das Gespräch mit einer ganz engen Freundin sein, das einem gut tut. Und darum geht es eigentlich, dass man diese Ressourcen wieder hervorbringt im gemeinsamen Arbeiten.