Folge 2: Diagnose Krebs – ein Moment wie kein anderer

Diagnose Krebs – ein Moment wie kein anderer

Die Diagnose Multiples Myelom ist für viele Patient:innen ein Schock. Wie ihre Krankengeschichte begann und welche Gedanken und Gefühle sich mit der Diagnose breitgemacht haben, erzählen uns die Betroffenen Thomas und Jasmin aus erster Hand. Unterstützt werden sie von der Psychoonkologin Dr. Daniela Meger-David, die uns wichtige Einblicke und Rat zum Umgang mit der Krebsdiagnose gibt.
(EM-136117)

Teilnehmer:innen

Portrait Dr. Daniela Meger-David - Expertin für Psychoonkologie
Frau Dr. med. univ. Daniela Meger-David

Der Weg von Frau Dr. med. Meger-David führte über die Gynäkologie hin zur Psychoonkologie. Nach ihrem Studium der Humanmedizin und ihrer anschließenden Promotion in Wien, begann sie ihre ärztliche Tätigkeit im Bereich der Frauenheilkunde und kam dabei mit zahlreichen onkologischen Patientenfällen in Kontakt. Sie selbst sagt heute, dass sie gern schon früher in ihrer Ausbildung den richtigen Umgang mit schweren Diagnosen erlernt hätte. Neben ihrer langjährigen Tätigkeit als Oberärztin verfügt sie mittlerweile über zahlreiche Zusatzausbildungen in Bereichen wie der Psychoonkologie, der systemischen Familientherapie sowie der fachgebundenen Psychotherapie (i.A.). Mit ihrer Tätigkeit als Psychoonkologin möchte sie ihren Patient:innen helfen, einen eigenen Weg im Umgang mit der Erkrankung zu finden. Im Rahmen des Podcasts teilt sie wertvolle Tipps aus ihrer langjährigen Erfahrung zum Umgang mit Krebs und klärt psychologische Hintergründe näher auf.

Über den Podcast

Inhaltsverzeichnis

(00:00 – 01:26) Hintergrundinformationen zur Erkrankung Multiples Myelom und Vorstellung der Gäst:innen.
(01:26 – 04:59) Thomas vor der Diagnose Multiples Myelom: Was waren die ersten Symptome und wann wurde die Erkrankung festgestellt?
(04:59 – 18:38) Jasmin vor der Diagnose Multiples Myelom: Ein langer Weg von den ersten Symptomen bis zur Diagnose.
(18:38 – 20:15) Thomas nach der Diagnose: Sprachlosigkeit und Schockzustand.
(20:15 – 21:28) Diagnosegespräch: Psychoonkologin Dr. Daniela Meger-David erklärt die unterschiedlichen Reaktionen.
(21:28 – 22:46) Resilienz: Wer kann wie mit Krisensituationen umgehen?
(22:46 – 24:40) Fahrplan mit Aufwärtstrend – wie es für Thomas nach der Diagnose weiterging.
(24:40 – 26:09) Die richtige Unterstützung: Thomas und Jasmin sprechen von ihrem Felsen in der Brandung.
(26:09 – 27:00) Jasmin lernt den Umgang mit ihrer Angst vor der Zukunft.
(27:00 – 28:51) Von „unheilbar“ zur Therapie: Das Gefühl, im falschen Film zu sein.
(28:51 – 29:55) Plötzlich ist alles anders: Von der Lebensplanung zum Momentbewusstsein.
(29:55 – 32:43) Wie verändern sich Patient:innen nach der Diagnosestellung? Fünf Phasen des Reaktionsverhaltens.
(32:43 – 33:35) Angst vor dem Rezidiv: Warum seelische Unterstützung wichtig ist.
(33:35 – 37:50) Thomas‘ Leben während der Therapie: Zwischen Zorn, Belastung und Optimismus.
(37:50 – 41:28) Jasmins Leben während der Therapie: Von der Trauer zur Akzeptanz.
(41:28 – 43:52) Thomas‘ Ratschläge für Neudiagnostizierte: vor allem Eigeninitiative.
(43:52 – 47:42) Thomas und Jasmins Suche und positive Erfahrungen mit Selbsthilfegruppen.
(47:42 – 50:53) Das Leben geht trotzdem weiter – Jasmins Ratschläge für Neudiagnostizierte.
(50:53 – 53:40) Gefühle zulassen: Abschließende Tipps von Dr. Daniela Meger-David.
(53:40 – 54:48) Fazit, Dank und Verabschiedung.

Transkript Folge 2:
Diagnose Krebs – ein Moment wie kein anderer

Lars [00:00:00] Herzlich Willkommen zu „Mein Krebsratgeber zum Hören“. Mein Name ist Lars Schmidtke und gemeinsam mit meinen Gästen sprechen wir offen und ehrlich über Krebs und das Leben mit Krebs. Hören Sie rein, wenn sie persönliche Geschichten, aber auch Expertenrat zum Umgang mit der Erkrankung erfahren möchten. Unser Podcast ist ein Podcast mit Betroffenen, für Betroffene.

Lars [00:00:25] Heute geht es in unserem Podcast um das Thema „Diagnose Multiples Myelom - ein Moment wie kein anderer“. Das Multiple Myelom ist eine Krebserkrankung des blutbildenden Systems und wird umgangssprachlich auch als Knochenmarkkrebs bezeichnet. Wir haben heute hier für diesen Podcast zwei Betroffene eingeladen, Thomas und Jasmin, die ihren lebensverändernden Moment mit uns teilen möchten, und zwar als sie erfahren haben, dass sie Krebs haben. Ebenfalls begrüße ich hier die Psychoonkologin Frau Dr. Daniela Meger-David. Schön, dass sie alle dabei sind. Ich kann auch mal als Hintergrundinformation folgendes sagen. Die Erkrankung Multiples Myelom ist relativ unbekannt, da sie so selten vorkommt. Das Multiple Myelom tritt am häufigsten bei Menschen im Alter zwischen 70 und 79 Jahren auf und vor dem 40 bis 45 Lebensjahr wird das Multiple Myelom eher sehr selten beobachtet. Nun geht meine allererste Frage heute an einen Betroffenen, und zwar war er Mitte 50, als er die Diagnose Multiple erhalten hat, und zwar Thomas. Thomas, haben Sie bemerkt, dass etwas mit ihrem Körper nicht stimmt? Wie war das?

Thomas [00:01:44] Also im Laufe der Jahre hatte ich immer wieder neue Infekte, jetzt nichts dramatisches, aber so rückblickend gesehen, muss ich sagen, dass es da eigentlich schon was mit diesen Multiplen Myelom zu tun haben musste. Ich hatte oft Magenkrämpfe, und dann hatte ich Nebenhöhlenentzündungen. Mein Hausarzt sagte mir daraufhin auch nur, dass wäre ein Wandervirus, der vom Magen sozusagen in die Nebenhöhlen wandert und, ja, da kann man halt nichts machen.

Lars [00:02:14] Und wann gab es die Diagnose?

Thomas [00:02:16] Also die Diagnose, das war auch sehr untypisch. Ich hatte eine Art Hexenschuss, bin damit dann zum Orthopäden gegangen und der Orthopäde hat mich dann zum MRT geschickt…

Lars [00:02:30] Als Erklärung für unsere Hörer:innen: MRT ist die Abkürzung, und das lese ich jetzt hier auch mal ab, für Magnetresonanztomographie oder auch Kernspintomographie und gehört zu den bildgebenden Untersuchungsverfahren.

Thomas [00:02:43] …weil er hatte einen Verdacht auf einen Bandscheibenvorfall gehabt und meinte das müsste erstmal überprüft werden. Ja dann wie gesagt habe ich durch einen glücklichen Zufall noch relativ schnell einen Termin bekommen für das MRT und da wurde dann diagnostiziert Verdacht auf Multiples Myelom. Das hat mir der Orthopäde so aber gar nicht gesagt.

Lars [00:03:06] Sondern? Was hat er gesagt?

Thomas [00:03:08] Auf diesem Arztbrief stand dann, ich hatte das schon gesehen, kurz bevor er ins Zimmer kam, das war dann schon mit Edding angemarkert, „Multiples Myelom“. Ich wusste natürlich überhaupt nicht, was es ist und er sagte dann zu mir, jetzt der Orthopäde, vor 20 Jahren wäre es eine richtig schlimme Erkrankung und heutzutage nehmen Sie da ein paar Tabletten und dann geht das schon wieder alles. So hat er mich dann entlassen und mit der Aufforderung in den nächsten Tagen bei meinem Hausarzt ein großes Blutbild machen zu lassen. So wurde das dann irgendwie diagnostiziert.

Lars [00:03:40] Und dann stand es fest nach diesem Blutbild?

Thomas [00:03:43] Nee, nee, nee, das stand da nicht fest. Mein Nachbar ist Arzt und dem habe ich das gezeigt und er meinte, oh Gott, das muss man jetzt sofort abklären lassen. Daraufhin bin ich dann halt in eine onkologische Praxis mit meiner Frau gefahren, wo Blut abgenommen wurde. Das war am Freitag, und dann hatten wir am darauffolgenden Dienstag das Gespräch mit dem Onkologen.

Lars [00:04:12] Und er hat dann die Diagnose gestellt?

Thomas [00:04:15] Ja, der Onkologe sagt dann noch zu mir, wenn er jetzt irgendwas Schlimmes finden würde, würde er mich auf jeden Fall anrufen. Also habe ich am Montagabend hier gezittert und gebibbert, die Praxis hatte bis 18:00 Uhr geöffnet, und er hat aber nicht angerufen. Ja, und dann sind wir wie gesagt am Dienstag, das war der 4. Februar, was auch noch der Tag des Krebses war, da gab es dann die Diagnose. Er sagte noch, es wäre jetzt nicht lebensbedrohlich, deswegen hätte er sich nicht gemeldet, aber ich hätte eine bösartige Erkrankung, die eigentlich unheilbar sei.

Lars [00:04:53] Und somit stand die Diagnose dann fest.

Thomas [00:04:55] Dann stand die Diagnose sozusagen fest, genau.

Lars [00:04:59] Jasmin, ich hole Sie mal dazu.

Jasmin [00:05:01] Ja, hallo.

Lars [00:05:03] Jasmin, Sie sind erst 37 Jahre alt und gehören eher zu der jüngeren Altersgruppe, wo es ganz, ganz, ganz, ganz selten auftritt, das Multiple Myelom. Wie war es bei Ihnen?

Jasmin [00:05:13] Bei mir ging es so los: ich muss dazu erst mal sagen, dass ich 10 Monate früher einen neuen Job angefangen habe im Büro und ich generell auch in der Vergangenheit schon immer ein bisschen Probleme mit Rückenschmerzen hatte. Ich habe in dem neuen Büro zwei Bildschirme gehabt, was ich vorher nie hatte, und irgendwann fing es mir an in der Schulter zu ziehen, in der linken Schulter. Das fing erst mit so einem leichten Ziehen an und es wurde nicht weniger und wurde nicht weniger. Ich habe das auf diese Bildschirmarbeit geschoben und habe dann gedacht, okay, das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass ich meinen Körper vielleicht immer anders bewege oder anders drehe oder anders sitze und da es nicht besser wurde, bin ich irgendwann zum Orthopäden gegangen. Der Orthopäde, der sieht natürlich eine Mitte dreißigjährige Frau, die eine verspannte Schulter hat und sagt „Machen Sie Sport, machen Sie Physio“ und das habe ich dann auch gemacht. Das war im März letzten Jahres. Ich bin dann zur Physiotherapie gegangen und es wurde immer schlimmer. Also ich sage mal von jedem Mal, was ich da war, wurde es immer schlimmer.

Lars [00:06:27] Also trotz der ganzen Aktivitäten und dieses Arbeiten dagegen ist es immer schlimmer geworden?

Jasmin [00:06:32] Ja, genau, also normalerweise kennt man das ja, wenn man sich bewegt bei Rückenschmerzen, dass es dann ein bisschen besser wird. Und bei mir war es so, dass es jedes Mal immer schlimmer wurde. Es wurde schon fast täglich schlimmer und es war dann nicht nur in der Schulter, sondern wanderte weiter, ich sage mal in den Brustwirbelbereich. Da saß sogar der Physiotherapeut vor mir und hat gesagt, er weiß gar nicht mehr was er mit mir machen soll, da es einfach nicht besser wurde und er auch gar nicht mehr wusste, wo er da ansetzen soll. Ich war dann zunehmend verzweifelt, weil ich einen permanenten Schmerz hatte und habe dann gedacht, okay, jetzt gehst du zu einem anderen Orthopäden, bin dann zu Orthopäde Nummer 2 gegangen und der hat gesagt, oh, sie haben wahrscheinlich Wirbel blockiert, haben eine Wirbelblockade. Er hat mich dann mühevoll auf den Bauch gelegt, auf die Liege, und versucht mühevoll mich einzurenken mit seinem ganzen Körpergewicht. Wenn man jetzt im Nachhinein darüber nachdenkt, was er da gemacht hat… Nun ja… und hat dann gesagt, er kriegt die Wirbel nicht eingerenkt und er hatte auch zeitweise gedacht, er hat es geschafft und es müsste mir am nächsten Tag besser gehen und wenn es mir nicht besser geht, dann soll ich doch wiederkommen. Am nächsten Tag wurde es viel schlimmer.

Lars [00:07:46] Was für einen Zeitraum war das jetzt insgesamt? Also von den ersten Symptomen bis jetzt zum zweiten Orthopäden?

Jasmin [00:07:52] 2 Monate.

Lars [00:07:54] 2 Monate, mhm.

Jasmin [00:07:55] Ungefähr genau. Ich bin eben immer weiter damit rumgelaufen. Ich habe mich über Wasser gehalten mit Schmerzmitteln, habe immer selber versucht noch spazieren zu gehen, mal schwimmen zu gehen, wie man das so kennt, eben mit Rückenschmerzen oder, dass man denkt man hat eine Blockade. Irgendwann habe ich gedacht, wahrscheinlich habe ich einen Bandscheibenvorfall und müsste mal geröntgt werden. Bis zu dem Zeitpunkt hat auch noch keiner der beiden Orthopäden mal ein MRT oder sowas angeordnet, sondern mich eben immer mit „Naja, Blockaden oder Verspannungen“ wieder nach Hause geschickt sozusagen.

Lars [00:08:29] Aber die Schmerzen blieben?

Jasmin [00:08:30] Die Schmerzen blieben und wurden eben immer schlimmer. Es wurde so schlimm irgendwann, dass ich nur noch in einer Position auf dem Sofa sitzen konnte. Ich konnte, wenn ich Glück hatte, zwei bis drei Stunden schlafen nachts, weil ich solche Schmerzen hatte. Ich habe Schmerzcocktails zu mir genommen aus allen möglichen Schmerzmitteln, damit ich überhaupt mal ein bis zwei Stunden schlafen konnte. Da habe ich dann gedacht, so geht es nicht weiter. Ich bin ja trotzdem auch noch arbeiten gegangen und habe dann gedacht so geht es nicht weiter. Ich muss zu Orthopäde Nummer 3, wenn die ersten beiden mir nicht helfen konnten, bin dann zum dritten Orthopäden gegangen, habe denen das eben auch nochmal alles erzählt und erklärt und auch der sagte zu mir „Naja, wahrscheinlich sind Sie verspannt oder Blockaden im Rücken, aber wir können ja mal ein Röntgenbild machen“. Dann hat er mich geröntgt und man muss ja dazu sagen, dass man auf den Röntgenbildern bei weitem nicht das sieht, was man im MRT sieht. Die Röntgenbilder kamen zurück und der Orthopäde sagte dann zu mir „Mensch, Sie haben eine wunderschöne Wirbelsäule, also daran kann es schon mal nicht liegen“. Dann bin ich bei dem Orthopäden eigentlich wieder ohne irgendwelche Befunde raus und dann ging es relativ schnell, also nach diesem Termin, innerhalb von ich sage mal ein bis zwei Wochen, fing es an, dass bei mir unter der Brust auf einmal mein Körper taub wurde.

Lars [00:09:58] Ein Taubheitsgefühl.

Jasmin [00:09:59] Richtig, ein Taubheitsgefühl. So ein Taubheitsgefühl, ich sage mal der Haut, und erst so leicht, aber es wurde immer schlimmer und dazu kam, da ich dieses Taubheitsgefühl hatte, dass mein Gangbild sich auch verändert hat. Ich wurde immer unsicherer auf den Beinen, so ein bisschen, als wenn man wie auf Wolken oder wie auf Eiern geht. Und dann kam eine Situation, da wollte ich mir bei uns zu Hause im Flur die Schuhe anziehen, so wie man sich ganz normal immer die Schuhe anzieht. Ich habe da nichts verändert und bin hingefallen dabei.

Lars [00:10:34] Also quasi vom Stuhl gefallen.

Jasmin [00:10:35] Na, ich habe die mir so im Stehen angezogen und bin dann einfach umgekippt und konnte mich nicht mehr halten, weil ich kein sicheres Gefühl und kein richtiges Gleichgewichtsgefühl mehr für meinen Körper hatte und zusätzlich eben dieses Taubheitsgefühl. Ich bin dann zu demselben Orthopäden nochmal hingefahren. Dazu muss man sagen, es begann auch gerade die Corona Zeit und man konnte nicht einfach so ohne Termin zum Orthopäden gehen. Ich bin da aber einfach hingegangen, weil ich so verzweifelt war, weil ich wusste, irgendetwas stimmt hier nicht und irgendwas läuft mit meinem Körper hier gerade völlig aus dem Ruder.

Lars [00:11:07] Sie wollten es einfach wissen. Was steckt dahinter, was habe ich.

Jasmin [00:11:11] Ja, genau. Also man weiß ja schon, wenn irgendwo was taub wird, kann schon mal irgendwas nicht stimmen. Ich bin dann trotzdem zu diesem Orthopäden, habe mich dann nicht abwimmeln lassen, habe gesagt ich will unbedingt zu dem Arzt, weil irgendwas stimmt hier nicht, und habe heulend vor dem gestanden und ihm gesagt, dass mein halber Körper taub ist, helfen Sie mir bitte. Der saß vor mir und hat gesagt, es tue ihm leid, aber er kann mir nicht mehr helfen und sagt, dann müsse ich eben in die Notaufnahme.

Lars [00:11:39] Und das haben Sie gemacht.

Jasmin [00:11:40] Genau. Der Orthopäde ist im gleichen Gebäude gewesen wie ein Krankenhaus, also nicht das Krankenhaus, wo ich behandelt wurde, sondern generell ein Krankenhaus hier in der Umgebung. Er hat gesagt, dann muss ich da wohl hin und hat mir eine Überweisung gegeben und dann bin ich direkt rüber in die Notaufnahme gegangen und wurde von einer Neurologin begutachtet. Ich muss immer noch sagen, bis zu dem Zeitpunkt, es war dann schon Ende Juli, Anfang August, bis zu dem Zeitpunkt war ich noch nicht im MRT. Die Neurologin hat dann gesagt „Naja, so wie es aussieht, ihre Funktionen sind soweit alle in Ordnung“. Die testen immer alles auf Bandscheibe dann. „Ich sehe Sie nicht als Notfall, aber ich würde sagen, dass Sie mal in ein MRT gehen“ und hat mir das dann aufgeschrieben für meinen Hausarzt, eben eine Empfehlung, dass ich ins MRT gehen soll. Dann bin ich da auch wieder entlassen worden und hatte erst eine Woche später bei meiner Hausärztin einen Termin.

Lars [00:12:41] Damit die dann das MRT in Auftrag gibt?

Jasmin [00:12:43] Richtig, genau. Und diese eine Woche, das war mir die schlimmste Woche überhaupt. Jeder Tag war einfach nur der Horror, eben weil ich nach wie vor diese permanenten, heftigen Schmerzen hatte. Es sind wirklich Schmerzen gewesen, die habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehabt. Dann eben mein Körper, der zunehmend immer tauber wurde, ich kaum noch laufen konnte. Ich bin dann zu der Hausärztin und habe auch da gesessen, nur noch untertrieben und habe gesagt ich weiß nicht was hier los ist - bitte helfen Sie mir. Die hat dann, ich sage mal das war meine Retterin in der Not, den Notfall erkannt und hat sofort ein Notfall-MRT angeordnet für den nächsten Morgen. Am nächsten Morgen bin ich dann um 07:30 Uhr ins Notfall-MRT gekommen, und ja, MRT eben wie man das kennt, bin dann aus dem MRT raus, war dann im Warteraum und normalerweise bekommen ja alle Menschen ihre CD mit und dann wird gesagt, gehen sie damit wieder zur Hausärztin irgendwann. Bei mir war das so, dass die Tür aufging und der Radiologe in der Tür stand und gesagt hat „Frau Langer, kommen Sie bitte mal durch. Kommen Sie bitte mal zu mir“ und ja, da wusste ich schon, okay, der hat wahrscheinlich nicht so nette Nachrichten. Da bin ich zu ihm gegangen und er hat mir dann ganz komische Fragen gestellt, sowas wie schwitzen Sie oft nachts, haben Sie rote Flecken am Körper und ich war da schon total geschockt. Ich sage mal ab da begann schon mein Schock, weil ich gesagt habe, nein, alles in Ordnung bei mir nur eben bis auf die Schmerzen und das Taubheitsgefühl und er sagte dann „Wir haben bei Ihnen Weichteilgewebe in der Wirbelsäule gefunden. Fahren Sie jetzt bitte nicht nach Hause, sondern fahren Sie direkt zu Ihrer Hausärztin. Die bespricht alles weitere mit ihnen“.

Lars [00:14:28] Also da gab es noch keine Diagnose.

Jasmin [00:14:30] Nein, keine Diagnose das war ja eben, ich sage mal in Anführungsstrichen, nur der Radiologe, der in dem Sinne auch keine Diagnose stellen darf. Der hat auch nicht von Tumor, Krebs oder irgendetwas gesprochen, sondern nur von Weichteilgewebe und es könnte auch was Entzündliches sein.

Lars [00:14:48] Dann ging es zurück zur Hausärztin.

Jasmin [00:14:50] Genau, mit dieser Information bin ich dann zurück zur Hausärztin. Ich habe mir auf diesem Weg natürlich alles ausgemalt in meinem Kopf, was nur sein kann. Die Hausärztin kam nicht rein - die hat gesagt, wenn Frau Langer kommt, die soll bitte sofort durchkommen zu mir. Ich konnte also direkt durchlaufen, habe bei ihr gesessen, und auch die sprach vom Weichteilgewebe und sagte zu mir „Frau Langer, hier ist der Befund. Lesen Sie sich den bitte jetzt nicht durch, das macht sie nur verrückt. Wir bitten Sie nach Hause zu fahren, sich eine Tasche zu packen und direkt in die Uniklinik zu fahren“.

Lars [00:15:24] Sie sind bei der Hausärztin gelandet und sie hat dann quasi gesagt „Beruhigen Sie sich erstmal und packen Sie die Tasche. Es geht jetzt weiter in die Uniklinik“. So und da sind wir jetzt?

Jasmin [00:15:34] Genau, richtig.

Lars [00:15:35] Was ist da passiert in der Uniklinik?

Jasmin [00:15:36] Als ich in der Uniklinik angekommen bin, in der Notaufnahme - man muss ja erst mal durch die Notaufnahme durch - waren die sich nicht sicher, ob ich jetzt ein Fall für die Onkologie bin oder einen Fall für die Neurochirurgie. Die hatten auch die aktuellen MRT-Aufnahmen und haben dann gesagt, okay, das ist erstmal ein Fall für die Neurochirurgie, weil zu dem Zeitpunkt wusste man ja nur, es ist Tumorgewebe in der Wirbelsäule, aber man wusste nicht welcher Tumor oder welcher Art es ist.

Lars [00:16:05] Mhm, das sollte man jetzt herausfinden bei dieser OP, das was jetzt noch kommt.

Jasmin [00:16:11] Genau richtig. Ich wurde dann in mein Zimmer gebracht und am selben Tag wurde ich noch operiert, weil die eben gesagt haben, es ist so kritisch, weil dieses Tumorgewebe meinen Spinalkanal abgequetscht hat, dadurch auch das Taubheitsgefühl, und die Gefahr bestand, dass ich querschnittsgelähmt werde. Ich durfte mich ab dem Zeitpunkt auch nicht mehr bewegen. Also die haben mich quasi ins Bett gelegt und haben mir verboten das Bett zu verlassen und selbst wenn ich meine Notdurft hatte…

Lars [00:16:38] Nur zu deinem Besten?

Jasmin [00:16:39] Genau. …musste ich Bescheid sagen, weil eben die Gefahr zu groß gewesen wäre, dass ich noch mehr Querschnittssymptomatiken bekomme. Ich wurde dann am selben Tag noch notoperiert und dann, klar, wacht man auf aus der Narkose und kommt wieder zu sich und irgendwann kommen die Oberärzte und es dauert dann auch eine Weile bis man überhaupt eine Diagnose bekommt.

Lars [00:17:05] Gut also, das heißt, Sie wurden wach am nächsten Tag und dann kam die Oberärzte, die standen am Bett, und dann wurde gesagt, was los ist.

Jasmin [00:17:12] Dann wurde gesagt, dass ein Großteil von diesem Tumorgewebe entfernt wurde und ob ich eben diese Taubheit noch spüre. Da muss ich sagen, dass nach der OP diese Taubheit sofort weg war, weil mir eben dieser Druck vom Spinalkanal genommen wurde. Aber die Diagnose hatte ich noch nicht. Es hat fünf Tage gedauert, bis das ausgewertet war. Das heißt, ich lag fünf Tage lang in diesem Zimmer und habe darauf gewartet, was ich eigentlich habe. Ja, und nach diesen fünf Tagen standen dann drei Oberärzte bei mir im Zimmer und dann kam die Diagnose, wo es dann hieß bösartiger Krebs, Multiples Myelom. Das sind so die Wortfetzen. Es lief alles nur noch wie ein Film. Diese Wortfetzen habe ich dann aufgenommen, es hieß, sie müssen Chemo machen, Stammzelltransplantation und ab da war ich im totalen Schockzustand, muss ich sagen. Bis zu dem Zeitpunkt habe ich auch das Wort Multiples Myelom noch nie gehört und muss auch sagen, dass ich mich in meinem Leben auch noch nicht viel mit Krebs auseinandergesetzt habe.

Lars [00:18:21] Also erst einmal ein großes Fragezeichen.

Jasmin [00:18:23] Richtig, für mich ein großes Fragezeichen und das Wort, was mir natürlich die ganze Zeit im Kopf hing, war bösartiger Krebs. Das ist das, was mir die ganze Zeit vor Augen stand.

Lars [00:18:36] Ein langer Weg erstmal bis hierhin. Ich hole Thomas noch einmal zurück hier rein in unser Gespräch. Thomas, wie war es bei Ihnen, dieses Diagnosegespräch, als Sie erfahren haben, dass Sie das Multiple Myelom haben? Also eine Krebsart des blutbildenden Systems. Was hat Ihnen der Arzt oder die Ärztin gesagt und welche Art von Gedanken sind da durch Ihren Kopf geschossen?

Thomas [00:18:59] Ich war natürlich nach der Diagnose eigentlich nur noch geschockt und war kaum in der Lage dem Gespräch mit dem Arzt zu folgen und ich weiß noch, dass ich die ganze Zeit nur aus dem Fenster guckte und insgeheim irgendwie dachte, das kann ja wohl nicht wahr sein. Hatte irgendwie vor 20 Jahren aufgehört mit Rauchen, lebe relativ gesund, jogge dreimal, viermal, die Woche und dachte das ist ja nicht möglich. Meine Frau hatte mich zum Glück begleitet und die hat dann mehr oder weniger…

Lars [00:19:29] Die saß neben Ihnen?

Thomas [00:19:30] Ja genau, die saß neben mir. Die war relativ gefasst und hat dann sozusagen dieses Gespräch mit dem Arzt mehr oder weniger geführt. Ich war wirklich nur noch in so einer Art Schockzustand. Zumal wir da auch eigentlich hingingen mit der Erwartung, dass der Onkologe uns sagt, er ist alles halb so wild, war doch nichts, weil er sich ja telefonisch nicht gemeldet hatte.

Lars [00:19:52] Also montags hatte er sich nicht gemeldet.

Thomas [00:19:54] Ja genau, und dienstags morgens waren wir dann da und dann brach natürlich irgendwie alles zusammen. Wir wollten vier Wochen später in den Urlaub fahren und das ging natürlich auch nicht. Und dann kam auch noch Corona dazu. Na ja, also eine totale Horrorzeit eigentlich.

Lars [00:20:15] Das wäre jetzt für mich die Gelegenheit, unsere Psychoonkologin mit dazu zu holen und zwar Sie, Daniela, Frau Dr. Meger-David.

Frau Dr. Meger-David [00:20:25] Ich bin ja beides, ich bin ja Fachärztin und ich bin Psychoonkologin und wie ich das gerade so gehört habe, habe ich mir oft auch gedacht, diese schwerwiegenden Diagnosen mitzuteilen, ist für Ärzte auch nicht immer einfach. Es ist eine besondere, schwierige, belastende Aufgabe und je häufiger das gemacht wird, heißt das nicht, dass es einfacher fällt. Das, was passiert ist, ist eine ganz typische Reaktion - hat man bei beiden jetzt auch gehört. Auf die Mitteilung einer gravierenden Diagnose, wie es eine Krebsdiagnose auch ist, das ist dann eine akute Belastungsreaktion, eine Schockreaktion und je nach Patient:in gibt es da eben sehr viele unterschiedliche Aufnahmemöglichkeiten. Man kann ruhig werden, verstummen, verzweifelt sein, in Tränen ausbrechen, starke Ängstlichkeit zeigen, aber auch aggressiv werden. Das hängt zum Teil nicht nur von der jeweiligen Diagnose ab, sondern eben auch von der Persönlichkeit des Patienten, seinen Vorerfahrungen, sowie auch den jeweiligen Lebensumständen ab. Was dabei vielleicht auch in dem Zusammenhang noch wichtig ist, ist der Begriff der Resilienz. Das ist die psychische Widerstandsfähigkeit, und das beschreibt am besten die Fähigkeit, mit Krisen, und so eine Krebsdiagnose ist ja jetzt auch eine ganz existenzielle Krise, also Krisen zu bewältigen.

Lars [00:21:47] Ist diese Fähigkeit angeboren?

Frau Dr. Meger-David [00:21:50] Unterschiedlich. Es hängt eben, wie gesagt, sehr viel damit zusammen, was man im Laufe seines Lebens schon für krisenhafte Situationen erlebt hat und wie man darauf reagieren konnte. Also man kennt diesen Begriff. Sagen wir jetzt mal es findet ein Erdbeben statt und bei diesem Erdbeben brauchen einige Menschen überhaupt keine psychische oder psychologische Betreuung hinterher. Einer braucht vielleicht einmal ein Gespräch und manche brauchen das dann eben häufiger. Also es umschreibt vor allen Dingen die Möglichkeit durch diese Krise auf seine persönlichen und sozial vermittelten Ressourcen zurückzugreifen und das auch als Anlass für eine Entwicklung zu nehmen. Es gibt ja verschiedene Arten der Reaktion, verschiedene Phasen. Verena Kast und auch Kübler-Ross hatten das damals aufgestellt und prinzipiell kann man da von vier bis fünf Phasen sprechen. Wenn wir wollen, können wir auch gerne noch näher eingehen.

Lars [00:22:45] Ich würde jetzt Thomas fragen. Thomas, wie war das? Du hast gesagt, du hast unter Schock gestanden. Wie hat sich das bemerkbar gemacht? Hast du geschrien, hast du geweint?

Thomas [00:22:55] Nein, ich war eigentlich relativ ruhig, also nee, geweint habe ich eigentlich während der ganzen Zeit vielleicht ein, zwei Mal, und auch nur kurz. Und nee, also bei mir war das dann wie gesagt, ich hatte am Dienstag die Diagnose bekommen und dieser Onkologe hat mich dann weitergeleitet an eine Uniklinik, an eine Studie, an der ich teilnehmen sollte. Da sagte er mir, also guten Freunden oder Verwandten würde er das empfehlen, da hinzugehen. Das habe ich dann auch gemacht und diese Ärztin hat mich dann am Donnerstag angerufen und sagte gleich „Mensch Herr Heuer, wir müssen Sie jetzt mal wieder auf die Beine stellen“. Die war wirklich so positiv die Frau. Da waren wir am selbigen Tag auch noch bei ihr in der Sprechstunde, also meine Frau hat mich auch wieder begleitet, und wir waren mindestens eine Stunde da. Was ich eigentlich rückblickend sehr gut fand, sie hat sich dann ein DIN A4 Papier genommen und hat dann alles aufgeschrieben, aufgezeichnet, wie die weitere Therapie abläuft und das hat mir alle sehr geholfen. Ich hatte einen ganz genauen Fahrplan wie es eigentlich aufwärts geht und sie hatte mir dann gesagt, das ist nachher ungefähr wie eine chronische Krankheit, wie Bluthochdruck oder Diabetes, so wird das dann behandelt. Was bei mir jetzt noch positiv hinzu kam, ich hatte wie gesagt sonst überhaupt keine weiteren körperlichen Beeinträchtigungen. Die Knochen sind nicht angegriffen, die Nieren sind auch nicht angegriffen und obwohl ich super hohe Eiweißwerte hatte, waren alle relativ erstaunt, dass mich das nicht niedergestreckt hat. Da war ich eigentlich sehr positiv danach dann.

Lars [00:24:39] Thomas, haben Sie dann die Hilfe einer Psychoonkologin in Anspruch genommen in irgendeiner Form?

Thomas [00:24:45] Nee, nee, eigentlich gar nicht.

Lars [00:24:49] Hat sich die Frage gestellt?

Thomas [00:24:50] Nee, eigentlich auch nicht, weil ich war danach dann, nach dem Gespräch mit dieser Ärztin, so positiv gestimmt, dass ich eigentlich schon Licht am Horizont gesehen habe und bei mir war das dann auch so, dass die Werte relativ schnell zurückgingen.

Lars [00:25:08] Ja, dann frage ich Jasmin. Wie war das? Wer hat dir da zur Seite gestanden? Wo hast du dir Hilfe gesucht als du die Diagnose erfahren hast?

Jasmin [00:25:17] Den Ersten, den ich natürlich angerufen habe, ist mein Partner. Der hat natürlich die ganze Zeit alles mitbekommen und mit dem stand ich auch in der Zeit, wo ich im Krankenhaus lag, tagtäglich mehrmals täglich in Kontakt. Dem habe ich das natürlich sofort erzählt. Ich war eher der Mensch, der nur geheult hat. Ich habe gefühlt eigentlich ab dem Zeitpunkt, wo mir die Diagnose genannt wurde, geweint.

Lars [00:25:46] Das ist ja auch noch nicht so lange her. Wann genau war das?

Jasmin [00:25:49] Richtig, das war Mitte August 2020.

Lars [00:25:54] Letztes Jahr 2020, mhm.

Jasmin [00:25:55] Letztes Jahr im August, ja. Nachdem ich dann meinem Freund das mitgeteilt hab, war dann die Nächste meine Mama. Also ich habe sofort meine Mama angerufen und habe ihr das auch erzählt.

Lars [00:26:09] War es Angst? Angst vor all dem, was noch kommt oder Angst vor…?

Jasmin [00:26:16] Auf jeden Fall. Zum einen ist es erst einmal die Angst was kommt, weil man weiß ja auch gar nicht. Man weiß, es gibt so viele verschiedene Krebsarten, und wie ich schon sagte, man hört nur bösartiger Krebs und hat eigentlich überhaupt gar keine Kenntnis darüber, was man eigentlich hat. Das macht einen einfach auch so ein bisschen ohnmächtig, weil man sich damit nicht auskennt. Das heißt, man weiß nicht, was kommt da auf einen zu und es ist einfach so. Bei mir kam sofort dieser Gedanke von „Wie lange kann ich noch leben?“. Also man hört ja wirklich eben alles was Krebs angeht und das ist einfach ein Gedanke, der ist sofort im Kopf verankert und man ist auf einmal in einer sofortigen Angst.

Lars [00:27:00] Wann wurde Ihnen klar, dass es eine chronische Erkrankung, eine lebenslange Erkrankung, ist?

Jasmin [00:27:05] Ich hatte dann, nachdem ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, wurde mir erstmal direkten Port eingebaut für die Chemogabe.

Lars [00:27:16] Mhm, ein Port heißt das ist so ein Zugang, der bleibt.

Jasmin [00:27:10] Genau.

Frau Dr. Meger-David [00:27:19] Das ist ein Döschen, das unter der Haut liegt, meistens im oberen Bereich beim Schlüsselbein und hat einen Zugang zu einer Vene und da kann man dann meistens unfallfrei die Chemotherapie bekommen, besser als durch die Vene.

Lars [00:27:31] Okay, aber das ist ein bleibender Zugang?

Frau Dr. Meger-David [00:27:33] Den kann man wieder rausnehmen, wenn die Chemotherapie beendet ist zum Beispiel.

Lars [00:27:35] Den kann man wieder rausnehmen.

Jasmin [00:27:39] Genau, der wird aber operativ eingesetzt. Ich sage mal ab den Zeiten, wo ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, ging es eigentlich direkt los mit Terminen. Das heißt man hat gar nicht so viel Zeit sich über alles Gedanken zu machen, sondern man bekommt sofort Termine an die Hand. Ich war dann bei dem Porteinbau, hatte dann in der Onkologie auch direkt einen Termin zum Aufklärungsgespräch, wo mir eben erklärt wurde, wie die ganze Therapie ablaufen wird und natürlich auch was über das Multiple Myelom erzählt wurde. Aber selbst bei diesem Gespräch, da erinnere ich mich noch dran, auch das ist ja noch nicht so lange her, ich habe dagesessen und immer gedacht, die verwechseln mich. Ich dachte, das kann nicht sein, dass es hier um mich geht. Da war ich noch immer nicht so weit, dass ich sage, okay, ich habe das jetzt für mich angenommen und das ist jetzt so, sondern ich habe immer gedacht, dass der Arzt irgendwann sagt „Mensch, Frau Langer, wir haben Sie verwechselt. Das sind Sie gar nicht. Sie können wieder nach Hause gehen“, weil eben bis auf die Rückenschmerzen, die ich hatte, auch die OP, die ich hatte, habe ich immer gedacht, mit mir ist alles in Ordnung und ich bin eigentlich kerngesund.

Lars [00:28:51] Was hat das mit der Lebensplanung gemacht? Also in dem Moment, wo man sich ja nur noch mit dieser Krankheit beschäftigt? Es gab ja andere Pläne.

Jasmin [00:29:00] Ja die gab's auf jeden Fall. Die Diagnose war ja wie gesagt Mitte August. Wir hatten einen dreiwöchigen Wohnmobilurlaub in Norwegen geplant im September und waren gedanklich eigentlich schon dabei alles dafür vorzubereiten. Ich habe den Arbeitgeber gewechselt gehabt vor 10 Monaten. Auch das ist eben eine Sache, wo man denkt, okay, jetzt habe ich da gerade erst angefangen zu arbeiten und jetzt kommt so eine Diagnose, jetzt fällst du in eine lange Krankheit. Auch das macht einem natürlich Gedanken und, ja, die Lebensplanung ist sofort dahin. In dem Moment habe auch ich darüber nachgedacht, dass ich gesagt habe, das Leben zu planen macht überhaupt keinen Sinn, das kann man nicht. Man kann eigentlich immer nur gucken, dass man den Moment so lebt, wie er ist. Aber planen macht keinen Sinn. Es kommt immer anders im Leben, als man denkt.

Lars [00:29:55] Ja, dann frage ich Sie, Frau Dr. Daniela Meger-David. Sie sind Psychoonkologin, spezialisiert auf Zusammenhänge zwischen dem psychischen Befinden, der Krebsentstehung und dem Erkrankungsverlauf. Wie verändern sich Betroffene nach dieser Diagnosestellung? Was passiert da?

Frau Dr. Meger-David [00:30:13] Naja, ich habe jetzt zwei Sachen gehört, als die beiden berichtet haben. Zum einen Jasmin, und da gehe ich zuerst drauf ein, und nachher komme ich nochmal zum Thomas, zu seiner Reaktion. Jasmin hat sehr schön geschildert, dass sie eigentlich so in dieser „Nicht-Wahrhaben-Phase“, in dieser ersten Phase der Erkrankung, drinnen war, wo das eben verdrängt wird. Ich kann das doch gar nicht sein, ich bin doch kerngesund. Das ist ein großer Schutzmechanismus, den man da hat. Da existiert einfach noch gar keine Akzeptanz der Erkrankung. Das geht dann weiter in die Phase 2, zum Beispiel Zorn, Ärger, man hat Wut auf den eigenen Körper, man ist jung, man ist gesund. Thomas hatte auch gesagt „Ich habe doch dreimal in der Woche gejoggt, ich habe mich gesund ernährt, ich habe doch alles Mögliche gemacht, damit es mir und meinem Körper gut geht“ und man ist dann eben wütend auf den eigenen Körper. Man ist wütend auf die anderen, die gesund sind. Man ist auch zum Teil aggressiv. Dann kommt die „Phase des Verhandelns“, man verhandelt mit sich selber, aber auch mit der Umgebung, mit den Ärzten, mit der Therapie. Wenn ich jetzt vielleicht doch eine Chemotherapie mache, dann werde ich wieder ganz gesund. Und dann natürlich kann es auch sein, gerade wenn es zum Beispiel Rückschläge gibt in der Therapie, wenn das nicht anschlägt, wenn es zu einem Rezidiv kommt, dann gibt es die „Phase der Depression“, wo einem eigentlich alles auch gleichgültig ist, man in ein tiefes schwarzes Loch verfällt, bis man dann in der fünften „Phase der Akzeptanz“ die Krankheit als ein Teil von sich selber akzeptiert und auch als einen Begleiter für die Zukunft wahrnimmt. Das ist dann eben das, was auch schon mehrmals angeklungen ist, dass man heutzutage nicht mehr von unheilbaren Krankheiten, sondern von chronischen Krankheiten spricht, im Sinne wie eben bei einem Diabetes oder bei einem Blutdruck, dass das eben doch eine Veränderung gemacht hat. Man muss jetzt nicht jede Phase dieser verschiedenen Reaktionsmöglichkeiten durchgehen. Bei manchen ist es auch so, dass das gar nicht so dieses nicht wahrhaben wollen am Anfang ist, sondern man ist froh - das kam jetzt bei beiden auch so durch - dass sie jetzt einen Fahrplan haben. Das ist heutzutage schon wunderbar organisiert. Die onkologischen Ambulanzen, die haben meistens schon die ganzen Termine vereinbart für den Port, für die Aufklärung, für die Körperumfelduntersuchung. Also man ist erstmal sehr busy und das hält einen auch ein bisschen davon ab, dass man sich zu sehr damit beschäftigt, was jetzt wirklich los ist, was danach sein kann.

Frau Dr. Meger-David [00:32:43] Ich erlebe das häufig auch in der Praxis, dass eben, wenn dann alles mal erledigt ist, wenn man so überall das Häkchen dran gemacht hat und auch diesen Zustand erreicht hat, wo man sagt, jetzt bin ich das Ganze soweit los, es ist jetzt in einer Phase, wo das zurückgedrängt ist, dass dann eben auch oft die Angst vor dem Rezidiv kommt und, dass dann eben der Psychoonkologe oder die Psychoonkologin ins Spiel kommt. Das ist manchmal so. Manchmal ist es eben schon am Anfang. Das gehört auch dazu zu einer guten Aufklärung, zu einem guten Diagnosegespräch, dass man das empfiehlt. Das ist ein ganz wichtiges Standbein, sage ich immer, weil die Seele ist ganz wichtig, und man muss sich da auch angenommen fühlen und jemanden haben, mit dem gut sprechen kann.

Lars [00:33:34] Thomas, ich komme mal dazwischen, Thomas, ich frage mal, kommt Ihnen das bekannt vor? Sehen Sie sich in einer dieser Phasen, erkennen Sie sich da wieder, Zorn, Ärger?

Thomas [00:33:42] Ja, ich war irgendwann sehr zornig und auch ärgerlich, weil ich nicht mehr laufen konnte, als die Therapie startete. Also es ging von heute auf morgen gar nicht mehr, als wenn einer einen Stecker gezogen hätte. Also ich war sowas von schlaff.

Lars [00:33:56] Also in dem Moment, als es losgehen sollte, da ging nichts mehr.

Thomas [00:33:59] Also als es dann losging, als die Medikamente dann sozusagen in den Körper einflossen, ging von heute auf morgen gar nichts mehr. Es waren auch relativ harte Sachen, die ich da bekommen hatte und das ging dann gar nicht mehr. Was mich auch noch superärgerlich gemacht hat, ich hatte dann im Laufe der Therapie auch noch einen Geschmacksverlust und konnte überhaupt nichts salziges mehr schmecken.

Lars [00:34:23] Und Sie kochen bestimmt sehr gerne.

Thomas [00:34:24] Ja, genau. Ich konnte nichts salziges mehr schmecken. Mir war fast ekelig vor Salzigem. Ich habe mich dann zwei, drei, Monate lang fast nur von Kuchen ernährt. Das konnte ich schmecken und das schmeckte mir auch. Wir waren während dieser Zeit im Juli noch eine Woche am Gardasee und ich weiß bis heute nicht wie da die Pizzen geschmeckt haben. Also ich weiß zwar, wie sie aussehen, aber ja das ging dann zum Glück, irgendwann kam der Geschmack wieder, was wirklich sehr lange dauerte. Das hat mich wirklich sehr eingeschränkt.

Lars [00:35:00] Diese Überwindung dieses Zorns, also dieser negativen Gefühle, oder dieser Schuldgefühle oder, dass man was falsch gemacht hat. Wie haben Sie das überwunden oder was hat Ihnen dabei sehr geholfen?

Thomas [00:35:10] Dass ich was falsch gemacht habe?

Lars [00:35:13] Nein, dieser Zorn. Wie haben Sie das in den Griff bekommen?

Thomas [00:35:16] Eigentlich gar nicht. Ich war die ganze Zeit sehr zornig, bis sich dieser Geschmacksverlust wieder einstellte. Das ging sozusagen von heute auf morgen, auf einmal war er wieder da. Da war ich natürlich sehr froh und das war gleich eine ganz neue Lebensqualität. Ich war natürlich körperlich im Laufe dieser Therapie immer mehr abgeschwächt. Es hat ganz schön am Körper gezehrt. Was natürlich gut war - also was ich sehr gut fand - ich habe diese ganze Ersttherapie, die über 4 Monate, ambulant machen können. Ich bin da morgens hin geradelt, ich wohnte relativ nah sozusagen am Krankenhaus, konnte hin radeln, bin dann wieder zurückgekommen, sodass meine Kinder das auch eigentlich gar nicht so mitbekommen haben, dass das irgendwas ganz arges ist. Und was ich sehr belastend fand, waren dann nachher diese stationären Aufenthalte. Die haben sich letztes Jahr auch über Wochen hingezogen und sehr einschneidend war natürlich auch der Haarverlust. Ich weiß noch genau, wir waren bei irgendwelchen Nachbarn, das war glaube ich im August zum Grillen, eingeladen und ja ich fahre mir so durch die Haare und hatte auf einmal ein Büschel Haare in der Hand und dachte „Huch, was ist denn jetzt los?“ und da sah man es dann auch nachher. Mein Sohn hat mir dann die Haare abgeschnitten, meine Tochter den Rest abrasiert. Spätestens dann sah man das auch. Sonst konnte man eigentlich gar nicht sehen, dass ich jetzt irgendwie eine bösartige Krebserkrankung habe. Da bin ich schon fast in so eine kleine Depression verfallen, also mit dieser Glatze und so. Und nee, es war schon eine harte Zeit.

Lars [00:37:03] Aber Sie sind Mützenfan geworden in der Zeit?

Thomas [00:37:05] Ja, aber auch nur, weil ich hatte ständig einen kalten Kopf, also auch nachts. Ich habe meinen Vater früher verlacht, weil er immer eine Mütze im Bett aufhatte, aber ich hatte dann teilweise auch mit einer Mütze geschlafen. Ich weiß auch nicht, wenn man das nicht gewohnt ist, hat man einfach einen kalten Kopf. Ich hatte natürlich nicht nur auf dem Kopf keine Haare mehr. Ich hatte dann eine Hochdosistherapie bekommen im Oktober und anschließend eine Stammzellenrückgabe und diese Hochdosis hat dann sozusagen die ganze Körperbehaarung einmal geschrottet. Ich hatte sozusagen gar keine Haare mehr. Das war dann doch nochmal eine kleine Steigerung zur Glatze, die ich dann vorher hatte und naja. Das hat sich jetzt zum Glück dann alles wieder hingewachsen.

Lars [00:37:50] Jasmin, darf ich fragen, wie es wie bei Ihnen war?

Jasmin [00:37:53] Jetzt mit den Phasen?

Lars [00:37:55] Als die Therapie anfing, mit diesen Phasen, erkennen Sie sich dort wieder?

Jasmin [00:37:59] Ja, also in eigentlich jeder einzelnen Phase muss ich sagen. Bei mir war es aber kein Zorn oder Ärger, sondern ich würde eher sagen, das war bei mir Traurigkeit. Ich war traurig darüber - es ist vielleicht auch eine Art Ärger oder Zorn - dass ich nicht so weitermachen darf. Ich weiß noch, dass ich vor dem Krankenhaus gesessen habe und da habe ich ein junges Mädchen mit dem Fahrrad lang fahren sehen und habe gedacht, die darf einfach unbeschwert ihr Leben weiterführen, Fahrradfahren und sich keine Gedanken machen über sowas und ich nicht. Ja, darüber war ich einfach total traurig. Einfach nur traurig, dass diese Unbeschwertheit, ich sage immer dieses unbeschwerte Leben, einfach vorbei ist, weil ich wusste, dieses unbeschwerte Leben ist weg. Das ging bis dahin und ab da ist eben ein neues Leben. Ich habe dann aber sehr schnell für mich das alles angenommen. Ich bin glücklicherweise ein Optimist und habe dann auch schnell gesagt, okay, das ist jetzt so, ich kann es nicht ändern und ich werde besser damit umgehen können, wenn ich das jetzt ganz schnell für mich annehme, dass es so ist wie es ist. Dass ich die Diagnose habe, dass ich mich da jetzt durchkämpfen muss und ich mache einfach das Beste draus und versuche standhaft zu bleiben und denke positiv. Das habe ich dann sehr schnell gemacht. Diese Traurigkeit an sich, die habe ich auch heute noch zwischendrin. Diesen Gedanken, klar, den werde ich wahrscheinlich mein Leben lang haben, dass ich darüber nachdenke, warum darf ich nicht so unbeschwert weitermachen wie andere. Aber im Endeffekt ist es so, dass ich dann eben ganz schnell in die Phase des Annehmens gegangen bin und mir ganz schnell gesagt habe, das ist so und ich nehme die Krankheit für mich an und lebe jetzt damit. Dann geht mein Leben jetzt eben anders weiter, dann plane nicht mehr ich mein Leben, sondern im Moment Ärzte, und die Krankheit plant das Leben natürlich auch.

Frau Dr. Meger-David [00:40:11] Ich sage vielleicht auch noch kurz was dazu.

Lars [00:40:13] Na natürlich.

Frau Dr. Meger-David [00:40:13] Ich habe das jetzt bei beiden gehört. Zuerst ist einmal der Schock durch die Diagnose und dann kommt der ganze Behandlungsplan. Da passieren auch ganz, ganz viele Sachen mit einem. Der Thomas hatte das auch so schön gesagt. Er hat die Haare verloren, normalerweise sollte das ja schon vorher aufgeklärt worden sein, was alles passiert durch die Chemotherapie, dass man die Finger vielleicht nicht mehr spürt, dass sich die Nägel verändern oder ausfallen, der Haarverlust am gesamten Körper. Da meine ich dann eben auch die Wimpern, die Augenbrauen, die Schambehaarung, also alles komplett fällt aus und spätestens da ist man ja erst recht schockiert. Das hat er so gesagt, wie er da beim Grillen stand, im vollen Leben, und dann kam das auf einmal so. Das kann dann auch eine Situation sein, wo man sagt „Ich kriege das mit der Familie nicht mehr hin oder mit Freunden, mit Bekannten. Ich würde mir jetzt doch lieber auch jemanden Professionellen zur Unterstützung holen“. Bei der Jasmin habe ich das so ein bisschen durchgehört, die hat das auch so gut hingekriegt und hat die Krankheit dann auch angenommen. Das ist genau das, dass man dann sagt „Das ist jetzt eine Begleitung für den Rest meines Lebens und ich packe es an“ sozusagen. Das habe ich da rausgehört bei ihr.

Lars [00:41:27] Ja, dazu muss man sagen, das Multiple Myelom ist eine lebenslange, chronische Erkrankung.

Frau Dr. Meger-David [00:41:32] Genau, ja, ja. Das sagt dann aber auch heutzutage beim Brustkrebs zum Beispiel.

Lars [00:41:38] Ich werde nochmal ganz kurz zusammenfassen: ob und wann mit einer medizinischen Behandlung begonnen werden kann, ist ja von verschiedenen Faktoren abhängig und glücklicherweise sind wir heutzutage, oder sind die Behandlungsmöglichkeiten in den letzten Jahren durch den wissenschaftlichen Fortschritt, kontinuierlich besser geworden. Es wird ja auch weiter geforscht. Dennoch ist die Akzeptanz, und die Diagnose, alles andere als einfach und braucht ganz sicher Zeit und deswegen frage ich jetzt noch mal hier die Runde: Welchen Rat würden Sie neudiagnostizierten Patient:innen mit auf den Weg geben? Da würde ich einfach mal fragen, Thomas, was würden Sie jemandem mitgeben, der die Diagnose gestellt bekommt, Multiples Myelom?

Thomas [00:42:22] Ich würde mir auf jeden Fall jemanden suchen, der mich eventuell bei diesen ganzen Arztgesprächen begleitet, idealerweise einen Partner, wenn man jemanden hat. Was ich immer auch anraten würde, wäre eine Zweitdiagnose anfordern. Man sollte sich auch informieren, wo man die möglichst beste Behandlung bekommt. Das kann man gut über Selbsthilfegruppen machen, so haben wir das damals auch gemacht. Ich bin eigentlich in diese Studien, in die ich jetzt gekommen bin - ich habe ja sozusagen eine kleine Arzt Odyssee hinter mir - nur über die Selbsthilfegruppe sind wir da reingekommen und auch nur, weil meine Frau sich das so engagiert hat. Die ist dann da nämlich doch mal hingegangen zu so einer Selbsthilfegruppe hier im Krankenhaus. Da war zufälligerweise auch der Professor mit dabei und meine Frau hatte auch schon Tränen in den Augen und meinte „Ach Mensch, wir waren jetzt auch in der Studie und das klappt alles gar nicht“ und der Professor meinte dann nur „Mensch, dann kommen Sie doch einfach zu mir“ und ich weiß jetzt auch gar nicht, wie meine Krankheit verlaufen wäre, wenn ich nicht in diese Studie gekommen wäre. Ich habe jetzt die neuesten Medikamente bekommen.

Lars [00:43:28] Also ganz viel Eigeninitiative. So hört sich das an.

Thomas [00:43:31] Ja, ja, ja, genau.

Lars [00:43:32] Und einen starken Partner an Ihrer Seite.

Thomas [00:43:35] Ja, das wäre natürlich, das ist natürlich ideal. Ich selber hätte das nicht geschafft. Ich war auch nicht in der Lage zu der Selbsthilfegruppe zu gehen. Ich war da während dieser Zeit wirklich noch total im Delirium. Das war alles noch so im Februar, Anfang März.

Lars [00:43:52] Ja, das ist ein wahnsinnig gutes Stichwort. Thomas, du sagst Selbsthilfegruppe, wie sind Sie zu einer Selbsthilfegruppe gekommen?

Thomas [00:43:59] Also federführend war meine Frau. Die hat den Kontakt zur Selbsthilfegruppe hergestellt und ist dann auch selber hingegangen. Das war alles in der Anfangszeit, wo ich noch gar nicht in der Lage war, mich damit auseinanderzusetzen.

Lars [00:44:13] Wo hat sie die gefunden, diese Selbsthilfegruppe?

Thomas [00:44:15] Selbst und Google hat sie über das Internet gefunden.

Lars [00:44:18] Über das Internet, mhm.

Thomas [00:44:19] Ja. Es gibt eine ganze Menge Selbsthilfegruppen und sie hat dann natürlich eine genommen in unserer unmittelbaren Umgebung in Norddeutschland, die sich dann auch regelmäßig im Krankenhaus getroffen haben, also damals noch. Zu der Corona Hoch-Zeit ging das natürlich gar nicht mehr. Da hat sich gar keiner mehr getroffen.

Lars [00:44:37] Also auch nicht per Teams oder so, oder dass irgendwas möglich war?

Thomas [00:44:43] Nee, auch gar nicht. Nee, nee, nee, das ging gar nicht mehr. Man kann natürlich auch leicht an die Selbsthilfegruppen kommen. Im Krankenhaus, in dem ich bin, liegen überall Flyer rum von dieser Selbsthilfegruppe. Die macht da eine Menge Werbung, also kommt man da eigentlich auch leicht dran. Man muss nicht unbedingt im Internet gucken.

Frau Dr. Meger-David [00:45:03] Ja, das hätte ich jetzt zum Beispiel noch gesagt. Gerade in einem onkologischen Zentrum, auf einer Hämatoonkologie, da gibt es auch die ganzen Sozialarbeiter:innen. Die sind da auch mit Informationen immer sehr großzügig und können auch zu Selbsthilfegruppen Hinweise geben.

Lars [00:45:20] Jasmin, wie war es bei Ihnen? Wie sind Sie zu einer Selbsthilfegruppe gekommen? Oder waren Sie bei einer Selbsthilfegruppe?

Jasmin [00:45:27] Ja, bei mir hat sich das so ergeben, dass ich über das Internet jemanden kennengelernt habe, der so in meinem gleichen Alter ist und auch das Multiple Myelom hat und der wohnt auch in Hamburg, also in meiner Heimat. Mit dem habe ich mich immer ausgetauscht und eigentlich auch ganz lustig ausgetauscht, weil das auch so ein positiver Mensch ist. Und der hat irgendwann gesagt „Mensch, ich bin in einer Selbsthilfegruppe. Soll ich mal den Kontakt herstellen? Sonst komm doch einfach mit dazu“. Bei mir war das so, dass es in der Corona Zeit war. Das heißt diese Live-Treffen, die die eigentlich gemacht haben, da konnte ich gar nicht dran teilnehmen, sondern es wurde dann eben direkt übers Internet gemacht, über Teams. Ich bin dann einfach mit dazu gestoßen und jetzt ist es so, dass wir uns einmal im Monat regelmäßig online getroffen haben. Das sind an die 15 Personen, alle natürlich mit dem Multiplen Myelom und es tut einfach wahnsinnig gut. Es ist so schön, weil man irgendwie das Gefühl hat alle sitzen im gleichen Boot, alle kämpfen mit dem Gleichen. Jedes Mal nach diesem Online-Treffen geht es mir richtig gut muss ich sagen.

Lars [00:46:44] Also ein ganz, ganz, ganz wichtiger Anker. So hört sich das an. Ist das so? Ein ganz wichtiger Anker?

Jasmin [00:46:49] Ja, ja, total.

Lars [00:46:51] Ja, sehr schön.

Jasmin [00:46:52] Mir ist es total wichtig eben auch immer daran teilzunehmen. Für mich ist das wirklich ein fester Termin und freue mich auch jedes Mal darauf. Und es ist eben auch nicht so, dass da nur geredet wird im Sinne von wie schlecht es uns allen geht, sondern genau das Gegenteil.

Lars [00:47:11] Also nicht nur die ganzen Krankheitsverläufe oder die Zustände?

Jasmin [00:47:15] Genau, sondern es wird eben auch viel privat gesprochen. Der eine hat erzählt, dass er anfängt wieder zu joggen und, dass es ihm körperlich total gut geht momentan. Es geht eben eher alles in diese positive Richtung, dass man sagt, okay, was können wir alles und was machen wir alles.

Lars [00:47:36] Sehr gut, was geht da, genau.Jasmin [00:47:36] Und ja, man geht da wirklich immer total gestärkt raus muss ich sagen.

Lars [00:47:42] Jasmin, darf ich Sie fragen, was würden Sie neu diagnostizierten Patient:innen mit auf den Weg geben?

Jasmin [00:47:50] Auf jeden Fall hat Thomas das schon alles so gesagt, so wie ich es auch sagen würde. Also was sehr wichtig ist, ist sich vor allem über die Krankheit zu informieren, weil man ja erst mal so gut wie gar nichts darüber weiß. Umso mehr man weiß und umso mehr Kenntnis man darüber hat, umso mehr erfährt man auch, was es alles für Therapiemöglichkeiten und Behandlungsmöglichkeiten gibt. Es wird ja, was das Multiple Myelom angeht, sehr viel geforscht, und es gibt sehr viele Therapiemöglichkeiten. Alleine das fängt dann schon an einen ein bisschen zu beruhigen. Auch ich habe eine Selbsthilfegruppe, in der ich bin, und habe kurz nach meiner Diagnose im Internet nach Gleichgesinnten gesucht. Es war bei mir der Drang nach Gleichgesinnten, mit denen ich mich austauschen kann. Vielleicht einfach zu sehen „Mensch, da ist einer, der ist ungefähr so alt wie ich, der hat das Gleiche wie ich, der hat es vielleicht schon seit 5 Jahren, und dem geht es gut“. Nach sowas habe ich gesucht und habe da auch jemanden gefunden. Der hat dann angeboten, dass wir telefonieren. Der hat mich direkt aufgeklärt und wie er das alles durchlaufen ist. Nach so einem Gespräch ging es mir dann eben auch sehr gut. Und natürlich der Partner an der Seite, wenn man dann einen hat, ist Gold wert. Ich sage immer mein Freund ist mein Fels in der Brandung. Ich sage mal der starke Baum neben mir, der wirklich ganz viel Kraft gibt. Was auch wichtig ist, ist ganz normal weiterzumachen, also was den Alltag angeht. Bei mir lief auch alles ambulant ab und wenn ich dann hier zu Hause war, haben wir daraus nicht jeden Tag ein riesengroßes Thema gemacht. Also das Thema war da...

Lars [00:49:39] Sondern ganz normal weiter?

Jasmin [00:49:41] Einfach den Alltag ganz normal weiter machen. Natürlich verfällt man immer wieder da rein und redet mal wieder darüber oder es kommt einem wieder ein Gedanke und man spricht dann wieder über die Krankheit oder darüber, wie es jetzt weiter geht oder über irgendwelche Termine. Aber ja, immer wenn ich dann hier wieder zu Hause war, hat mein Freund mir auch immer das Gefühl gegeben, es ist alles normal, es verändert sich nichts. Selbst als ich meine Haare verloren habe, als ich mich natürlich auch optisch verändert habe, und das als Frau - ich habe immer lange blonde Haare gehabt - ja der hat mir eben immer das Gefühl gegeben, es ist alles normal und es hat sich hier nichts verändert. Das gab mir so ein Gefühl von Sicherheit. Einfach das Gefühl, okay, es ist alles gar nicht so schlimm und wir können ganz normal weitermachen hier und das fand ich auch sehr wichtig.

Lars [00:50:33] Eine große Hilfe, sehr schön. Dann frage ich Sie nochmal, Frau Doktor Meger-David, als Psychoonkologin. Was geben Sie neu diagnostizierten Patient:innen mit auf den Weg?

Frau Dr. Meger-David [00:50:44] Ich würde erstmal bei einem Gespräch anfangen, weil ich das jetzt auch bei den beiden so gehört habe. Auf jeden Fall darauf bestehen, dass man einen ruhigen geschützten Raum hat, dass das Gespräch auf Augenhöhe stattfinden kann. Auch mal sagen, wo man selber steht mit seinem Wissen. Man macht sich ja auch schon bevor man die Diagnose bekommt Gedanken und im besten Fall sollte das wirklich ausreichend in Ruhe und mit viel Zeit sein. Dann hatte der Thomas gesagt auf jeden Fall jemanden mitbringen. Das empfehle ich auch immer, das ist ganz, ganz wichtig. Man ist aufgeregt, man hört nicht alles. Vier Ohren hören immer besser als zwei Ohren und man hat jemanden an seiner Seite der einen auch in den Arm nehmen kann, der die Hand halten kann. Dann ist es auch ganz wichtig, dass wenn man mit den Emotionen, wenn man dann in Tränen ausbricht, dass man das einfach zulässt. Es gibt nichts, was einem peinlich sein muss. Alles ist erlaubt. Es ist einfach so, wie es in dem Moment ist und im besten Fall würde ich mir wünschen, dass der Arzt oder die Ärztin die Diagnose überbringt, das einfach auch aushalten kann und mit dem Patienten, mit der Patientin dann einfach auch einmal schweigt. Dann ist es wichtig, das klang auch schon an, dass man sich die Zweitmeinung holt. Das ist ganz, ganz wichtig heutzutage, eigentlich in jeder Leitlinie verankert, eine Zweitmeinung aus einem anderen onkologischen Zentrum. Da kommt natürlich dann auch immer die Empfehlung zu einem Psychoonkologen, Psychoonkologin, wenn man das möchte, kann man das schon mit der Diagnosestellung nehmen. Man muss es nicht erst mit der Chemotherapie oder mit der Operation, sondern kann das auch schon im Vorfeld haben, diese Betreuung durch Psychoonkolog:innen. Dann gibt es auch die Möglichkeit, dass Sozialarbeiter sozusagen die rechtlichen Situationen erläutern. Es gibt ja auch die Anschlussheilbehandlung, die nach der Vollendung der ganzen Therapie sozusagen anstehen kann. Dann ist natürlich wichtig, dass man auch mit der Familie, mit dem Freundes- und Bekanntenkreis, sich da nicht versteckt, sondern dass man da ganz offen kommuniziert, auch da, dass man seine Gefühle zulässt. Man merkt dann auch ganz schnell, wer kann mit einem da sprechen, wo ist es jemand anderem unangenehm. Das sind so Situationen, da muss man sich auch erstmal hineinfinden. Dann natürlich die Selbsthilfegruppen, sind sehr, sehr hilfreich. So wie die Jasmin das schon gesagt hatte, dass man eben sieht, da gibt es Menschen, die haben das schon viel länger, denen geht es gut, die Leben ihr Leben weiter und das ist halt eine chronische Erkrankung und man kann damit sehr gut und sehr lange leben. Das ist eigentlich die wichtigste Botschaft, dass man sozusagen authentisch bleibt, dass man sich nicht verstellen muss, dass man einfach so ist, wie man ist und dass das auch alles in Ordnung und okay ist.

Lars [00:53:38] Ja, ganz lieben Dank. Ja, ich danke Ihnen erstmal alle, dass Sie sich die Zeit genommen haben, heute mit mir über die Diagnose des Multiplen Myeloms zu sprechen. Jeder Krankheitsverlauf und jede Lebenssituation sind anders und daher bewundere ich Ihre Offenheit und Ihren Mut sehr und bin über die Einblicke, die Sie uns gegeben haben, erstmal sehr, sehr dankbar. Ich möchte mich jetzt verabschieden an dieser Stelle. Ich sage tschüss, Thomas und Jasmin, und vielen Dank, dass Sie dabei waren und danke auch an Sie, Frau Dr. Meger-David.

Frau Dr. Meger-David [00:54:10] Sehr gerne.

Lars [00:54:11] Thomas, tschüss und Jasmin auch tschüss.

Jasmin [00:54:14] Tschüss und danke!

Thomas [00:54:16] Tschüss!

Lars [00:54:16] Ich möchte auch nochmal danke sagen an Sie, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, und auf Wiederhören bei unserer nächsten Podcast Folge und sage tschüss, bis bald.

Lars [00:54:26] Vielen Dank, dass Sie heute dabei waren. Wir freuen uns auf Anregungen, Ideen oder Themenvorschläge für „Mein Krebsratgeber zum Hören“. Oder möchten Sie Ihre Geschichte mit uns teilen? Schreiben Sie uns gerne eine E-Mail. Im Beschreibungstext finden Sie alle weiteren Informationen und Adressen.

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