Eine Krebserkrankung wirft bei Betroffenen und ihren Angehörigen viele Fragen auf – doch an welche Institutionen können sie sich wenden und worin bestehen die Unterschiede? Unser Gast Herr Carl war selbst an Krebs erkrankt und gibt nun als Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Prostatakrebs Selbsthilfe E. V. (BPS) wertvolle Einblicke in die Arbeit von Patientenorganisationen.
(EM-141133)
(00:00 - 00:24) Jingle
(00:24 – 00:40) Anmoderation der Folge
(00:40 – 01:51) Herr Carl, Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Prostatakrebs Selbsthilfe e. V. (BPS), stellt sich vor
(01:51 – 03:34) Über Herrn Carls Motivation, eine Patientenorganisation zu gründen
(03:34 – 07:56) Hinter den Kulissen: wie verlaufen Leitung, Organisation und Rekrutierung?
(07:56 – 12:10) Unterschiede zwischen Patientenorganisationen und Selbsthilfegruppen
(12:10 – 17:00) Wie helfen Patientenorganisationen und Selbsthilfegruppen?
(17:10 – 19:04) Kosten – wie finanzieren sich Selbsthilfegruppen und Patientenorganisationen?
(19:04 – 22:11) Voraussetzungen für den Beitritt und einen Posten bei einer Patientenorganisation
(22:11 – 25:17) Woran erkennt man eine seriöse Patientenorganisation und worauf muss man achten?
(25:18 – 27:50) Wiederkehr in den Job nach der Erkrankung: Erfahrungen und Rat von Herrn Carl
(27:50 – 30:17) Kosten und finanzielle Sicherheit – welche Unterstützungsmöglichkeiten gibt es?
(30:18 – 30:58) Über die psychoonkologische Auslastung in Deutschland
(30:58 – 33:44) Über Rückmeldungen von Patient:innen, weiteren Handlungsbedarf und Wünsche in der Krebstherapie
(33:44 – 38:38) Fazit: Warum Patientenorganisationen für Betroffene essenziell sind
(38:39 – 39:33) Schlusswort und Verabschiedung
Lars Schmidtke [00:00:01] Herzlich Willkommen zu „Mein Krebsratgeber zum Hören“. Mein Name ist Lars Schmidtke und gemeinsam mit meinen Gästen sprechen wir offen und ehrlich über Krebs und das Leben mit Krebs. Hören Sie rein, wenn sie persönliche Geschichten, aber auch Expertenrat zum Umgang mit der Erkrankung erfahren möchten. Unser Podcast ist ein Podcast mit Betroffenen für Betroffene. Heute geht es um das Thema Patientenorganisationen, Rolle und Bedeutung. Und dazu möchte ich heute mit dem Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Prostatakrebs Selbsthilfe EV, Herrn Carl, sprechen. Erstmal vielen Dank für ihr Kommen, Herr Carl.
Ernst-Günther Carl [00:00:40] Aber gerne.
Lars Schmidtke [00:00:41] Herr Carl, stellen Sie Sich doch mal vor. Wie alt sind Sie und was hat Sie eigentlich dazu bewogen, in einer Patientenorganisation tätig zu werden?
Ernst-Günther Carl [00:00:48] Ich bin aktuell 73 Jahre, bin seit 2008 Betroffener. Ich habe das Gott sei Dank recht gut überstanden und bin damals der Meinung gewesen, dass man aus rein philanthropischen Gründen den Betroffenen, soweit sie hier im Norden ansässig waren, helfen sollte. Das heißt, ich habe meiner Erkrankung folgend, eine Gruppe hier gegründet und habe Monate später den BPS dazu gefunden.
Lars Schmidtke [00:01:17] BPS, das ist die Abkürzung?
Ernst-Günther Carl [00:01:18] Das ist die Abkürzung für Bundesverband Prostatakrebs Selbsthilfe EV Windrad. Ich bin beigetreten und habe mich dann 2010 aufgrund meiner beruflichen Herkunft, ich komme aus einem großen japanischen Unternehmen, bereiterklärt, mich um die Finanzen zu kümmern. Das tue ich seit vielen Jahren und habe mich seit zwei Jahren zusätzlich noch sehr intensiv um die Gesundheitspolitik gekümmert, die bei uns im Verband als Patientenorganisation ganz deutlich immer mehr Raum einnimmt.
Lars Schmidtke [00:01:51] Gab es eine Unzufriedenheit? Gab es einen Antrieb Ihrerseits, dass Sie sagten, okay, da ist so viel im Argen, da muss ich was tun oder woher dieser Antrieb?
Ernst-Günther Carl [00:01:59] Also es gibt eine Reihe von Feldern, das Erste ist: Ich hatte in 2008 wie gesagt als Selbstbetroffener den großen Vorteil, aus einer Arztfamilie zu kommen. Mein Vater ist zwar lange gestorben, aber ich hatte Beziehungen. Und ich habe dann festgestellt, dass um mich herum, ich wohne im südlichen Schleswig-Holstein…
Lars Schmidtke [00:02:18] Das hört man jetzt aber nicht, Herr Carl.
Ernst-Günther Carl [00:02:20] Ich bin geborener Mittelfranke, keine Frage. Wohne aber lange hier oben. Nein, es gab niemand dort, der patientenrelevante Thema hatte. Ich habe dann gesagt: Gut, dann müssen sich eben die Patienten selbst helfen. Ich habe das angefangen, ehrlich gesagt ohne Riesenthema und hatte kurzfristig 50 Mitglieder und habe das dann organisiert. Das funktioniert seit 2008. Bis heute ein bis zweimal im Monat ein Treffen, seit Corona ist es eben Hybrid oder bei Zoom. Aber es wird langsam wieder präsent und habe dann aus dem Thema rausgefunden, dass an sich die Patienten bei den Ärzten nicht so ganz rauskommen, wie sie rauskommen sollten, sondern einfach Fälle sind. Ich habe herausgefunden, dass es doch erheblich große Felder in der Politik, im Gesundheitswesen, in der Behandlungsart gibt, an denen sich die Patienten beteiligen sollten und daraus entstand an und für sich der Entschluss, sich ganz oder gar nicht zu engagieren. Ich war vorher Managing Director der europäischen Niederlassung eines großen Unternehmens und dann habe ich gesagt, okay gut, dann versuchst du mal hier gewisse Grundthemen reinzukriegen. Das funktioniert ganz gut.
Lars Schmidtke [00:03:34] Okay, Sie haben also einen tiefen Einblick in diese Strukturen und Abläufe. Aber meine Frage ist: Wie setzt sich so eine Patientenorganisation zusammen und wie wird sie geleitet? Wer qualifiziert sich? Also wer kann dort arbeiten?
Ernst-Günther Carl [00:03:48] Also grundsätzlich ist es so, dass wir in der Basis all das tun, was andere auch tun, nämlich Selbsthilfe betreiben. Das heißt, wir fangen Betroffene psychologisch auf. Wir helfen ihnen in der Klärung der Diagnose. Wir helfen ihnen, indem wir ihnen mitteilen, wie Therapien funktionieren. Zu jedem Feld haben wir einen in den Gruppen, der sagen kann: „Habe ich schon hinter mir, tut weh oder tut nicht weh, hat die und die Nebenwirkungen. Ist das und das Medikament und dergleichen.“ Das ist die Grundbasis. Das zweite ist, dass wir natürlich wollen, dass es den Patienten deutlich besser geht im Laufe der Jahre. Dazu ist notwendig, uns in den Leitlinien zu engagieren, was wir auch tun. 62 gestandene Professoren finden sich alle zwei Jahre zusammen und besprechen: „Was machen wir eigentlich mit den Patienten?“, dass wir dort den Patienten einbringen und sagen: „Passt mal auf, wir sind nicht nur Fall einhundertdreiundfünfzig, der operiert ist, sondern das ist Max Müller und er hat Probleme in der rechten Leistenseite und ist dummerweise inkontinent. Das muss man ändern.“ Das zweite ist die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen in Deutschland, dieser berühmte G-BA oder Gemeinsamer Bundesausschuss. Dort sind die Krankenkassen, die Ärzte, die Krankenhäuser, die Patienten und Sachverständigen vertreten. Und dort ist es gefragt, als Patient seine Thematik einzubringen, seine Meinung einzubringen und zu nutzen.
Lars Schmidtke [00:05:27] Und da gehen Sie dann hin. Also Sie sind dann auch dort, oder wie bringen Sie sich dort ein?
Ernst-Günther Carl [00:05:33] Ich unter anderem. Der BPS entsendet insgesamt sechs Vertreter in den GBA. Der GBA ist organisiert nach verschiedenen Kriterien, nach Pharma, nach Systemen, nach Betreuung, nach Psychologie, nach und, und, und. Für diese Themen wird jeweils bei uns, wenn eines ansteht, einer ausgespäht, der es könnte und ein Vertreter, damit, wenn einer mal krank ist, der zweite das tun kann. Und dann wird es schlicht und ergreifend realisiert. Bis 2019 war das in Präsenz, ein bis zwei Mal im Monat in Berlin. Seit 2020 Corona läuft es auf Webex, läuft im Prinzip genauso – das Einzige, es ist halt nicht mehr persönlich bei Webex. Aber es ist das Gleiche. Wir haben uns beim BPS dazu umentschieden, der GBA hat sich für Webex entschieden. Andere Leute haben andere Softwaren, aber es ist vom Grundsatz her ein reines Videomeeting und da werden genau die gleichen Dinge geregelt wie vorher in Präsenz. Und dann ist noch ein dritter Teil dabei. Natürlich wirken wir auf den Ebenen der Länder und auf der Ebene des Bundesministeriums der Gesundheit und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, dass die ihre Gelder möglichst in Dinge reinstecken, die den Patienten sinnvoll erscheinen, das ist einmal….
Lars Schmidtke [00:06:50] Und da haben Sie einen Blick drauf?
Ernst-Günther Carl [00:06:52] Ja selbstverständlich. Wir sind heute Gott sei Dank so weit, dass wir dort nicht mehr auf irgendwelchen Auseinandersetzungen stehen, sondern wir sind gern gesehene Mitspieler in diesem System und was wir tun, ist mittlerweile Standardtechnik, dass wir die Patientensicht einbringen und das heute weder der Innovationsfond noch das BMBF im Rahmen der Dekade gegen Krebs irgendwelche großen Mittel freigeben, ohne zumindest aus einer Patientenorganisation einen „Letter of Intent“ zu bekommen.
Lars Schmidtke [00:07:22] Herr Carl, „Letter of Intent”? Was heißt das?
Ernst-Günther Carl [00:07:26] Das heißt in schönem Deutsch: Ein Begrüßungsschreiben, wo der BPS, falls um das Prostatakarzinom geht, erklärt, dass das Vorhaben, was irgendeine Universität, ein Professor, eine Institution anstrebt, im Sinne der Patienten ist. Also definitiv einen Benefit für die Patienten bringt. Dass wir uns bereit erklären, dort mitzuarbeiten und dass wir unter Umständen sogar bereit sind, zu helfen, zu rekrutieren, also das gesamte Paket.
Lars Schmidtke [00:07:56] Ich habe es jetzt so verstanden. Es gibt Patientenorganisationen, dafür sind Sie jetzt zum Beispiel tätig und es gibt Selbsthilfegruppen. Jetzt ist die Frage: Wo ist da der Unterschied? Wie unterscheiden sich die beiden?
Ernst-Günther Carl [00:08:06] Selbsthilfegruppenleiter - und wir haben das auf Leitungen abgehoben - sondern Verein oder eine Hilfsperson kümmert sich darum, dass es den Mitgliedern seiner Gruppe gut geht. Kümmert sich darum, dass deren Fragen beantwortet werden. Nimmt im Zweifelsfall Kontakt mit dem lokalen Urologen auf und nimmt einmal jährlich an der Mitgliederversammlung des Bundesverbandes Prostatakrebs Selbsthilfe teil, sowie an einigen regionalen Themen. Das war's. Das heißt, er nutzt im Monat zwei Abende ein bisschen an Zeit, ich würde sagen, das sind so acht, neun Stunden im Monat und Schluss. Wenn Sie heute in der Organisationsform sind, und wir haben ein BGB-Vorstand und einige weitere Vorstandsmitglieder, und wir haben Arbeitskreise, die sich um Gebiete kümmern. Dort ist es so, dass wir über diesen Grundthemenkreis hinaus, ich habe auch eine Selbsthilfegruppe, uns eben in Themen einbringen, in die der normale Selbsthilfegruppenleiter nicht reingeht. Also einmal um, wie man so schön in Englisch sagt, „Patient Reported Outcome“, also den Input der Patienten zu ihrer Situation in den politischen Raum, in die Leitlinien, umzusetzen. Sprich mit den Ärzten zu kommunizieren, sie zusätzlich in den GBA umzusetzen. Dort werden dann solche Dinge im Endeffekt beschlossen, das heißt im Groben formuliert: Politik für die Patienten zu betreiben über das, was eine Selbsthilfegruppe hinaus darstellt.
Lars Schmidtke [00:09:35] Nicht leisten kann. Also, was die Selbsthilfegruppe nicht leisten kann oder so nicht organisiert ist. Und das übernimmt die Patientenorganisation?
Ernst-Günther Carl [00:09:42] So ist es. Thema ist natürlich, dass wir aus der Vielzahl der Gruppen und der BPS hat also über 200 in Deutschland, wir sind regional und national gut abgedeckt, dass wir auch aus dieser Ecke unseren in Anführungszeichen Nachwuchs für die Patientenorganisation gewinnen. Das heißt, aus diesen 200 Leitern und Gruppen mit Mitgliederzahlen zwischen 20 und 50, gewinnen wir immer wieder Leute, die bereit sind, sich Know-how anzueignen, sich mit der Krankheit intensiver zu beschäftigen, gewisse politische Rahmen oder gesundheitspolitische Themen sich zu erarbeiten und dann mitzuarbeiten. Dazu haben wir zwei Ebenen bei uns im WPS. Das eine ist: Es gibt Arbeitskreise. Es gibt zum Beispiel einen, den ich leite, der heißt „Patientenbeteiligung Gesundheitswesen“. Es gibt einen für fortgeschrittenes Prostatakrebs, einen weiteren für Psychologie und ähnliches. Daraus entstehen durch die Mitarbeit von Mitgliedern Ideen, Konzepte und dergleichen. Dann gibt es einen siebenköpfigen Vorstand, der das entsprechend umsetzt und versucht auf der Ebene der Politik, des GBA, der DGU, sprich der Leitlinie gewisse Dinge zu realisieren. Zusätzlich ist ein Thema mittlerweile, dass wir sehr europäisiert sind, sprich der WPS ernennt einen Delegierten, in dem Fall bin es, und ist in Europa, in der europäischen Dachorganisation vertreten und dort betreiben wir zusammen mit der EU Kommission, der European Association of Oncology, also der Europäischen……..
Lars Schmidtke [00:11:26] Sie fahren nach Brüssel, oder was höre ich da heraus?
Ernst-Günther Carl [00:11:28] Brüssel, Amsterdam in allen möglichen Ecken also, wo es stattfindet, wo Kongresse sind.
Lars Schmidtke [00:11:32] Wo es auch gerade stattfindet. Okay.
Ernst-Günther Carl [00:11:36] Um Dinge voranzutreiben, die alle abdecken. Also, um nur ein einfaches Beispiel zu nennen: Die EU bietet ein Beat the Cancer Programm auf der gesamten Ebene an und da ist es für uns wichtig gewesen, das Prostatakarzinom als das, ich sag mal, momentan verheerendste beim Mann einzubringen, was mittlerweile gelungen ist. Daneben ist Mammakarzinom und Darm vertreten. Dort kann man gewisse Dinge machen. Der wesentliche Vorteil ist, dass die Leute dort oben auf relativ viel Geld sitzen und man relativ Vieles bewegen kann.
Lars Schmidtke [00:12:10] Jetzt ist die Frage: Was würden Sie mir als Betroffener raten? Also Sie, wie ich verstanden habe, leiten selbst eine Selbsthilfegruppe und Sie sind in der Patientenorganisation organisiert. Was mache ich als Betroffener? Was würden Sie mir raten? Also ich komm jetzt zu Ihnen in die Selbsthilfegruppe.
Ernst-Günther Carl [00:12:25] Also zu mir kommen im Regelfall Leute, die einen Grund haben. Das Erste ist, sie kommen mit einer Diagnose, im Regelfall hat es der Urologe festgestellt. Es wird eine Gewebeprobe entnommen und dann kommt das übliche Thema, dass sie sich bei uns mit einem Pathologiebericht melden, der dummerweise immer noch von lateinischen Ausdrücken strotzt und erstmal fragen wollte: Was ist das eigentlich? Mir hat der Urologe etwas erklärt, aber so ganz begriffen habe ich es noch nicht. Das heißt, wir erklären den Leuten, was da drinsteht, mit normalem Deutsch und machen Sie damit vertraut, dass Sie eine Erkrankung haben, die entweder durch eine invasive Therapie möglicherweise heilbar ist oder die schon so weit ausgebrochen ist, dass sie nur noch verlangsamt werden könnte. Das ist der erste Teil. Der zweite Teil ist…
Lars Schmidtke [00:13:14] Ganz kurz, Herr Carl. Kostet das was, also ist das eine Kassenleistung? Nein, das ist erstmal kostenlos?
Ernst-Günther Carl [00:13:20] Das ist ehrenamtlich. Der zweite Teil ist, dass wir Leute haben, die Nebenwirkungen der Therapie haben. Das sind beim Prostatakarzinom die bekannten Themen: Inkontinenz, was manchmal unvermeidlich ist je nach Lage des Karzinoms und erektile Dysfunktion. Was ganz normal ist, nachdem man möglicherweise gewisse Nerven beschädigt oder zerstört hat. Und da wollen die wissen, was man da tun kann. Das heißt, im Wege der Kontinenz gibt es verschiedene Möglichkeiten bis hin zu einem künstlichen Sphinkter, wenn gar nichts mehr hilft. Zum Wesen erektile Dysfunktion, das ist auch psychologisch, und wie kann man über gewisse Pharmazeutika oder Hilfsmittel helfen, eingreifen. Der Vorteil der Selbsthilfegruppe ist, dass man dort Face to Face das erklären kann, wie es zum Beispiel auch bei meiner ist: Ich habe mittlerweile so um die 50 Mitglieder, davon sind 25 regelmäßig da. Jemand hat dieses Problem hinter sich, selbst wenn ich es nicht habe, ich muss das theoretisch nicht erklären, sondern ich kann sagen: Pass mal auf, da drüben sitzt der Max Meyer, der hat dasselbe Problem wie du es hast und er hat gemacht ABC. Dann erklärt er das, das hat bei mir geholfen, indem ich, weiß ich nicht, Beckenbodentraining gemacht habe, indem ich ein Medikament eingenommen habe, mit meiner Frau geredet habe, psychologische Ruhe hergestellt habe und solche Dinge. So und nun kommt der letzte Teil, der dabei ist: Ja es sterben Leute an der Karzinomkrankheit. Auch in meiner Gruppe habe ich das schon mehrfach hinter mir und man muss dann versuchen, dass man ihnen in dieser ganz schwierigen Phase der palliativen Behandlung Schmerzen erspart. Tipps gibt, welche Ärzte ihnen helfen können, ihnen Dinge auf den Weg gibt und sagt: „Leute, ihr braucht einen Spezialisten. Es hat keinen Sinn mehr, dass ihr irgendwo lokal hingeht. Nehmt euch einen sehr, sehr bekannten Onkologen, der euch das möglicherweise rüberbringt.“
Lars Schmidtke [00:15:18] Sie sprechen Empfehlungen aus, total praktische Empfehlungen.
Ernst-Günther Carl [00:15:21] So ist es. Und am Ende der Fahnenstange, bedauerlich ist es so, muss man ab und zu dann im Laufe seiner Karriere einen Kranz kaufen und eine Beerdigung absolvieren. Wir versuchen das aber zu vermeiden, gelingt nicht immer und das ist auch noch Bestandteil dessen, was man tut. Ein Punkt noch obendrauf: es ist nicht immer nur die Krankheit, sondern wir machen auch ein Sommerfest im Regelfall was Richtung Advent, wo wir uns nicht um das Karzinom kümmern, sondern um uns kümmern. Dass es mal ein Bier gibt, eine Bratwurst, etwas vom Grill im Sommer wie auch im Winter. Dass man sich am Weihnachtsmarkt trifft, Glühwein trinkt über Dinge redet, die angenehm sind und die nicht karzinombezogen sind. Auch das ist Bestandteil der Psychologie, die meine Selbsthilfegruppe einfach pflegt. Was man leider in Kauf nehmen muss und das tun Gott sei Dank alle, natürlich bin ich telefonisch, per Computer, per E-Mail und und und verfügbar. Klar, wieso?
Lars Schmidtke [00:16:19] Total versiert, würde ich sagen. Also zoomen, Skype und so weiter?
Ernst-Günther Carl [00:16:21] Ja, es funktioniert und zusätzlich ist natürlich der Punkt zu organisieren. Das heißt, wir betreiben nicht alles selbst, sondern wir veranstalten auch Dinge, wo wir uns Urologen, Radiologen und Pathologen einladen, um uns mal von einem studierten Fachmann alles im Detail erklären zu lassen, als Laien. Das können die mittlerweile recht gut, was wichtig ist in ihrem Job: Warum sie einen Patienten in irgendeine Richtung schieben oder behandeln. Warum sie gewisse Dinge machen und andere nicht. Das hilft ab und zu bei betroffenen Patienten ein bisschen besser durchzukommen durch die Erkrankung.
Lars Schmidtke [00:17:00] Also das eine ist, wie ich es verstanden habe, diese Selbsthilfegruppe, da bin ich dann irgendwann Mitglied, zahle ich dann irgendeinen Mitgliedsbeitrag bei der Selbsthilfegruppe, oder?
Ernst-Günther Carl [00:17:08] Nein, das ist umsonst. Das ist eine Leistung, die philanthropisch ist. Ich erkläre das andersrum. Der Bundesverband Österreich Selbsthilfe ist selbstständig. Selbständig heißt, wir finanzieren uns aus zwei Quellen, einmal von der Deutschen Krebshilfe, die ja bekanntermaßen Gelder sammelt und zweitens aus den Pflichtbeiträgen der gesetzlichen Krankenversicherung, wovon für jeden Betroffenen ein Euro irgendwas auf die Seite zu legen ist und der im Endeffekt der Selbsthilfe zugutekommt. Das heißt, unser Verband hat insgesamt ein sechsstelliges Budget, eine ziemlich hohe Zahl, und dieses Geld wird verwendet, um eine Geschäftsstelle aufrechtzuerhalten, um die Selbsthilfegruppen zu unterstützen, um denen notwendige Mittel zu geben, die sie brauchen. Ob Sie einen neuen Computer brauchen oder Internet connect oder was auch immer, denen Geld zur Verfügung zu stellen, damit sie, falls es notwendig ist, einen lokalen Raum zu mieten, obwohl man den meistens mittlerweile gratis kriegt oder irgendwo denen Geld zu geben, damit sie eine Mitgliederversammlung oder Ähnliches abhalten. Das heißt, es fließt von oben nach unten dieses Thema durch im Verband. Der Betroffene selbst, der zahlt überhaupt keinen Cent, der meldet sich mittlerweile an und kommt nach Anmeldung. Warum? Weil wir Corona haben. Ansonsten zu normalen Zeiten kommt er einfach. Das heißt, es steht annähernd spätestens zwei Tage vorher in der Zeitung. Die treffen sich irgendwo um 19:00 Uhr und haben das Thema. Wir haben heute bei den Urologen das regelmäßig schon auf dem schwarzen Brett, dass sich die Gruppe trifft, die freuen sich, dass sie die psychologischen Themen bei uns loswerden, dass sie ähnliche Fragen loswerden, weil sie die Zeit für den Patienten überhaupt nicht haben. Und es funktioniert auf diese Art und Weise schlicht und ergreifend seit Jahren, und ich kann mir nicht vorstellen, dass es sinnvoll ist, an dieser Stelle Geld zu verlangen.
Lars Schmidtke [00:19:04] Also Sie sind ganz gut finanziell aufgestellt. Also da gibt es eine relative Sicherheit. Gibt es denn bestimmte Voraussetzungen, wenn ich einer Patientenorganisation beitreten möchte? Wie sieht es da aus?
Ernst-Günther Carl [00:19:15] Ich würde schon sagen. Sie sind schon ein Selbsthilfegruppebestandteil, Teil der Organisation. Die Frage ist nur, ob sie aus der Selbsthilfegruppe raus, irgendwas im Verband bewegen wollen. Das heißt, wenn sie heute sagen, ich bin Max Meyer aus der Selbsthilfe Pinneberg, dann kann ich mich für einen der Arbeitskreise bewerben, sprich mit dem Leiter und sage pass mal auf: Ich möchte mich im Gesundheitswesen Patientenbeteiligung beteiligen, ich habe an dem und dem Feld Interesse und wenn der der Meinung ist, der passt hier in das System rein, dann muss es klar sein, dass du in deinem Feld Wissen erwerben musst. Wir helfen dir dieses Wissen zu bekommen über Seminare, über Kongresse, über Veranstaltungen, was auch immer und dann wirst du eines Tages, da sagt man Ankerpoint, der Vertreter, derjenige, der in diesem Feld für und gegen den WPS argumentiert. So funktioniert es und wenn er ganz, ganz viel an Zeit investieren will, das muss man ihm aber vorher sagen, dann muss er sich zum Vorstand wählen lassen. Vorstände haben bei uns Arbeitsbereiche und es gibt einen Vorsitzenden, der sich im Wesentlichen um den Ablauf, die Organisation und Ähnliches kümmert. Es gibt den Stellvertreter Nummer 1, der bin momentan ich, der sich im Wesentlichen um Gesundheitspolitik kümmert, es gibt einen BGB-Vorstand für Finanzen, das mach ich momentan kommissarisch mit, weil derjenige extrem erkrankt ist. Da kommt aber ein Neuer und es gibt einen für die Organisation, für Seminare, für Kongresse und dergleichen, der ist auch Stellvertreter. Es gibt einen für IT, es gibt einen für Psychologie, es gibt einen für GBA, es gibt also für alle Gebiete einen. Sie müssen sich nur darüber im Klaren sein, und das sagen wir den Leuten, wenn ihr euch für so ein Ding wählen lasst, dann musst du dir heute im Klaren sein, dass das zwischen 15 und 20 Stunden pro Woche an Zeit auffrisst. Wenn ihr das nicht machen wollt, dann lasst es gleich. Wenn ihr es machen wollt, dann macht ihr das bitte drei Jahre lang.
Lars Schmidtke [00:21:09] Mhm, Mhm.
Ernst-Günther Carl [00:21:17] Dann lasst euch wählen, lasst euch aufstellen und der Beste gewinnt. Wir sind ein demokratischer Verein. Es treffen sich einmal im Jahr alle Selbsthilfegruppen und alle drei Jahre wird gewählt und dann gibt es jeweils einen neuen Vorstand.
Lars Schmidtke [00:21:32] Also ich kann aus der Selbsthilfegruppe, wenn ich die Zeit und die Ressourcen habe, also was tun möchte, bewegen möchte, mich für die Patientenorganisation bewerben. Also es geht auf jeden Fall weiter.
Ernst-Günther Carl [00:21:45] Selbstverständlich, wir suchen händeringend, weil wir bei uns ein medianes Diagnosedatum von 69 Jahren haben. Und man im Regelfall davon ausgehen kann, dass ab 75, 76, 77 die Leute aufhören, aktiv dort Vorstände zu sein.
Lars Schmidtke [00:22:04] Da wäre eine Frage dazu: Wie ist das Durchschnittsalter?
Ernst-Günther Carl [00:22:05] Deutlich über 65.
Lars Schmidtke [00:22:07] Das ist das Durchschnittsalter jetzt in Ihrer Patientenorganisation.
Ernst-Günther Carl [00:22:10] Ja
Lars Schmidtke [00:22:12] Es gibt überall schwarze Schafe. Herr Carl, wie kann ich denn als Patient, Patientin sicherstellen, dass ich mich an eine seriöse Organisation wende? Also kann ich mich irgendwo absichern? Rufe ich Sie vorher an?
Ernst-Günther Carl [00:22:23] Es gibt erst einmal ein Thema. Ich sag mal, selbst die Älteren, das haben wir mittlerweile festgestellt, sind internetaffin. Es gibt ein Gütesiegel der Deutschen Krebshilfe. Im Wesentlichen wer bei denen anhängt, der hat drei Dinge erfüllt. Das erste ist: Er nimmt kein Geld von irgendjemanden. Das heißt, er ist völlig unabhängig von Pharma, von Krankenhäusern, von Teilnehmern im Gesundheitsmarkt, von irgendjemand, vom lokalen Beerdigungsinstitut, von sonst was. Das ist der erste Ansatz, den man haben kann. Der zweite ist, es gibt eine Deutsche Gesellschaft für Urologie, die sicherlich niemand in ihre eigenen Leitlinien-Kommissionen beruft, der ein schwarzes Schaf ist. Die, die dort sind, stehen allesamt im Internet, die kann man nachvollziehen. Ein weiterer Vorteil ist, das kann man auch noch deutlich machen, annähernd alle von uns soweit sie drinnen sind, und das sind annähernd alle, schreiben deutlich, dass wir von der gesetzlichen Krankenversicherung in Bandbreiten gefördert werden. Die einzige Ausnahme eines Teilnehmers am Gesundheitsmarkt, weil es gesetzlich so festgelegt ist. Sie können sich über eins im Klaren sein, eine gesetzliche Krankenversicherung wird niemand Geld geben, der ein schwarzes Schaf ist, sondern die werden das deutlich kontrollieren und last but not least, das sollte man auch nicht vergessen, die meisten bei uns sind gemeinnützig. Gemeinnützig heißt ja, dass das Finanzamt alle drei Jahre über ihre Buchhaltung schaut, ob die jetzt klein oder groß sind. Das sei einmal dahingestellt, aber sie brauchen ja das Gemeinnützigkeitsthema, um beim lokalen Krankenhaus einen Raum zu kriegen. Die wollen natürlich wissen, ob sie das profitabel machen oder ob sie gemeinnützig sind. Gemeinnützig heißt das, dass sie eine Spendenbescheinigung ausstellen dürfen. Also wir sind mehrfach in dem Thema drin und als Bundesverband haben wir die Krebshilfe als Kontrollinstrument und das zweite ist, wir sind als eingetragener Verein unserer Meinung nach dazu verpflichtet und das tun wir auch, einen unabhängigen Wirtschaftsprüfer jedes Jahr zu berufen, der im Endeffekt die gesamte Finanzthematik unsererseits prüft. Neben dem Finanzamt die Gemeinnützigkeit prüft und last but not least, haben wir eine interne Revision im Verband. Zwei Mitglieder, die dafür gewählt sind, und beim EV ist jährlich der Vorstand zu entlasten und das passiert auch bei uns im Sinne, dass die Kassenprüfer sagen, wir haben uns alles angeschaut, ist in Ordnung, der Wirtschaftsprüfer einen uneingeschränkten Vermerk bringt. Und dann müssen wir abgeschlossen, das heißt, wir sind transparent bis zur Schraube. Unsere gesamten Daten sind im Netz, das heißt, wenn Sie auf die Webseite des BPS gehen, werden Sie sehen, dass mehr oder minder alles greifbar ist.
Lars Schmidtke [00:25:12] Also übers Internet, kann ich mich informieren, dass ich da auf der sicheren Seite bin. Nach so einer Diagnose Krebs ist Arbeit ganz sicher nicht das Erste, woran ein Betroffener, eine Betroffene denkt, aber wenn die Therapie gut verläuft, wollen ja ganz viele wieder zurück in ihren alten Job. In der Realität ist es nicht immer so einfach. Grundsätzlich gilt, dass ein Erkrankter ein Anrecht darauf hat, in seinen alten Job zurückzukehren. Herr Carl aus Ihrer Erfahrung, wie läuft denn dieser Wiedereinstieg in der Regel ab und was muss ich da beachten? Was gilt es zu beachten?
Ernst-Günther Carl [00:25:47] Das erste Thema ist, die meisten glauben, das überhastet, schnell machen zu müssen. Da sagen wir allen, komplett falsch. Sie müssen schauen, dass sie ihre Therapie erst mal ein bisschen abarbeiten. das heißt, es ist eine längere Erkrankungsfrist, das heißt nach einer Strahlen- oder Operationstherapie die einmalig, mit Gefahr, ansteht, falls es mit Heilungsabsicht ist, schlagen wir den Leuten vor, die gesetzliche Krankenversicherung und die Rentenversicherung bezahlen eine Anschlussheilbehandlung, das heißt drei Wochen in einer Klinik, wo man mit den Folgen der Therapie im Wesentlichen recht gut zurechtkommt. Das ist der eine Teil. Der zweite ist, man sollte dann versuchen mit fünfzig Prozent Einsatz und über ungefähr acht bis zehn Wochen sich wieder in den Job rein zu begeben und sich aber im Klaren darüber sein, dass also der erste Tag und drei Überstunden mit Sicherheit nicht im Sinne des Erfinders ist, sondern dass man sich an einer gewissen Bandbreite wieder hineinfinden muss, für die, die palliativ in das Thema reingehen, ist im Regelfall eher der Job nicht das Problem, sondern die Nebenwirkungen der, ich sag mal, pharmazeutischen Therapie. Das heißt, sie müssen halt mit dem Arbeitgeber reden und sagen, ich muss ab und zu ausfallen. Aber die Regel ist, was wir rausgefunden haben, die Arbeitgeber sind, im Regelfall absolut happy, wenn man sagt: Ich habe Krebs, ich bekämpfe den, der ist bei mir in guten Händen oder ich bin auf dem Weg der Heilung, anstatt es irgendwo wegzudrücken, nichts zu sagen, ähnlich wie eine Grippe zu behandeln oder sowas, sondern das ist in meinen Augen in einem direkten Gespräch entweder mit einem Vorstand oder mit dem Vorgesetzten, zu wem auch immer, der momentan in der Hierarchie über einem steht, ein offenes Gespräch relativ sinnvoll.
Lars Schmidtke [00:27:41] Also erstmal mein Fazit: Das, was ich sagen kann, ist erstmal alle Unterstützungsmöglichkeiten unbedingt wahrnehmen. Ist das richtig?
Ernst-Günther Carl [00:27:49] Völlig richtig, ja.
Lars Schmidtke [00:27:50] Und jetzt ist die Frage zum Thema finanzielle Sicherheit, Herr Carl. Wenn der Patient, die Patientin verunsichert werden, was da jetzt auf sie zukommt, was raten sie da?
Ernst-Günther Carl [00:28:01] Also ich sag mal, wir haben heute im Gesamtsystem knapp 85 Komma etwas Prozent gesetzlich Versicherte, wenn ich das richtig im Hinterkopf hab. Denen bieten man verschiedene Möglichkeiten an. Das erste ist, sie können diesen Schwerbehindertenausweis, wie man heute sehr populär sagt, beantragen. Behinderung heißt es im gesetzlichen Wesen, wenn sie ein Karzinom haben T1 oder T2, dann kriegen sie zwischen dreißig und fünfzig Prozent. Es gibt die Benefits in der Steuer, es gibt ihnen ein paar Tage mehr Urlaub, es gibt ihnen gewisse zusätzliche Rechte. Das ist der erste Teil. Der zweite ist, sie haben, wenn sich dieses Karzinom-Thema manifestiert, das Recht früher in Rente zu gehen, ohne Abzug, das muss man den Leuten einfach mal deutlich machen. Das heißt….
Lars Schmidtke [00:28:47] Frührenter? Ernst-Günther Carl [00:28:48] Ja, den worst case vorausgesetzt. Wir müssen immer daran denken, dass bei uns die Diagnostik und die Therapie eher sechzig plus abläuft. Sie können in dem Verfahren dann sagen, ich gehe jetzt nicht mit 65 oder 67 in Rente, sondern ich kann ohne Abschläge mit 63 oder ich kann mit zwei Jahren und ein paar Abschlägen fast schon mit 60 in Rente gehen. Das heißt, sie haben zumindest den Background, dass sie im Hintergrund die Rentenversicherung haben. Das ist das eine Thema und das zweite ist, bis ich dorthin komm, sind Sie zumindest krank und krank heißt, sie beziehen Krankengeld der gesetzlichen Krankenversicherung, das einen grundsätzlichen finanziellen Input bringt. Und der dritte Punkt: Natürlich sind Krebsmedikamente heute, wenn es palliativ ist, relativ teuer. Das ist nichts Neues, dass solche Dinger, drei Tabletten am Tag einen Monat lang zu nehmen, zwischen 3000 und 5000 Euro kostet. Das bezahlt die Gesetzliche, das ist der erste Teil. Der zweite ist, wenn sie chronisch krank waren, dann ist das sogar noch gedeckelt. Das heißt, dann gelten 1 oder 2-Prozent-Regelungen bezogen auf das Einkommen und alles drüber ist umsonst. Das heißt, sie können mehr oder minder im Januar schon genau kalkulieren, was sie an Zuzahlungen bis zum Jahresende ausgeben und fertig. Die Ärzte sind sowieso gratis. Insoweit denke ich, sind wir heute im sozialen System so weit, dass es nicht problematisch ist. Wir haben ein großes Problem, das ist bekannt, wir haben in den zertifizierten großen Zentren einen Psychologen, wir haben in allen Anschlussheilbehandlungen, weil sonst die Rentenversicherung das nicht bezahlen würde, psychologischen Service und wir haben leider Gottes in der Fläche viel zu wenig. Das ist zurzeit ein Thema, was aber auch das Bundesministerium für Gesundheit diskutiert. Das heißt das Schlimme momentan ist, wenn ein Betroffener in das berühmte schwarze Loch fällt und der Urologe eine Überweisung…
Lars Schmidtke [00:30:45] Kriegt der gar keinen Platz?
Ernst-Günther Carl [00:28:47] In 10 Monaten ist im Regelfall das erste Gespräch.
Lars Schmidtke [00:30:52] Woran liegt es? Gibt es diese Therapeuten nicht?
Ernst-Günther Carl [00:30:55] Viel zu wenige.
Lars Schmidtke [00:30:56] Viel zu wenig.
Lars Schmidtke [00:30:57] Wenn sie jetzt, Herr Carl, mal zurückgucken und so ein Stück weit in die Zukunft, welches Feedback erhalten Sie von Patienten, Patientinnen und wo sehen Sie noch Handlungsbedarf?
Ernst-Günther Carl [00:31:08] Feedback erhalten wir heute positiverweise von Patienten, die sich an unsere Organisation wenden, weil wir an und für sich deren Vielfältigkeit abdecken. Also wir sind über die Gruppen hinaus mit der Hotline vertreten, wir haben eine App, wir haben eine Webseite, wir versenden Informationsmaterial, wir liefern lokal in die Selbsthilfegruppe Magazine aus, wo wesentliche Themen drinstehen. Von den Patienten, soweit sie uns angehen, doch sehr geschätzt, wo wir uns mehr wünschen, ist einmal die Schläfrigkeit unserer Entscheidungswege im Gesundheitswesen oder andersrum gesagt, das ist an und für sie nicht hinnehmbar, dass ein GBA aufgrund von Vorgaben achtzehn bis vierundzwanzig Monate Zeit hat, was zu entscheiden. Das ist für uns ein undenkbarer Zustand. Viel zu lang. Das muss sich ändern. Das Zweite ist, es haben zwar die Ministerien mittlerweile erkannt, dass es Patienten gibt, es wird auch deutlich mehr auf Patienten eingegangen. Aber das ist viel zu wenig. Da muss ich also deutlich mehr im politischen Raum tun. Wir hoffen, dass das mit der neuen Regierung vielleicht ein bisschen besser wird und das Dritte ist, wir brauchen in der Krankenhauslandschaft eine Strukturreform. Das heißt, wir möchten weniger, aber qualifizierte Zentren haben. Gibt es heute. Wir möchten ungern, welche die im Jahr 2,3,4,5 oder 6 Operationen machen, weil denen einfach das Know-how fehlt. Dort, wo die Leute hingehen, und das sind die großen Unikliniken eine bessere finanzielle Ausstattung und eine bessere Darstellung, weil diese Leute an und für sich neben ihrer therapeutischen Arbeit eine ganze Menge an Forschungsinput leisten, der uns im Endeffekt weiterbringt. Wir möchten, dass es der Glaube aller ist, die heute in dieser Organisation sind, in zwanzig bis dreißig Jahren vielleicht festzustellen, dass es eine palliative Erkrankung ohne Todesfall geworden ist.
Lars Schmidtke [00:33:10] Ja, ist das ein bisschen ihre Zukunftsvision, Herr Carl?
Ernst-Günther Carl [00:33:13] Das ist die Mission, die wir haben. Ja, wir möchten gerne, dass es eine palliative Dauererkrankung wird und nicht mehr zum Tode führt. Ob wir dorthin kommen auf die Schnelle, weiß ich nicht. Wir sind auf gutem Weg, besser zu werden und man muss einfach sehen, dass wir heute sagen, was man messen kann, das ist das Verbesserungspotenzial. Soweit bleiben wir bei den großen Kliniken und aus Verbesserungspotenzial muss auch irgendwann der Nukleus entstehen, dass man den Leuten sagen kann: „Okay gut, ihr habt so ein Ding, aber ihr werdet daran nicht sterben.“
Lars Schmidtke [00:33:44] Herr Carl, sagen Sie mal, warum sind Patientenorganisationen für Krebspatienten, -patientinnen so empfehlenswert?
Ernst-Günther Carl [00:33:52] Weil der Einzelne keine Lobby hat. Der Alte, der ein Karzinom hat, der leidet still vor sich hin. Er hat vielleicht Unterstützung aus der Familie, der hat vielleicht Unterstützung von den Kindern. Aber die Politik wird ihn nicht wahrnehmen. Der GBA wird ihn nicht wahrnehmen, die Ärzteorganisationen halten von dem Einzelnen nicht sehr viel, sondern die möchten gerne abgestimmte, größere Meinungsblöcke haben. Insoweit sind wir heute ein wesentlicher Transmissionsriemen zwischen dem, was die einzelnen wollen, in dem man es bündelt und indem man es gebündelt an die entsprechenden Stellen, die dafür empfänglich sind und zunehmend empfänglicher werden, einfach ranbringt. Das ist der eine Teil und der Zweite ist, das haben wir allesamt über Jahre gelernt, nicht lockerlassen, sondern so lange nachbohren, bis man den Leuten so auf den Senkel fällt, dass sie was tun.
Lars Schmidtke [00:34:47] Also Herr Carl, ich muss sagen, die Zeit ist hier mit Ihnen wie im Flug vergangen. Herzlichen Dank für die unglaublichen Einblicke in Ihr Berufsleben und ihren Erfahrungsschatz als Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Prostatakrebs Selbsthilfe EV BPS. Habe ich das richtig gesagt?
Ernst-Günther Carl [00:35:04] Ja, völlig richtig.
Lars Schmidtke [00:35:06] Also das Gespräch mit Ihnen war absolut aufschlussreich und hat noch einmal ganz stark verdeutlicht, warum Patientenorganisationen für Krebspatienten und -patientinnen so empfehlenswert sind. Und so nehme ich mit, dass der Austausch mit Patientenorganisationen, die das gelebte Wissen um die jeweilige Erkrankung bündeln, ausgesprochen hilfreich und erleichternd ist. Ist das so?
Ernst-Günther Carl [00:35:27] Ja, natürlich. Er ist auf beiden Seiten. Wir haben zwei Punkte heute, die mir wichtig erscheinen. Das erste ist: Natürlich sind die Patienten daran interessiert, ihre Erfahrungen, ihre Meinungen, die Probleme, die sie haben, zu bündeln, zusammenzustellen, sie an den Stellen abzuliefern, wo Leute sich drum kümmern können und handlungsfähig sind, würde ich mal sagen. Das heißt, das ist teils die Politik, teils die Gesellschaft, teils die Ärzte. Das klappt nur, indem man das zusammen anpackt. Der Einzelne wird gar nicht wahrgenommen, der wird immer als singuläres Schicksal dargestellt. Das ist so, das kann man nicht ändern. Das Zweite ist, was uns wichtig erscheint, scheint mittlerweile deutlich bei den Ärzten durch: die Reden in der Theorie, die können operieren, die haben alles Mögliche hinter sich, die haben aber selbst kein Karzinom jemals gehabt in dieser Größe, in dieser Bandbreite, die können die Folgen, die psychologisch oder körperlich auf den Menschen einstürzen, nur theoretisch werten. Was wir als Patientenorganisation sagen können und das sagen wir auch den Ärzten: Wir geben Ihnen ein 1:1 Feedback. Was passiert eigentlich in der Realität? Wie kommt ein Fünfundsechzigjähriger damit zurecht, dass er plötzlich täglich mindestens zehn Vorlagen braucht? Da kann ich nicht, was manchmal Urologen sagen, „Naja, das ist ein soziales Problem. Das ist soziale Inkontinenz, da muss er halt damit leben.“ Nein, muss er nicht. Das ist Lebensqualität. Man muss mal was tun, oder aber, dass man auf dem Gebiet der Sexualität bei Bestrahlung, der Enddarmeinwirkung, dass wir eben dort zur Kenntnis nehmen, dass Patienten Dinge haben, die schmerzhaft sind und dass man ihnen dann was dagegen gibt und nicht sagt: „Muss er ausstehen. Ein Indianer kennt keinen Schmerz, das kriegt er schon hin.“ Das sind so die beiden Antriebsstränge, die wir haben.
Lars Schmidtke [00:37:10] Ja, der Mensch steht bei ihnen im Mittelpunkt und er wird sich mit seiner Krankheit niemals alleine fühlen und sie als Patientenorganisation vertreten quasi maßgeblich die Interessen von Patienten und Patientinnen. Kann man das so sagen?
Ernst-Günther Carl [00:37:22] Kann man so sagen, wir sind Bestandteil einer Gruppe von Organisationen, die in Bonn angesiedelt sind. Das heißt, was wir tun, das tun Frauen bei Mamakarzinom, das tun Gruppen für Bauchspeicheldrüse, das tun Gruppen für Magen-Darm-Krebs, das heißt, wir sind nicht allein auf dieser Welt, sondern diese Art der Organisation ist vielfältig. Wir tun es fürs Prostatakarzinom, weil wir seit Jahren wissen, dass dort die Raten ansteigen, weil wir seit Jahren leider zur Kenntnis nehmen müssen, dass es überhaupt keine Begründung gibt, warum er ausbricht. Weil wir seit Jahren feststellen, dass wir 14.000 Tote jährlich haben. Das wird nicht besser und wir wollen das verbessern, deutlich verbessern. Und weil wir last, but not least die Muffel der Männer, die von Früherkennung nicht so viel halten, sondern sagen: Ein Indianer kennt keinen Schmerz und mit sechzig vielleicht, dass man die dazu bringen zu sagen: Leute, ihr könnt ihn nicht verhindern, aber wir könnten ihn so früh erkennen, dass man heilen kann. Und wenn man dummerweis was verbaselt, dann geht er in die Knochen und dann seid ihr in 12 Jahren tot. Das muss man denen aber in höflicher Form sagen, nicht so brutal, wie ich das jetzt gerade von mir gegeben hab.
Lars Schmidtke [00:38:33] Alles klar.
Ernst-Günther Carl [00:38:35] Aber man muss ihnen schon klarmachen, dass das eine tödliche Erkrankung ist.
Lars Schmidtke [00:38:38] Herr Carl, ganz lieben Dank für das aufschlussreiche Gespräch. Ein kurzes Schlusswort ihrerseits.
Ernst-Günther Carl [00:38:44] Ich fand es mal interessant über dieses Thema in einem Podcast etwas von mir zu geben, ich glaube die wesentlichen Themen, die wir als Patientenorganisation darstellen, ist mir hoffentlich gelungen rüberzubringen.
Lars Schmidtke [00:38:56] Auf jeden Fall.
Ernst-Günther Carl [00:38:59] Ansonsten: der BPS ist greifbar auf allen Kanälen, die heute in der Kommunikation da sind, von Facebook bis zur Webseite, von der Hotline bis sonst wohin. Wer auch immer Bedarf hat, der kann sich bei uns melden. Es ist gratis, es ist sachbezogen, es ist leitliniengerecht und ist evident.
Lars Schmidtke [00:39:15] Ja, wunderbar, Herr Carl. Ganz lieben Dank, ganz viel Kraft und weiterhin viel Spaß bei all Ihren Vorhaben. Ich verabschiede mich von Ihnen, sowie von unseren Zuhörerinnen und Zuhörern und bin schon sehr gespannt auf unsere nächste Folge und freue mich, wenn sie wieder dabei sind und einschalten. Machen Sie es gut, bis bald.
Lars Schmidtke [00:39:35] Wir freuen uns auf Anregungen, Ideen oder Themenvorschläge für „Mein Krebsratgeber“ zu hören. Oder möchten Sie Ihre Geschichte mit uns teilen? Schreiben Sie uns gerne eine E-Mail. Im Beschreibungstext finden Sie alle weiteren Informationen und Adressen.